Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten fordert neue Folgenabschätzung zur Pestizidreduktion

Eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten hat dafür gestimmt, von der Kommission eine neue Folgenabschätzung zu den Auswirkungen von deren Vorschlag zur Reduktion von Pestiziden (Sustainable Use Regulation, SUR) zu fordern. Deutschland stimmte gegen eine neue Folgenabschätzung, da sie wie auch Umweltschützer:innen oder grüne EU-Abgeordnete deutliche Verzögerungen bei der Umsetzung des Ziels einer notwendigen signifikanten Reduzierung des Pestizideinsatzes befürchten. „Pestizidreduktion kann nicht warten“, erklärt nach der Entscheidung der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), während der Bauernverband das Votum des EU-Ministerrates begrüßt.

Mit der SUR sollen unter anderem der Einsatz und das Risiko von Pestiziden um 50 Prozent bis 2030 reduziert, empfindliche Gebiete und Personengruppen besser vor Pestizidbelastungen geschützt und umweltschonendere Verfahren im Rahmen des Integrierten Pflanzenschutzmanagements etabliert werden. Nach deutlicher Kritik an dem Kommissionvorschlag vom Juni, an dem auch die Bundesregierung deutlichen Verbesserungsbedarf sah, war die Kommission bereits zurückgerudert und hatte signifikante Abstriche an ihrem ursprünglichen Vorschlag gemacht. Doch all das reichte nicht und führte jetzt zu dem Beschluss im Ministerrat.

BÖLW: Schnelle Folgenabschätzung und nationale Reduktionsstrategie nötig

Die Entscheidung im Rat der EU-Staaten kommentiert Peter Röhrig, geschäftsführender Vorstand des Bio-Spitzenverbands Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW): „Die Weltnaturkonferenz in Montreal zeigte, wie existenziell die Menschheit vom Artensterben betroffen ist. Besonders in Agrarlandschaften ist das Artensterben dramatisch. Aktuelle Studien beweisen, dass chemisch-synthetische Pestizide dabei maßgeblich sind. Schutzgebiete sind wichtig, aber sie können die Schäden chemisch-synthetischer Pestizide auf den Agrarflächen nicht kompensieren. Das Abschlussdokument der Weltnaturkonferenz fordert deshalb alle Unterzeichner-Staaten explizit zu einer ambitionierten Pestizidreduktion auf. Die EU-Kommission muss jetzt der Verzögerungstaktik der Ratsmehrheit mit einer besonders schnellen Folgenabschätzung begegnen, so dass wirksame Reduktionsmaßnahmen zügig beschlossen werden können.“

Parallel sind nach Ansicht von Röhrig Umweltministerin Steffi Lemke und Agrarminister Cem Özdemir in der Verantwortung für Deutschland schnell eine konsequente Pestizidreduktionsstrategie auf den zu Weg bringen. „Wichtiges und unmittelbar wirksames Instrument dafür ist der Ökolandbau. Er setzt auf über 95 Prozent der Flächen keinerlei Pestizide ein. In Dauer- und Sonderkulturen werden Naturstoff-Präparate verwendet. Chemisch-synthetische Pestizide und jegliche Herbizide sind ohnehin tabu. Je schneller und konsequenter EU, Bund und Länder ihre Ausbauziele für den Ökolandbau umsetzen, desto besser für die Artenvielfalt und für die Perspektiven der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland", so Röhrig.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) begrüßt demgegenüber das Votum des Rates und fordert ein gleichartiges Vorgehen auch für den Kommissionsvorschlag zur Wiederherstellung der Natur, der gemeinsam mit der Pflanzenschutzmittel-Verordnung vorgelegt wurde und laut DBV ebenfalls weitreichende Einschränkungen bzw. Komplettaufgaben in der Flächenbewirtschaftung zur Folge hätte.

Häusling: Pestizidreduktion ist ein wichtiges Kernstück der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie

Bereits im Vorfeld der Entscheidung hatte sich der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling zu dem Vorschlag einer weiteren Folgenabschätzung geäußert. „Eine Mehrheit der Mitgliedstaaten will die neue Verordnung zur Pestizidreduktion so lange wie möglich verzögern. Mittel zum Zweck soll eine Folgeabschätzungsstudie sein. Sollte diese die Verhandlungen stark verzögern, wäre den Mitgliedstaaten und vielen Konservativen ihre Kampagne gegen Farm-to-Fork geglückt, die sie schon seit längeren fahren. Pestizidreduktion ist ein wichtiges Kernstück der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie der Kommission. Ein Wegfall würde diese aushöhlen. Ich fordere die ab Januar die Ratsverhandlungen führende schwedische Präsidentschaft auf, ambitioniert am Gesetzestext weiter zu arbeiten.
Wir Grüne im Europäischen Parlament werden mit unserer Berichterstatterin Sarah Wiener im EU-Umweltausschuss weiter konsequent am Bericht arbeiten. Alle wissenschaftlichen Umwelt- und Gesundheitsdaten zeigen deutlich, dass eine Pestizidreduktion dringend notwendig ist. Weitere Verzögerungen sind unverantwortlich!“