Wissenschaft: Mehr Tierwohl durch „kraftvolle“ Politik möglich

Das Thema Tierwohl hat in der Bevölkerung „eine sehr hohe Bedeutung“. Und „sofern die Gesellschaft dies mehrheitlich wünscht, könnte die Politik (z.B. mit Hilfe einer Tierwohlprämie) Deutschland-weit ein hohes Tierwohl-Niveau durchsetzen, ohne dass es – wie oft befürchtet wird – zu einer Verlagerung der Tierhaltung an ausländische Standorte kommt, die niedrigere Tierwohlstandards haben“. Das teilt die Deutsche Agrarforschungsallianz (DAFA) als ein Ergebnis in ihrem jetzt vorgelegten Zwischenbericht ihres vor sieben Jahren eingerichteten Fachforums Nutztiere mit. Insgesamt sei durch die wissenschaftliche Arbeit der vergangenen Jahre klarer geworden, (a) welche Erfolgsaussichten eine Politik hat, die die Erreichung von Tierschutzzielen in die Verantwortung der Verbraucher stellen möchte, und (b) wie die Politik vorgehen müsste, um eine deutliche Verbesserung des Tierwohlniveaus zu erreichen. Mit Blick auf die Politik werden in dem Zwischenbericht folgende Kernergebnisse hervorgehoben:
- Die Bevölkerungsmehrheit misst dem Tierwohl höchste Bedeutung bei. Wenn bei Zielkonflikten zwischen Tier- und Umweltschutz abzuwägen ist, tendiert die Mehrheit zu Gunsten von Tierwohl und Natürlichkeitsaspekten der Tierhaltung.
- Die Menschen in Deutschland stehen den heutigen Tierhaltungssystemen zumeist kritisch gegenüber. Sie wünschen sich, dass sich die Realität der Nutztierhaltung ändert. Eine Politikstrategie, die die Problematik im Wesentlichen durch Kommunikation in den Griff bekommen möchte („bessere Aufklärung“), wäre zum Scheitern verurteilt.
- Eine Bevölkerungsmehrheit wünscht Informationen zur Herkunft und Haltung der Tiere. Sie äußert die Bereitschaft, einen moderaten Aufpreis für ausgewählte tierische Lebensmittelzu bezahlen, wenn dies zu besseren Haltungsbedingungen für die Tiere führt. Angesichts der hohen Verunsicherung der Bevölkerung bezüglich der realen Haltungsbedingungen sind ein möglichst breiter gesellschaftlicher Konsens und eine entsprechend klare und umfangreiche Kommunikation der Verbesserungen notwendig.
- Nur wenige Menschen wären bereit, einen hohen Aufpreis zu bezahlen. Daher ist zu erwarten, dass in Labelprogrammen die Marktanteile jener Kategorien, die unter Tierwohl-Aspekten vollauf zufriedenstellend wären, gering bleiben.
- Die Politik könnte dieses Dilemma auflösen, beispielsweise indem sie auf alle tierischen Lebensmittel eine obligatorische Finanzabgabe erhebt. Bei einer Abgabenhöhe in der Größenordnung von 10 Prozent käme ein Finanzvolumen zustande, mit dem (über Investitionshilfen und laufende Tierwohlprämien) schrittweise alle Tierhaltungen auf deutlich mehr Tierwohl umgestellt werden könnten. Der Beitrag der Forschung zur Verbesserung der Nutztierhaltung wird nach Ansicht der Wissenschaftler umso größer sein, „je besser sie in eine nationale Nutztierstrategie eingebettet ist“. Hier sehen sie in dem Zwischenbericht aber noch große Herausforderungen. Einerseits bestehe dringender Bedarf, die Zielbilder für die deutsche Nutztierhaltung zu schärfen. Allgemeine Zielformulierungen (mehr Platz, Außenklima, keine Amputationen, etc.) seien hierfür ein guter Startpunkt, doch müssten sie für die verschiedenen Tierarten konkretisiert und zu praxistauglichen Haltungsverfahren entwickelt werden, die genehmigungs- und wettbewerbsfähig sind. Andererseits sei die Entwicklung überzeugender Zielbilder („Haltungssysteme der Zukunft“) ein zeitaufwändiger Prozess, der zwingend ein enges Zusammenwirken von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft erfordert. Um hier entscheidend voranzukommen, ist für die Wissenschaftler zweierlei erforderlich: „Erstens der politische Wille, die Entwicklung der Nutztierhaltung kraftvoll zu gestalten, und zweitens die politische Kunst, für diese Steuerung eine passende Organisationsstruktur zu schaffen“ – eine Zusammenarbeit/ein Zusammenspiel von Bund, Ländern, Forschung, Gesellschaft und nicht zuletzt der landwirtschaftlichen Praxis.