Die COVID-19-Ausbrüche in Schlachtbetrieben haben überfällige Diskussionen um die dortigen Arbeitsbedingungen angestoßen. Dass die Politik hier endlich ihre Verantwortung wahrzunehmen verspricht, ist nach Ansicht der Bundestierärztekammer (BTK) sehr zu begrüßen. Da die BTK aber eine weitere Zuspitzung der Situation erwartet, hat sie die Einberufung eines sofortigen Krisengipfels gefordert.
Angesichts der derzeitigen Betriebsschließungen und der insgesamt verringerten Schlachtkapazitäten mit einem Wegfall von mehreren Zehntausend Schlachtungen pro Tag sieht die BTK aktuell aber große Tierschutzprobleme. „Der plötzliche Wegfall von Schlacht- und Zerlegekapazitäten hat unmittelbare Auswirkungen auf die tierhaltenden Betriebe und die Tiere in den Ställen", betont Dr. Uwe Tiedemann, Präsident der Bundestierärztekammer. Dabei können tierschutzrelevante Probleme entstehen:
- Es kommt zu höheren Besatzdichten und zur Überbelegung in den Ställen, was insbesondere bei sommerlichen Temperaturen mit einer höheren Kreislaufbelastung für die schweren Tiere einhergeht. Es ist nicht auszuschließen, dass dadurch vermehrt Tiere verenden.
- Die Transportwege zu alternativen Schlachtstätten, u.U. sogar im Ausland, werden deutlich länger. Gerade in der warmen Jahreszeit sind lange Transporte aber kritisch und sollten vermieden werden. Für ohnehin kreislaufschwache Tiere ergeben sich zusätzliche Belastungen.
- Auch in den Küken- und Ferkelaufzuchten ist ein Rückstau mit entsprechenden Überbelegungen der Ställe zu erwarten.
Fehlende Schlachtkapazitäten durch andere Standorte zu kompensieren ist nach Ansicht der BTK nur schwer möglich: Die notwendigen Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln haben bereits deutliche Kapazitätseinbußen zur Folge. Darüber hinaus stehen aufgrund der branchenweiten Tests und zahlreicher offener Testergebnisse weniger Mitarbeiter zur Verfügung. Daher müssen die Schlachtzahlen allgemein zurückgefahren werden. Die Forderung, Produktionspersonal in Schlachtung und Zerlegung zweimal wöchentlich zu testen, verstärkt diesen Kapazitätsmangel. Eine kurzfristige Erhöhung der Schlachtkapazitäten in bisher nicht betroffenen Schlachtbetrieben dürfte daher auch bei gutem Willen aller Beteiligten schwierig werden. Es ist zu erwarten, dass sich die Lage weiter zuspitzt.
Die BTK fordert die Bundesregierung daher auf, umgehend einen Krisengipfel unter Einbeziehung von Tierärzten, Landwirten, Schlachthofbetreibern und zuständigen Behörden einzuberufen, um schnell Lösungen für die aktuelle Situation zu finden.
„Die Konzentration auf wenige große Schlachtunternehmen, die zu Lasten regionaler Betriebsstrukturen ging, rächt sich jetzt", ergänzt der BTK-Präsident. Allerdings reiche die notwendige Diskussion um einen Wandel des Systems in der akuten Situation nicht aus. Auch die Forderung der Politik, Bestandszahlen vorübergehend zu reduzieren, greife kurzfristig nicht. Es müssten praktikable, tierschutzgerechte Lösungen für die Tiere gefunden werden, die jetzt in der Mast und Aufzucht sind. Hier seien die Haltungs- und Schlachtbetriebe in enger Zusammenarbeit mit den Veterinärbehörden gefordert. Es kann laut BTK nicht sein, dass schlicht keine Schlachttiere mehr angekauft und die Problemlösung den tierhaltenden Betrieben überlassen wird.