Ein Anfang, Ackerbau anders zu denken

Der Striegel blieb stehen. Eigentlich wollten Horst Seide und Henning Harms auf dem Feldtag Ende Mai losfahren und zeigen, wie er wirkt, aber das Wetter machte einen Strich durch die Rechnung. Morgens hatte es in Damnatz an der Elbe im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg 20 mm geregnet, deswegen machten die Bauern nachmittags freudige Gesichter. Denn vielleicht noch ein bisschen wichtiger als die Tatsache, dass man wegen des Regens nun keine Striegelvorführung machen konnte, wog, dass in dieser sensiblen Wachstumsphase endlich einmal Feuchtigkeit in den Boden und an die Pflanzen kam. „Wasser kostet gerade richtig was“, so Henning Harms, der hier im Wendland Ackerbau betreibt und Mastschweine hält, „und die Kosten laufen uns gerade davon.“ In der immer schon niederschlagsarmen und sandigen Gegend hat die Feldberegnung eine gewisse Tradition, in den letzten Jahren verschärften Trockenheit, Diskussionen um Wasserentnahme und nun die gestiegenen Energiepreise allerdings die Debatten zum Thema. Beim Feldtag ging es nun eigentlich um etwas anderes: das Projekt Finka (Förderung von Insekten im Ackerbau), in dem Henning Harms und Horst Seide ein Betriebspaar bilden. Das über das Bundesprogramm Biologische Vielfalt geförderte und vom Kompetenzzentrum Ökolandbau Niedersachsen GmbH (KÖN) betreute Projekt verbindet niedersachsenweit 30 konventionelle Bauern und Bäuerinnen mit ökologisch wirtschaftenden Nachbarbetrieben. Die konventionellen Betriebe verpflichten sich, auf einer Fläche keine Insektizide und Herbizide einzusetzen, die Biobetriebe bestellen eine Vergleichsfläche mit der gleichen Frucht, Wissenschaftler erheben über den Projektzeitraum von fünf Jahren Flora und Fauna. Es geht aber auch um den Austausch der Partner am konkreten Objekt, Unterstützung bei der mechanischen Unkrautbekämpfung, aber auch darum, einen anderen Blick auf Kulturpflanzen und Begleitflora zu bekommen. Auch für viele Biobauern und -bäuerinnen ist eigentlich der saubere Acker auf dem zu 100 Prozent Kulturpflanzen stehen, die Idealvorstellung. Gleichzeitig ist ihnen bewusst, dass das mit Striegel und Hacke ein unerreichbares Ziel ist. Die Frage ist, wie viel Beikraut tolerabel ist, damit die Kulturpflanze wachsen und ausreifen kann, am Ende beerntbar ist und einen Ertrag bringt, der den Bewirtschaftern einen ökonomischen Gewinn beschert.

Besinnen

Konventionell wirtschaftende Bauern und Bäuerinnen beantworten die Frage strenger, sie müssen aufgrund der schlechteren Erzeugerpreise mehr ernten. Sie haben mehr Möglichkeiten, durch den chemischen Pflanzenschutz natürlichen Widrigkeiten zu trotzen. „Wir müssen uns erstmal wieder auf Dinge besinnen wie eine gezielte Sortenwahl, unter ackerbaulichen Gesichtspunkten gewählte Aussaattermine usw.“, sagt Torben Manning, Pflanzenschutzberater von der Landwirtschaftskammer im nahen Uelzen auf dem Acker in Dammnatz, „weil uns 100 Jahre lang die Chemie den Hintern gerettet hat.“ Auch weil die nun bei bestimmten Fragestellungen an Grenzen gerät, ist das Interesse an den Erfahrungen aus Projekten wie Finka groß. Bauer Harms hat ein massives Problem mit dem Ackerfuchsschwanz auf seinen Flächen, dem aufgrund von Resistenzen immer weniger mit Pestiziden beizukommen ist. Er erhofft sich durch die mechanische Unkrautbekämpfung neue Bekämpfungsmöglichkeiten, arbeitet aber auch an einer abwechslungsreicheren Fruchtfolge. Gleichzeitig ist der Standort des Finka-Ackers ein denkbar schwieriger. Der schwere Marschboden ist spät befahrbar, nur ein kleines Zeitfenster im Sommer ermöglicht schadenfreies Beackern. Striegeln, so erklärt es sein Bionachbar Horst Seide, muss man aber früh. „Der Striegel bekämpft am besten die Unkräuter, die man noch nicht sieht, danach kann er nur noch verschütten.“ Blindstriegeln, also noch vor dem Auflauf der Kulturpflanze mit dem Striegel über den Acker zu fahren und die kleinen feinen Keimlingsfähnchen zu ziehen, ist eine Kulturtechnik, die sich in der Landwirtschaft erst noch etablieren muss.

Wie fördern?

„Jetzt im zweiten Finka-Jahr fällt auf“, sagt Leen Vellenga, beim KÖN Koordinator der Finka-Betriebspaare, „dass gerade viele konventionelle Landwirte es nicht so intensiv auf dem Schirm haben, wie wichtig es ist, rechtzeitig auf dem Acker zu sein und dann auch am Ball zu bleiben.“ Im ersten Jahr standen fast überall Wintergetreide, da spielte das Striegeln eine kleinere Rolle. Dieses Jahr bei Raps und Hackfrüchten sei es so, dass, wenn man den richtigen Zeitpunkt verpasst habe, Dinge oft nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Aus Vellengas Sicht stellt sich mit dem Finka-Projekt auch die Frage: „Was für eine Förderung ist notwendig, um den Einsatz mechanischer Unkrautbekämpfung für die Landwirte attraktiv zu gestalten?“ Erste Ergebnisse bislang nur für die Flora – für den eigentlichen Projektschwerpunkt, die Insekten, werden noch keine Aussagen getroffen – weisen einen 35-mal höheren Deckungsgrad an Ackerbegleitflora auf den konventionellen Projektflächen nach und einen 55-mal höheren bei den ökologisch bewirtschafteten Flächen gegenüber der klassischen konventionellen Produktion. Vor allem gehe es um mehr blühende Pflanzen, die Insekten Nahrung bieten, so Vellenga. Auf ertragsstärkeren Flächen ist es schwieriger, eine Vielfalt an blühender Begleitflora zu etablieren, als auf ertragsschwächeren Standorten. Mehr Licht und Luft, weniger Konkurrenz durch die Kulturpflanze, vor allem im Kopf muss manchmal das Pferd von hinten aufgezäumt werden. Das sei, so Vellenga, ein Spannungsfeld, in dem es gerade aktuell unter den neu aufflammenden Debatten um Ernährungssicherheit nicht so einfach sei, zu diskutieren. Trotzdem sei gerade denen, die bei Finka mitmachten, klar, dass etwas passieren müsse. Biodiversität ist nicht nur nice to have, sondern ein Zukunftsthema. Bei Horst Seide und Henning Harms auf dem Feldtag ist das angekommen. Es gibt eine große Bereitschaft, genau hinzugucken und dann auch mal alte Rezepte zu überdenken.