Für mehr Tierwohl braucht es mehr als eine höhere Mehrwertsteuer

Mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch auf den Regelsteuersatz von 19 Prozent wollen politische Entscheidungsträger oder Tierschutzorganisationen die für mehr Tierwohl notwendigen Investitionen mit Steuergeldern mitfinanzieren. Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) sieht diesen Vorstoß als ein positives Zeichen dafür an, dass sich langsam auf gesellschaftlicher wie auf politischer Ebene die Erkenntnis durchsetzt, dass in der Produktion von Milch und Fleisch das System des „Immer billiger, immer effizienter“ mit dem damit verbundenen Kostendruck Mensch und Tier an ihre Leistungsgrenzen führt und dringender Handlungsbedarf gegeben ist. „Es gibt viele Bäuerinnen und Bauern, die motiviert wären, in mehr Tierwohl zu investieren, die sich aber angesichts der bisherigen Ausrichtung der Agrarpolitik auf niedrige Lebensmittelpreise dazu nicht in der Lage sehen“, erklärt Kirsten Wosnitza, Milchviehhalterin des BDM in Schleswig-Holstein und BDM-Bundesbeirätin. „Mit einer aus der Angleichung des Steuersatzes finanzierten Prämie würde sich für die Gesellschaft ein Weg eröffnen, sich flächendeckend an den Kosten für mehr Tierwohl in der Landwirtschaft zu beteiligen. Offen bleibt allerdings, ob das EU-Recht diese Art der Förderung zulässt. Ein entscheidender Faktor für den Erfolg dieser Prämie wird auch sein, ob und wie es gelingt, diese Mittel langfristig verlässlich für Tierwohl-Investitionen zu binden.“ Es braucht mehr als eine Steuererhöhung“, ergänzt BDM-Vorsitzender Stefan Mann. „Viele tierhaltenden Betriebe laufen angesichts einer permanenten Kostenunterdeckung und angesichts wiederkehrender Krisen ‚auf Kante‘ und haben keine Reserven mehr, die nötig wären, um die notwendigen Investitionen in eine Modernisierung der Ställe vorzunehmen. Die politisch beschlossene Ausrichtung der EU-Agrarpolitik auf billige, international wettbewerbsfähige Lebensmittelpreise hat uns in eine vertrackte Situation geführt und diese Situation und Ursache vieler Probleme wird auch mit einer Erhöhung des Steuersatzes nicht aufgelöst. Hier müssen wir ansetzen, um nicht dauerhaft von öffentlichen Geldern abhängig zu sein“, so Mann. Alle bisher angestoßenen Initiativen für mehr Tierwohl, die darauf aufgebaut sind, dass sich Verbraucher, Lebensmitteleinzelhandel und Landwirte die Mehrkosten für mehr Tierwohl teilen, zeigten bisher keinen Erfolg bzw. würden nicht die erforderliche Wirtschaftlichkeit versprechen, die nötig sei, um teure Investitionen vorzunehmen. Sie erreichen nach Ansicht des BDM nur einen kleinen Teil der Tierhalter. Sie ließen den scharfen internationalen Wettbewerb, in dem die Tierhalter stehen, unberücksichtigt, bezögen sich nur auf kleine Marktsegmente, seien in ihren Kriterien und Kennzeichnungen unübersichtlich oder würden als zu weich kritisiert oder kämen nicht in Gang – die Liste der Kritikpunkte sei fast so lang wie die Liste der vielen Initiativen. Dies führe dazu, dass sich viele Landwirte trotz aller Motivation angesichts einer völlig ungesicherten Wirtschaftlichkeit nicht in der Lage sehen, notwendige Investitionen vorzunehmen, während gleichzeitig die gesellschaftliche Kritik immer lauter wird. „Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, damit Steuermittel zur Zielerreichung beitragen können und nicht durch andere Weichenstellungen im Markt konterkariert werden“, betonen Stefan Mann und Kirsten Wosnitza. „Dazu gehört eine echte Nutztierhaltungsstrategie und vor allem, die Marktrahmenbedingungen dafür zu schaffen, die es den Landwirten ermöglichen, die Kosten für eine tier- und artgerechte Tierhaltung ganz überwiegend am Markt zu erwirtschaften. Mit keiner Initiative oder Prämie allein kann es gelingen, verlässlich das auszugleichen, was über den Markt nicht generiert werden kann. Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, immer wieder auftretenden Marktkrisen mit massiven Preisabstürzen, bei denen die Betriebe viel Substanz einbüßen, aktiv entgegenzuwirken. Unser Milchmarkt-Krisenmanagement-Konzept muss auf Bundes- und EU-Ebene endlich umgesetzt werden und auch die Ausrichtung der Agrarmarktpolitik auf billige Massenproduktion im Interesse der Konzerne muss abgestellt werden. An diese Stelle muss eine Politik treten, die die Interessen von Bürgern, Bauern und unseren Tieren vertritt“, fordert Stefan Mann.