Auch wenn die Politik gerade eher rückwärts als nach vorne weist, wird auch weiter mutig geackert.
Jochen Hartmann sitzt rittlings auf einem Beetdamm auf seinem Acker und zieht seine Hand durch die Dammflanke. Obwohl Wind geht und die Sonne scheint, ist im Innern des Damms noch Feuchtigkeit. Oben spitzen zwei Reihen Sommergerste aus der Krone. Mit Begeisterung berichtet der Bauer aus dem niedersächsischen Rettmer vor den Toren Lüneburgs von den Vorteilen der Dämme: Sie erwärmten sich im kalten Frühjahr schneller, trockneten zwar gut ab, hielten im Innern aber das Wasser durch Kamineffekte, sorgten mit einer guten Krümelstruktur und mehr Durchlüftung für gute Durchwurzelungsbedingungen und damit Humusaufbau und mehr Ertrag für die Kulturpflanze. Das ist alles kein neues System und sind keine neuen Erkenntnisse, im Ackerbau aber immer noch exotisch. Und dann stehen bei den Hartmanns auch noch Pappelreihen auf dem Acker neben den Dämmen und mindern die Winderosion. Das ist noch exotischer und damit erntet Hartmann dann wirklich oft genug Kopfschütteln bei den Nachbarn. Denn Bäume und Dämme machen Arbeit, es stehen weniger Kulturpflanzen auf der gleichen Fläche. Dass die positiven Auswirkungen im Hinblick auf Klimaherausforderungen, Bodenschutz und Humusaufbau mindestens langfristig auch ein Beitrag zur Ertragssicherung sind, sehen Bauern wie Hartmann, aber eben nicht jeder. Gleichgesinnte sind mit ihm im Klimafarming-Projekt des Netzwerks Nachwachsende Rohstoffe und Bioökonomie e. V. in Niedersachsen organisiert. Sie treffen zum Feldtag in Rettmer auch auf die Landwirtschaftsministerin des Landes, Miriam Staudte (Grüne), die das Projekt mit finanziert.
Auch Herrmann Cordes ist mit seinem Betrieb im Landkreis Rotenburg im Projekt. Die betriebliche Vielfalt mit 110 Milchkühen und 520 Mastschweinen, einem Ackerbau mit intensivem Zwischenfruchtanbau und mindestens fünf Hauptfrüchten habe vor zehn Jahren bei Beratern nur Stirnrunzeln ausgelöst. „Es gab eine Phase, da musste alles billiger werden in der Landwirtschaft“, so Cordes. Zunächst sei auch mit immer mehr Düngung immer mehr geerntet worden, aber dann sei es in seiner Region mit der Ertragsentwicklung irgendwann rückwärtsgegangen. Er selbst setze schon länger auf die intensive Durchwurzelung, einen reduzierten Mineraldüngereinsatz, arbeite mit Bodenhilfsstoffen, um das Bodenleben zu aktivieren und Humus aufzubauen. „20 Prozent weniger Mineraldünger, wie sie jetzt im Zusammenhang mit der Düngeverordnung diskutiert werden, waren bei mir nie ein Drama“, sagt er.
Auch Burkhard Fromme ist mit seinem Betrieb im Projekt und preist die Vielfalt in der Fruchtfolge mit seinen zehn Gliedern, die Dauerbegrünung, den Bodenschutz und die Biodiversitätseffekte der geringeren Intensitäten. Gleichzeitig fehlen ihm wie auch den anderen mit ähnlichen Ansätzen die Vermarktungsmöglichkeiten für Sonnenblumen, Buchweizen und Co. Da könne auch die Politik noch steuern, so die Auffassung der Praktiker. Er brauche deutlich weniger Pflanzenschutzmittel, so Fromme, aber er brauche Glyphosat, um es gezielt an Problemstellen einsetzen zu können.
Rolle rückwärts?
