Am 23. Oktober 2020 hat das EU-Parlament seine Position zur Reform der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) innerhalb der GAP beschlossen. Diese Position wird vom European Milk Board (EMB) und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) unterstützt. Daher haben sich die zwei Organisationen jetzt an politisch Verantwortliche in Brüssel und Deutschland, hier unter anderem an Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), gewandt und sie zur Unterstützung der Position des EU-Parlaments aufgefordert.
Beim EMB heißt es dazu:
Auf EU-Ebene verhandeln derzeit Parlament, Rat und Kommission in einem Trilog über die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Das Europäische Parlament hatte dafür am 23. Oktober 2020 seine Position zur Reform der Gemeinsamen Marktorganisation innerhalb der GAP beschlossen. Darin enthalten sind gute Vorschläge, die es erlauben, die Landwirtschaft im Allgemeinen und den Milchsektor im Besonderen krisenfester zu machen.
Position des EU-ParlamentesEingang in diese Position fand unter anderem der freiwillige Lieferverzicht (als Artikel 219a*[1]) für Zeiten schwerer Marktkrisen. Vorgesehen wäre damit, dass bei einem sich anbahnenden, starken Preisverfall auf EU-Ebene den Erzeugern angeboten wird, für einen bestimmten Zeitraum ihre Produktion um wenige Prozente gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu senken. Erzeuger, die dieses Angebot annehmen, erhalten eine Kompensation für jeden nicht produzierten Liter Milch.
Die Tatsache, dass uns MilcherzeugerInnen im letzten Jahrzehnt drei schwere Krisen trafen – die Krisen in den Jahren 2009, 2012 sowie 2015-17 – unterstreicht die Notwendigkeit solcher Instrumente. Lediglich in der dritten Krise, als im Juni 2016 im EU-Schnitt nur noch 25,7 ct/kg bezahlt wurden, ermöglichte die EU nach langem Zögern einen freiwilligen Lieferverzicht. Sobald dieser aktiv war, begannen die Preise sich rasch zu erholen. Innerhalb weniger Monate kletterten sie von weit unter 30 auf 33,4 ct/kg (Januar 2017).
Auf den Milchsektor bezogen ist festzustellen: Der freiwillige Lieferverzicht funktioniert! Schon relativ kleine Reduktionen können einen wichtigen, positiven Effekt auf den Preis haben, wie sich auch 2016/17 noch einmal gezeigt hat. Sollte es sich um eine sehr schwere Krise handeln, bei der ein alleiniger freiwilliger Lieferverzicht nicht ausreicht, empfiehlt das Europäische Parlament, das Instrument noch effektiver zu machen: Für einen kurzen Zeitraum sollte dann der einzelne Erzeuger seine Produktion nicht steigern dürfen, damit die Reduktionen der EU-KollegInnen ihre volle Wirkung entfalten können (Artikel 219b*).
Notwendigkeit, dass EU-Rat und Kommission den Lieferverzicht noch bestätigenWir begrüßen es sehr, dass die EU-Abgeordneten die vergangenen Krisensituationen analysiert und für unseren Sektor wichtige Schlüsse gezogen haben. Damit verfügt schon ein wichtiger Akteur der aktuellen Trilogverhandlungen über eine zukunftsweisende Position. Allerdings haben weder der Rat noch die Kommission der EU dieses Instrument in ihren bisherigen Positionen vorgesehen. Es ist nun essentiell, dass sowohl die zögernden Mitgliedsstaaten als auch die EU-Kommission die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit des Instruments erkennen und in den laufenden Trilogverhandlungen der Festschreibung des Instruments in der Gemeinsamen Marktorganisation den Weg frei machen.
Eine gesetzliche Verankerung des Instruments ist insofern nötig, als dass vergangene Krisen zeigen, dass ohne diese gesetzliche Implementierung die große Gefahr besteht, dass das Instrument nicht (siehe erste und zweite Krise) oder erst zu spät (siehe dritte Krise) genutzt wird.
Damit es zeitnah eingesetzt wird, ist es allerdings noch wichtig, klar zu definieren, wann der Einsatz geschaltet werden soll. Sehr positiv ist, dass das Europäische Parlament in seinen Vorschlägen auch einen sogenannten Frühwarnmechanismus vorsieht. Dieser müsste allerdings noch verbessert werden, indem eine angemessene Krisendefinition eingefügt und mit der Schaltung des freiwilligen Lieferverzichts verbunden wird, um hier einen tatsächlich wirkungsvollen Schaltmechanismus zu erhalten.
Die Wirksamkeit des Instruments ist nicht zu bestreiten. Denn 2016/17, als der freiwillige Lieferverzicht ausgeschrieben wurde, konnten interessierte EU-LandwirtInnen gegen eine Entschädigung für ihre nicht produzierte Milch tatsächlich mit ihren KollegInnen koordiniert dafür sorgen, dass man gemeinsam zügig aus der Krise kommt. Über 48.000 ErzeugerInnen – mehr als erwartet – übernahmen hier kollektiv Verantwortung für den Milchsektor, so dass die Funktionsfähigkeit des Marktes stabilisiert werden konnte.
Warum funktioniert das Instrument für schwerwiegende Krisen?Das Instrument bietet den Vorteil, dass Milchüberschüsse gar nicht erst produziert und beispielsweise zu billigem Milchpulver verarbeitet werden.
- Aufgetürmtes Pulver übt einen sehr starken Druck auf die Preise aus. Dieser Druck existiert auch weiter, wenn das Pulver in die Intervention genommen wird. Von hieraus verhindert es weiterhin, dass sich Preise erholen können.
- Neben diesem negativen Druck auf die Preise verschwendet Überproduktion zudem wertvolle Ressourcen und bedroht beim Export billiger Überschussprodukte die Existenzgrundlage der KollegInnen des Milchsektors im globalen Süden.
Wir können in Krisenzeiten all dem komplett aus dem Weg gehen, wenn ein freiwilliger Lieferverzicht EU-weit geschaltet wird. Denn damit wird direkt auf Ebene der Rohmilchproduktion angesetzt, also auf der Ebene, auf der die eigentliche Überschussproduktion stattfindet. Das Instrument unterbricht und beendet die problematische Überschusskette direkt zu Beginn und bringt den tatsächlich von der Krise Betroffenen die notwendige Erleichterung. Denn wir ErzeugerInnen sind es, die hohe Verluste machen, nicht die VerarbeiterInnen!
Daher plädieren wir dafür, dass dieses Kriseninstrument Eingang in die finale Gemeinsame Marktorganisation findet. Wir rufen neben der EU-Kommission und dem Rat auch weitere Bauernorganisationen dazu auf, sich für dieses Instrument für ihre ErzeugerInnen einzusetzen und von Ausflüchten oder einem Arbeiten gegen den freiwilligen Lieferverzicht abzusehen.