Kommentar: Aufbruch statt Resignation

Fassungslosigkeit, Ohnmacht, Verachtung, Schadenfreude, Verzweiflung, Genugtuung, Resignation – das Vokabular, welches die Stimmungslage nach den Kommunalwahlen und der Europawahl 2024 beschreibt, bleibt unvollständig. Wahlanalysten und wissenschaftliche Expert:innen überschlagen sich in diesen Tagen dabei, die Ursachen für das Wählerverhalten der Deutschen und Europäer:innen zu erklären. Doch was stand im Fokus des Wahlkampfes und was beschäftigt viele Menschen in diesen Tagen?

Warum wenden sich Menschen ab, statt in jetzigen Krisenzeiten politische Verantwortung zu übernehmen oder zumindest ihre Stimme in die Waagschale zu werfen? Wann ist das Vertrauen verloren gegangen, wenn es denn jemals vorhanden war?

Zum einen hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland seit der Corona-Pandemie vertieft. Menschen, die kein Vermögen besitzen, sind von zunehmender Armut betroffen, während die reichsten Deutschen ihr Vermögen 2021 und 2022 noch vermehren konnten. Auch im aktuellen Schatten des Ukrainekriegs leiden ärmere Menschen stärker unter den Folgen der Preissteigerungen. Soziale Notlagen nehmen zu, während soziale Systeme abgebaut werden.

Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen unter den Folgen des Klimawandels leiden. Während im Süden Deutschlands vor kurzem Städte, Dörfer und landwirtschaftliche Flächen unter Wasser standen und Hagelschläge und Tornados in diesem Frühjahr große Schäden anrichteten, rollte eine Hitzewelle mit Rekordtemperaturen über die Menschen Südeuropas, die mitunter lebensgefährliche Folgen hatte.

Angesichts der vielen Krisen und Probleme, die für uns heute anstehen, hätte man sich gewünscht, dass der Wahlkampf geprägt gewesen wäre von einem lösungsorientierten Handlungskonzept und einem starken Willen zur Zusammenarbeit – statt von einem „Weiter so“ und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Desinformationskampagnen via Social media befeuerten obendrein populistische Thesen und manipulierten Wählerverhalten.

Nun stehen wir vor einer weiteren, sehr großen Herausforderung: Wie können wir verhindern, dass unser demokratisches System deinstalliert wird, damit wir auch zukünftig in einem Land mit unabhängiger Justiz und Pressefreiheit leben können?

Ich denke, dass wir für diese schwierige, nicht delegierbare Aufgabe sehr viele Kräfte zu mobilisieren haben. Wir müssen uns engagieren und Menschen in unserem Umfeld mitnehmen, damit sie Selbstwirksamkeit erleben und sich ebenfalls vehement in den politischen Diskurs einmischen. Auf unseren Höfen können wir Gelegenheiten schaffen, um ins Gespräch zu kommen auch mit Menschen, die woanders vielleicht nicht zu erreichen sind. Und auch wir müssen manchmal unsere Blasen verlassen.

Und es gibt bereits viele mutige und aufrechte Menschen, die sich engagieren, und kreative Lösungsansätze liegen in den Schubladen bereit. Diese werden nicht die Kassen der Großkonzerne füllen, könnten aber Wege aus der Krise in eine gerechtere, friedliche und gesündere Zukunft sein.

27.06.2024
Von: Claudia Gerster, Mitglied im AbL-Bundesvorstand und Bäuerin in Sachsen-Anhalt