Sieht so die Zukunft des Ackerbaus aus? Man konnte die Hoffnung haben in der Scheune von Hof Hartmann. Gleichzeitig wirkt die Realität nach den Bauernprotesten und den darauf folgenden Rücknahmen von Umweltauflagen in der europäischen Agrarpolitik momentan fast eher gegenläufig. Die Bauern machten schon alles richtig und das werde nun endlich auch von der Politik anerkannt, so äußerte sich Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied nach der Brüsseler Entscheidung, den Green Deal zurückzunehmen. Zuvor war schon die Glyphosatzulassung verlängert und die umstrittene Pestizidreduktionsgesetzgebung (SUR) zurückgenommen worden. Diese Gleichzeitigkeit der Ereignisse habe vielleicht auch dazu geführt, so sagt es Horst-Henning Steinmann, Agrarwissenschaftler am Zentrum für Biodiversität und nachhaltige Landnutzung der Uni Göttingen, dass so etwas wie ein Aufatmen durch den Sektor gegangen sei, nach dem Motto: Endlich ist der Spuk vorüber. Und es sei auch möglich, dass in diesem Frühjahr vor dem Hintergrund der Agrardieseldebatte und dem Umstand, dass noch nicht klar gewesen sei, wie die Anwendungsverordnung beim Glyphosat angepasst werde, der eine oder andere Landwirt mehr mit der Spritze losgefahren sei und den teureren zusätzlichen Bodenbearbeitungsgang gespart habe. Gleichzeitig betont er die Diversität der Landwirtschaft und die Entwicklungen der letzten Jahre unter den strengeren agrar-umweltpolitischen Vorzeichen: „Wer sich auf den Weg gemacht hat, wird auch weiter hacken und striegeln“, glaubt Steinmann, allein schon, weil zunehmend auch andere Wirkstoffe fehlten, „der Werkzeugkasten bei Herbiziden wird kleiner.“ Mit der Wiederzulassung von Glyphosat müsse man einen Dämpfer in Sachen Innovationsdruck „im Bereich Pfluglos ohne Glyphosat“ hinnehmen. Ansonsten werde man, so Steinmann, an der Entwicklung bei der jährlichen Verbrauchsmenge von bislang rund 4.000 Tonnen Glyphosat sehen, ob wieder mehr Betriebe auf die vereinfachte Arbeitsorganisation mit dem Mittel umstellten. Eine Steuerung durch Abgaben oder einen Genehmigungsvorbehalt, wie er kurzzeitig in einem Gesetzentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums aufgetaucht war, hält er zwar für interessant, aber weder administrativ noch politisch umsetzbar. Besonders jetzt, nach der „verkorksten“ SUR. „Da ist durch die pauschale und umfangreiche Gebietsausweisung viel Porzellan zerschlagen worden.“ Dabei habe es in der Vergangenheit, so der Göttinger Wissenschaftler, „schon weh getan, die engen Fruchtfolgen zu sehen, die zum Teil gefahren wurden“.
Nicht Maschinen fördern
Seine Auffassung ist, dass man mit einer Regelung, wie die im Green Deal vorgesehene Fruchtfolgekonditionalität (GLÖZ 7) denjenigen mit den extremen Mais- und Weizenfolgen einen Schuss vor den Bug setzen könnte. „Grundsätzlich ist aber mein Eindruck, die schlimmste Phase in Sachen Fruchtfolgen ist vorbei.“ Gleichzeitig sagt Steinmann aber auch: „Wir müssen die Landwirtschaft insgesamt auf eine umweltfreundliche Spur bringen.“ Das ginge allerdings nicht durch investive Maschinenförderung, das sei bei der Bauernmilliarde einmal mehr deutlich geworden. Besser könnte Steinmann sich eine Ökoregelung zum Einsatz mechanischer Unkrautbekämpfung vorstellen, bei dem der Einsatz der Maschinen dokumentiert werden müsse. „Und irgendwann müssen dann die Innovationen auch ökonomisch alleine laufen“, so Steinmann.
Mischkalkulation
Auf dem Hof Hartmann tragen gerade noch die Hühner die Innovationen auf dem Acker mit. Auch sie leben beschattet und geschützt unter Pappelreihen auf angesätem Grünland in Mobilställen publikumswirksam an der Durchgangsstraße. Die wissenschaftliche Begleitung der Universität in Hannover weist mehr CO2-Speicherung für das Grünland dort aus als für Wald. Die Direktvermarktung von Eiern und Hähnchen ist zentrales Standbein des Betriebs Hartmann. Beim Ministerinnentermin ist eins der Hühner ausgebüxt und begutachtet neugierig die Besuchergruppe. „Den Mutigen gehört die Welt“, kommentiert jemand schmunzelnd.