„Die Klimakrise ist da, und wir haben noch dieses Jahrzehnt, um das Notwendige zu tun, damit sie nicht komplett zerstörerisch wird“, so Kläger Ulf Allhoff-Cramer. Der Bauer weiß genau, wovon er spricht, denn sein Wald ist während der Dürre in den Trockenjahren komplett vernichtet worden. „Ich will den Hof in ein paar Jahren übernehmen, dafür muss ich aber auch wirtschaften können. Das wird nur funktionieren, wenn die Klimakrise gestoppt wird“, ergänzt Sohn Hendrik Allhoff-Cramer. Also klagt Ulf Allhoff-Cramer zusammen mit Greenpeace und der Umweltanwältin Roda Verheyen gegen VW, den zweitgrößten Autohersteller der Welt. „VW emittiert so viel wie ganz Australien“, erklärt er. Er will gerichtlich einfordern, dass der Konzern ab dem Jahr 2030 weltweit keine Autos mit Verbrennermotor mehr produzieren darf. In den Klageschriften belegen sie, dass Volkswagens vollmundige Versprechen für mehr Klimaschutz nur Lippenbekenntnisse sind, und fordern den Konzern auf, den klimagerechten Umbau des Unternehmens deutlich zu beschleunigen.
Wer hat das Recht, zu emittieren?
In der Argumentation geht es auch um das so genannte „CO2-Budget“. Dabei handelt es sich um jene Menge Emissionen, die noch zur Verfügung steht, um die Erde nicht über die 1,5 Grad hinaus zu erwärmen. „Es kann nicht sein, dass Einzelne das CO2-Budget, welches allen zur Verfügung steht, aufnutzen. Denn dadurch werden Freiheitsrechte anderer beschnitten“, erklärt die Anwältin Roda Verheyen. Diese hat vor rund einem Jahr auch das als historisch geltende Urteil vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe erstritten. Dieses besagt, dass heutige Generationen nur so viele Treibhausgase emittieren dürfen, dass zukünftige Generationen dadurch nicht in ihren Freiheitsrechten beschränkt werden. Auf der Seite von Greenpeace findet sich noch folgendes Statement der Anwältin: „Jedes Gericht muss sich fragen, wen das Recht letztlich schützt: den Planeten und die Menschen, die darauf leben wollen, oder die Interessen einiger Konzerne. Wer Klimaschutz verzögert, schadet anderen und verhält sich damit rechtswidrig. Das ist seit der Entscheidung aus Karlsruhe eindeutig und das gilt auch und gerade für die deutsche Autoindustrie mit ihrem gigantischen globalen CO2-Fußabdruck. Das Zivilrecht kann und muss uns helfen, zu verhindern, dass Konzerne unser aller Lebensgrundlagen zerstören und unseren Kindern und Enkeln das Recht auf eine sichere Zukunft nehmen.”
Erster Verhandlungstag in Detmold
Der Medienrummel vor dem Landgericht Detmold am 20. Mai 2022 ist groß – ARD, WDR, ZDF, N-TV, RTL – alle sind sie da, um über die Eröffnung des Gerichtsverfahrens zu berichten. Zur Unterstützung demonstrieren Bäuerinnen und Bauern und Klimaschützer:innen vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes. Und der Richter? Der hat erst einmal noch Fragen. Beispielsweise sei nicht ganz klar, inwiefern ausgerechnet die Emissionen von VW einen Schaden für den Hof darstellen. Was sei z. B. mit den Emissionen von Audi? Aktuell sei der Verkauf von Autos mit Verbrennermotor schließlich nicht rechtswidrig. Die Anwälte von VW beantragten, dass das Verfahren erst gar nicht zugelassen wird, wohingegen Umweltanwältin Roda Verheyen deutlich macht: „Sollte das hier auf Landesebene scheitern, gehen wir in Berufung.“ Sie macht deutlich, dass die Klimakrise kein abstraktes Problem der Zukunft ist. Juristisch heißt das: „Die Störung ist bereits da!“ Für ihre Stellungnahme gibt es Applaus der Zuschauer:innen.
Auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL) unterstützt die Klage. Bundesvorsitzender Martin Schulz erklärt: „Die Zeit, Emissionen sofort und drastisch zu reduzieren, ist längst erreicht. Die Klimakrise ist bereits bittere Realität. Es ist nicht übertrieben zu sagen: Wir Bäuerinnen und Bauern und die weltweite Ernährung hängen vom Einhalten von Klimaschutz ab. Dabei müssen alle besser werden: jede:r von uns als Konsument:in, wir Bäuerinnen und Bauern auf den Höfen und in den vor- und nachgelagerten Bereichen, aber natürlich auch die großen Konzerne wie VW. Dieser trägt als zweitgrößter Autohersteller der Welt für den Klimaschutz eine entscheidende Verantwortung, an die die Klimaklage ihn zu Recht erinnert. Es geht schließlich um nichts Geringeres als die Zukunft der Höfe und der Ernährung, die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder und die des Planeten.“
An diesem ersten Verhandlungstag wird nichts entschieden – die Kläger sind nun aufgefordert, erneut schriftlich Stellung zu beziehen zu einzelnen Fragen. Dann hat VW Zeit, wiederum darauf zu antworten. Anfang September wird man sich wieder treffen. Zu dem ersten Gerichtstermin kommentiert Ulf Alhoff-Cramer: „Ich habe wirklich die Hoffnung, dass das Gericht versteht, dass die Klimakrise jetzt schon da ist. Wir zerstören unsere Ökosysteme, von denen alle immer sagen, sie sollen das Klima schützen. Auch für meinen Hof ist die Gefahr jetzt schon da. Sie bringen die Bäuerinnen und Bauern in die Situation, dass sie die Menschen nicht mehr ernähren können. Das ist nicht hinnehmbar. Die Zerstörung der ökologischen Systeme wird schlussendlich auch die ökonomischen Systeme zerstören. Das kann doch keiner wollen. Es sollte also im Interesse aller liegen, das zu beenden.“
Anwältin Verheyen vertritt gleich fünf solcher Klagen vor verschiedenen Landesgerichten. Konzernklagen dieser Art sind neu, aber sie mache weiter, bis es eine adäquate Rechtsprechung gebe, wenn nötig, auch in höheren Instanzen. Das Prinzip sei einfach: Das Verfassungsgericht verankerte letztes Jahr die Treibhausgasneutralität. Das müsse nun von allen umgesetzt werden. Zu der zögerlichen Antwort des Gerichts sagt sie: „Ich fühle das nicht als Dämpfer. Das war das allererste Mal. Ich mache an dieser Stelle weiter.“