Tier- und Umweltschutzorganisationen kritisieren Verlauf des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung

Die an den Arbeitsgruppen des Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung beteiligten Organisationen Deutscher Tierschutzbund, Deutsche Umwelthilfe, PROVIEH und VIER PFOTEN haben sich in einem offenen Brief an den Vorsitzenden Jochen Borchert gewandt. Darin kritisieren sie den bisherigen Arbeitsverlauf, die sich abzeichnenden Ergebnisse und dass der Eindruck vermittelt wurde, ein Konsens sei in Sicht. Stattdessen fordern die Organisationen den Vorsitzenden auf, deutlich mehr Tierwohl einzufordern. Kein Verständnis für die Äußerungen der Tierschützer zeigt der agrarpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff. Und in der aktuellen Ausgabe der Unabhängigen Bauernstimme erklärt der AbL-Vorsitzende Martin Schulz, dass die Borchert-Kommission nicht alle Probleme der Tierhaltung lösen könne, die von ihr gemachten Vorschläge aber dazu geeignet seien, Perspektiven für die Bäuerinnen und Bauern zu eröffnen, da sie die „reine Lehre der Produktivitätssteigerung auf Kosten der Tiere durchbrechen“. 2019 wurde als Beratungsgremium zur Umsetzung und Weiterentwicklung der Nutztierstrategie vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung unter dem Vorsitz von Jochen Borchert eingerichtet. In diesem Zusammenhang wurden auch Arbeitsgruppen gebildet, in denen die heterogenen Interessengruppen gemeinsam über Problemlagen und Lösungen diskutieren sollten. „In öffentlichen Darstellungen ist immer wieder der falsche Eindruck vermittelt worden, der bisherige Verlauf und die zu erwartenden Resultate seien von Konsens unter den beteiligten Gruppen geprägt und von allen mitgetragen“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der vier Tierschutz- und Umweltorganisationen. Dazu erklären die an den Arbeitsgruppen Schwein, Geflügel, Rind und Bauen beteiligten Organisationen Deutscher Tierschutzbund, Deutsche Umwelthilfe, PROVIEH und VIER PFOTEN: „In diesen Darstellungen ist ein verzerrtes Bild gezeichnet worden, das ganz wesentlicher Korrekturen bedarf. Von einem Konsens sind wir meilenweit entfernt und es ist auch nicht zu sehen, wie dieser erreicht werden kann. Wirkliche Umstellungsanreize werden nicht gesetzt. Stattdessen sollen höchst tierschutz- und zum Teil gesetzeswidrige Praktiken nicht abgestellt, sondern im Gegenteil mit dem Label „Tierwohl“ ausgezeichnet werden. Wenn das ganze Vorhaben nicht zur Farce und zu einer breit angelegten Täuschung der Verbraucher*innen werden soll, muss der Vorsitzende nun eingreifen.“ Die vier Tier- und Umweltschutzorganisationen führen nach eigen Worten in ihrem gemeinsamen Schreiben mehrere kritische Punkte an – darunter etwa, dass die Arbeit der “Borchert-Kommission” zu eng an das vom BMEL geplante freiwillige Tierwohlkennzeichen geknüpft ist sowie die Tatsache, dass die tierhaltenden Betriebe ohne weitere Anstrengungen und merkliche Fortschritte im Tierschutz das Kennzeichen erhalten sollen. Das bedeute beispielsweise, dass Schweine weiterhin mit kupierten Ringelschwänzen auf engstem Raum auf Betonspaltenboden ohne Einstreu gehalten werden können und dies mit mehr Tierwohl ausgelobt werden soll. Ostendorff: Affront gegenüber den Teilnehmenden
Der Agrarsprecher der grünen Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff, teilte die Kritik der vier Organisationen nicht. Seiner Ansicht nach hat nach eignet sich „die Arbeit der Untergruppen nicht zur Verkündung einer Wasserstandsmeldung auf den Marktplätzen“. Der offene Brief sei „ein Affront gegenüber den Teilnehmenden, die ernsthaft nach Kompromissen suchen“. Dies nutze am Ende nur denjenigen, die den Status quo der Tierhaltung zementieren wollten. Verwunderlich sei, dass der Deutsche Tierschutzbund zu Beginn der Arbeit der Borchert-Kommission nicht die Chance genutzt habe, am großen Tisch mitzuarbeiten und nun stattdessen von der Seitenlinie aus kommentiere. Schulz: Bäuerinnen und Bauern müssen Vermarktung selbst in die Hand nehmen
Unterdessen hat der AbL-Bundesvorsitzende Martin Schulz darauf hingewiesen, dass die Vorschläge der Borchert-Kommission nur „bedingt Lösungen herbeiführen könne“, wenn es beispielsweise um die Weltmarktorientierung gehe. Die vorgeschlagene Tierwohlprämie solle nur den Mehraufwand ausgleichen, der durch die Kosten des Umbaus und vor allem der anschließenden Mehrarbeit entstehe. „Die Basispreisfindung findet weiter am Weltmarkt statt. Die Borchert-Vorschläge durchbrechen allerdings die ständige Produktivitätssteigerung auf Kosten der Tiere, weil pro Tier wieder mehr Stunden benötigt werden“, schreibt Schulz in der Bauernstimme. Bäuerinnen und Bauern müssten aber im nächsten Schritt die Vermarktung ihrer Tiere selbst in die Hand nehmen, bzw. sich bündeln, damit Verarbeiter und Handel nicht allein von der Marktdifferenzierung profitieren und die Tierhalter wieder leer ausgehen. Die Politik sollte dieses mit im Blick haben, weil die Strukturfrage für die Akzeptanz der Tierhaltung ebenso wichtig ist wie deren Umbau zu mehr Tierwohl. Sollten am Ende nur noch Strukturen stehen, wie sie mit den ehemaligen agrarindustriellen Straathoff-Betrieben in den neuen Bundesländern entstanden sind, wird es wieder keine gesellschaftlich akzeptierte Tierhaltung geben“, so Schulz in der aktuellen Ausgabe der Bauernstimme.