"Bürokratieabbau statt Abbau von Umweltauflagen!"

Josef Settele, Professor in Halle, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung und im Weltbiodiversitätsrat IPBES, im Interview:

Unabhängige Bauernstimme: Unter dem Thema Bürokratieabbau werden gerade auf EU-Ebene Umwelt- und Klimaschutzstandards geschliffen. Was sagen Sie dazu?

Josef Settele: Ich bin durchaus einer gewissen Verzweiflung nahe. Nach Jahren der Zuarbeit in den Green Deal auf wissenschaftlicher Ebene zum Beispiel durch die Konvention für biologische Vielfalt in Montreal (CBD) 2022 soll jetzt alles für die Katz gewesen sein? Es steht in keinem Verhältnis, wenn jetzt an allen Ecken und Enden mit viel Mühe über einen langen Zeitraum zustande gekommene Verhandlungsergebnisse auf die Schnelle kassiert werden. Aus meiner Sicht war schon der erste Schritt nach Beginn des Ukraine-Kriegs, die Verpflichtung zu vier Prozent Brachen zunächst auszusetzen, ein reines Ablenkungsmanöver. Man hätte ganz andere Stellschrauben gehabt, wenn es um eine Sicherung landwirtschaftlicher Einkommen gegangen wäre.

In der inzwischen auch kassierten, aber ursprünglich geplanten Reduktionsstrategie für Pestizide (SUR) ging es, etwas salopp gesagt, um eine Festlegung auf Schutz- und Schmutzgebiete. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Schwarz-weiß ist sowieso nicht mein Ding. Man muss immer einen praktikablen Weg finden und zum Beispiel gewisse Anwendungen bei bestimmten speziellen Problemstellungen mitunter auch mal in Schutzgebieten zulassen. Das größere Problem mit der SUR war/ist aus meiner Sicht, dass zwar eine große Mehrheit sich im Ziel einig ist, aber niemand sich auf den Weg zu machen traut, weil hier Unstimmigkeiten bestehen, wenngleich bereits in Montreal auf der CBD Einigkeit darin bestand,  eine Reduktion des Einsatzes um die Hälfte anzustreben, bezogen auf die Toxizität der Substanzen. Der Entwicklungsprozess um die SUR war sehr ernüchternd, sie ist mal als Tiger losgesprungen und als Bettvorleger gelandet.

Gerade ist noch das Renaturierungsgesetz im EU-Parlament durchgegangen, es war allerdings ein Kompromiss. Ist der aus Ihrer Sicht ausreichend?

Es ist ein Kompromiss, der ausreicht, auch wenn es noch viele Aspekte gegeben hätte, die uns weiterbringen würden. Es baut auf dem Schutz der Bestäuber auf – und Bienen und Co. stehen alle über das ganze parteipolitische Spektrum hinweg freundlich gegenüber. Es geht um eine starke Verbesserung der Agrarlandschaft, in der das Ausräumen und Pestizide definitiv Schaden hinterlassen. Wir müssen die Bestände der Wildbienen, von denen wir in Deutschland etwa 600 Arten haben, wieder verbessern. Sie sind essentiell und brauchen wieder mehr Struktur in der Landschaft. Sie brauchen Blühstreifen als Tankstellen, aber auch Rückzugsorte wie offene Bodenstellen als Heimat, um sich zu reproduzieren.

Was sagen Sie den Bauern, die sich durch immer höhere Umweltauflagen gegängelt und in ihrer ökonomischen Existenz bedroht sehen?

Wenn die Bauern jetzt über zu viel Bürokratie klagen, darf das nicht gleichgesetzt werden mit zu viel Umweltauflagen. Es könnte viel an bürokratischen Regelungen im engeren Sinne vereinfacht werden auf der Ebene von vereinfachten Erhebungen und Regelungen – durchaus auch verbunden mit einer Reduktion des Misstrauens den Landwirten gegenüber. Die Bauern, die jetzt auf die Straßen gehen, haben berechtigte Anliegen und wollen aber auch die Natur erhalten. Aber sie sind gefangen in Kontexten, die sie nicht von Herzen verfolgen, denen sie sich aber beugen, weil sie glauben, sonst nicht überleben zu können. Ganz viel geht es auch um Kommunikation. Das fällt mir immer wieder auf, wenn ich mit Bauern spreche. Viele sind offen für Veränderungen und natürlich für den Erhalt der Vielfalt. Das kommt zum Teil auch aus der konservativen und religiös beeinflussten Grundhaltung vieler, dem Erhalt der Schöpfung, der Mitlebewesen. Schwieriger ist es schon auf der Verbandsebene. Da geht es dann eher darum, das zu machen, womit ich direkt Geld verdienen kann. Aber mit dem Verlust der Vielfalt schaffen wir auch ein funktionierendes Agrarsystem ab. Damit ein solches System funktioniert, brauche ich Nützlinge, die die Schädlingspopulationen eindämmen. Ob Pestizide langfristig besser wirken, ist nicht gesagt. Biodiversität ist wichtig in ihrer Funktion in der Agrarlandschaft, Biotopverbünde, damit Laufkäfer immer wieder Rückzugsräume finden und nicht fünf Kilometer am Stück laufen müssen, Hecken als Windschutz gegen Erosion und damit Wasser auf den Flächen gehalten wird.

Aber Geld verdienen müssen die Bauern und Bäuerinnen doch auch?

Durch solche Maßnahmen verbessert sich die Bodenfruchtbarkeit und es ist erwiesen, dass man damit zu gleich bleibenden oder sogar höheren Erträgen kommt, nicht sofort vielleicht, aber auf längere Sicht – kombiniert natürlich mit Veränderungen in den Anbausystemen, wo das Produzierte stärker der direkten Ernährung der Menschen dient, als den Umweg über das Tier zu nehmen. Erträge sind dann bezogen auf das, was wir pro Fläche am Ende als Nahrung zu uns nehmen, was nicht mit Tonne pro Hektar gleichzusetzen ist. Zudem müssten die Umweltkosten inputintensiver Produktionsverfahren mit in den Produktpreisen abgebildet werden, was nachhaltiger produzierte Lebensmittel auf dem Markt konkurrenzfähiger machen würde. Und wenn Landwirtschaft einen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität leistet, muss das auch von der Gesellschaft honoriert werden.

Vielen Dank für das Gespräch!