Mögliche Verschiebung der Entscheidung der EU-Kommission zur neuen Gentechnik

Wie verschiedene Quellen melden, wird die EU-Kommission möglicherweise nicht wie geplant am 7. Juni einen Gesetzesvorschlag zur (De-)Regulierung von Pflanzen aus ‚Neuer Gentechnik‘ (NGT) vorlegen können. Grund dafür sind Verfahrensmängel, die auch vom Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie Testbiotech und auch der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) mehrfach kritisiert worden waren. So weigerte sich die Kommission bisher, die Risiken für Mensch und Umwelt umfassend zu bewerten. Auch im Hinblick auf Technikfolgenabschätzung und die Wahlfreiheit der VerbraucherInnen hatte die EU-Kommission keine ausreichenden Konzepte vorgelegt.

Das Stopp-Signal für das weitere Vorgehen kam von der EU-Kommission selbst: Der Ausschuss für Regierungskontrolle ist ein eigenständiges Gremium innerhalb der Kommission und für die Qualitätssicherung im Frühstadium von Gesetzgebungsprozessen zuständig. Nach verschiedenen Verlautbarungen sieht dieses Gremium erhebliche Probleme mit der Art und Weise, wie die zuständige Abteilung der Kommission, die DG SANTE, Gutachten eingeholt, Konsultationen durchgeführt und eigene Berichte verfasst hatte. Zu ähnlichen Ergebnissen wie der Ausschuss war bereits zuvor ein Bericht gekommen, der vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) in Auftrag gegeben worden war.

Nach Einschätzung von Testbiotech könnte ein Stopp des Gesetzesvorhabens das Vertrauen in die Institutionen erheblich stärken. Zu offensichtlich hatte die DG SANTE im Rahmen ihrer Beratungen wichtige Sachverhalte einfach ausgeklammert. Damit droht eine überstürzte und unkontrollierte Einführung von gentechnisch veränderten Pflanzen mit erheblichen Risiken für Mensch und Umwelt, aber auch für Züchtung, Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft. Sollte die Stellungnahme des Ausschuss für Regierungskontrolle jetzt zu wirksamen Maßnahmen führen, wäre dies auch ein wichtiges Signal für die demokratische Glaubwürdigkeit der EU.

Testbiotech fordert einen weitgehenden Neustart des Gesetzgebungsprozesses. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist klar, dass die Potentiale und Risiken der Neuen Gentechnik weit über das hinausgehen, was bei konventioneller Züchtung zu erwarten ist. Daraus folgt, dass eine verpflichtende Risikoprüfung notwendig ist. Dies hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits 2018 festgestellt. Anstatt die Deregulierung voranzutreiben, muss darüber diskutiert werden, welche Methoden und Maßnahmen geeignet sein könnten, um das technische Potential von Instrumenten wie der Gen-Schere CRISPR/Cas nutzen zu können. Gleichzeitig müssen in Hinblick auf die Risiken klare gesetzliche Grenzen gesetzt werden.

Auch die AbL fordert schon lange, dass die Konsultation der Öffentlichkeit wiederholt werden muss. Die Kommission hatte nur einem kleinen Teil von Stakeholdern bei einer internen Befragung ihre Szenarien mitgeteilt – nicht etwa der Öffentlichkeit. In ihren Szenarien machte die Kommission deutlich, dass sie in der Tat eine erhebliche Abschwächung bis hin zur kompletten Deregulierung der neuen Gentechnik-Pflanzen plant. „Die Sicherstellung der gentechnikfreien, konventionellen und ökologischen Landwirtschaft, spielte in den Szenarien keine Rolle. Dies ist aber das Minimum, um auch weiterhin eine Wahlfreiheit zu haben“, erklärt die Gentechnik-Expertin der AbL Annemarie Volling. Denn Bäuer:innen, Züchter:innen und Lebensmittelerzeuger:innen und der Handel wollen genauso wie die Verbraucher:innen auch in Zukunft selbstbestimmt entscheiden können, was sie züchten, säen, ernten und essen. „Dafür braucht es einen rechtssicheren Rahmen, das bisherige EU-Gentechnikrecht hat sich bewährt und ist, wie vom Europäischen Gerichtshof 2018 klargestellt wurde, auch auf die neuen Gentechniken anzuwenden. Alles andere wäre ein Freibrief für die Gentechnik-Industrie, auf den Folgeschäden für die Umwelt und die Lebensmittel würde die Gesellschaft hängen bleiben. Das ist nicht hinnehmbar, deshalb ist die Bundesregierung gefordert, sich für die Beibehaltung der strikten Regulierung auch der neuen Gentechnik-Pflanzen einzusetzen“, so Volling.

19.04.2023
Von: FebL/PM