Bundesernährungsministerin Julia Klöckner sowie Ursula Heinen-Esser und Barbara Otte-Kinast, die Landwirtschaftsministerinnen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, hatten zum „Branchengespräch Fleisch“ nach Düsseldorf geladen und, wie die Bundesministerin sagte, alle kamen beziehungsweise waren per Video zugeschaltet. Dass es Veränderungen in der Fleischbranche geben muss, darin waren sich Politik, Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel und Verbrauchervertreter nach Wahrnehmung der Ministerinnen einig. „Mehr Tierwohl in Ställen, höhere Sozialstandards in Schlachtbetrieben, Preiswahrheit im Handel und verantwortungsvolle Verbraucherinnen und Verbraucher sind die Grundlage eines Neustarts im Fleischgeschäft, insbesondere in der Schweinehaltung“, heißt es aus dem Bundesministerium nach dem Treffen.
Deutliche Worte finden die Ministerinnen auch auf der Pressekonferenz, zu der sie ein
„Perspektivenpapier: Fleischwirtschaft vom Stall bis zum Teller“ vorlegen, nach dem Gespräch: Für die Fleischbranche „wird es keine zweite Chance geben“, erklärt Ministerin Klöckner. Es gehe jetzt nicht um eine „Tönnies-Frage“ sondern um eine „System-Frage“. „Es wird und muss sich etwas ändern, da wird das Ordnungsrecht eine Rolle spielen“, so Klöckner. Papiere haben wir genug, jetzt müsse Politik handeln und entschlossen vorangehen, sagt Ministerin Otte-Kinast.
Und die NRW-Ministerin erklärt: „Corona ist wie ein Brennglas auf Fehlentwicklungen in unserem System und die Systemanfälligkeit, die wir im Bereich Fleisch haben, ist enorm, und eines unserer Ziele ist es, das System resilient zu gestalten, das heißt fest gegenüber solchen Krisen“. Vom „Umsteuern des Gesamtsystems“ und einem „Umwälzungsprozess für die Landwirte“ ist bei den Ministerinnen die Rede.
Erstmalig haben sich laut Ministerin Heinen-Esser „heute alle zu einer Tierwohlabgabe bekannt“. Die soll analog zum Vorschlag der Borchert-Kommission 40 Cent pro Kilo Fleisch betragen und in einen Fonds zum Umbau der Nutztierhaltung fließen, wobei die konkreten Vergabekriterien noch offen sind. Und zur Umsetzung einer Tierwohlabgabe erklärt Klöckner, dass das keine Frage einer Legislatur sei, also dauern kann. Als Beitrag zur aktuellen und zukünftigen Politikgestaltung wird in der Pressekonferenz auf die Umsetzung der „großartigen“ (Otte-Kinast) Ergebnisse der Borchert-Kommission, auf die von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vorgelegten
„10 Kernforderungen zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in der Schlacht- und Zerlegeindustrie“ sowie den in der Ressortabstimmung befindlichen Gesetzentwurf zu unlauteren Handelspraktiken verwiesen. Geprüft werden soll unter anderem, ob aus ethischen Gesichtspunkten „ein Untersagen gewisser Werbepraktiken möglich ist“ und auch mögliche Verschärfungen im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb sollen geprüft werden. „100 Gramm Hähnchen für 17 Cent, da kann kein Tierwohl drinstecken; da kann auch kein Menschenwohl drinstecken“, so Klöckner. Die EU-Ratspräsidentschaft will Klöckner nutzen, um für ihr Tierwohllabel zu werben.
„Wir brauchen bessere Preise für Fleisch! Preise, die möglich machen: eine Haltung im Stall mit mehr Tierwohl, möglichst kurze Transportzeiten, faire Arbeitsbedingungen und vor allem ein nachhaltiges Einkommen für unsere Bauern. Deshalb müssen wir die gesamte Kette unter die Lupe nehmen. Wir erleben aktuell ein Momentum, eine Chance, die Fleischbranche neu zu justieren. Das gehen wir an“, erklärt die Bundeslandwirtschaftsministerin, die zur Finanzierung des Umbaus in der Nutztierhaltung neben der Tierwohlabgabe auch „die Ergänzung durch eine Art staatliche Umstellungs- und Beibehaltungsprämie - analog zum Ökolandbau - für diejenigen, die in ihren Ställen für mehr Tierwohl sorgen“, prüfen will.
„Das Ringen um den günstigsten Preis und zugleich die größte Marge fällt am Ende auf die Landwirtinnen und Landwirte zurück – vor allem aber auf die Tiere. Die heutige konstruktive Aussprache und Analyse zeigt, dass wir einen neuen Kodex der Fleischbranche benötigen, in dem alle Beteiligten die Fleischqualität gemeinsam neu definieren und Umwelt-, Tierschutz- und Sozialstandards dabei größer geschrieben werden. Da es all dies nicht zum Nulltarif gibt, müssen die Preise auch die Wahrheit sprechen. Hier sind auch die Verbraucher an der Ladentheke gefordert. Wir müssen jetzt die Chance nutzen, die Branche nachhaltiger und damit zukunftsfähiger aufzustellen“, äußert die NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser.
Und Barbara Otte-Kinast verkündet: „Für Niedersachsen ist klar: Wir bekennen uns ohne Wenn und Aber zur Tierhaltung. Aber nur zu einer Tierhaltung, die Umwelt-, Tierwohl- und Sozialstandards in der Erzeugung und der nachgelagerten Verarbeitung einhält. So soll sie unserer Landwirtschaft den Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft ebnen. Genau deshalb haben wir den Tierschutzplan zu einer ,Niedersächsischen Nutztierstrategie – Tierschutzplan 4.0‘ weiter entwickelt. Einen weiteren Schritt machen wir jetzt mit der Förderung einer Modellregion für nachhaltige Nutztierhaltung. Damit setzt Niedersachsen ein starkes Zeichen für eine Tierhaltung, in der Mensch und Tier im Mittelpunkt stehen!“