Albert Stegemann ist neuer stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion für die Bereiche Ernährung, Landwirtschaft und Heimat sowie Gesundheit. Zuvor war er agrarpolitischer Sprecher der Fraktion und hat noch als solcher in einem Interview mit Agra Europe unter anderem seine Vorstellungen zur Zukunft der Tierhaltung geäußert. Ignoranz gegenüber gefassten Beschlüssen wirft ihm angesichts in dem Interview gemachter Äußerungen die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) vor und Bioland spricht von „rückwärtsgewandten Gedankenspielen“.
In dem Interview mit Agra Europe erklärt Stegemann auf die Frage, ob auch laufende Tierwohlkosten finanziell unterstützt werden, die beim Umbau in Richtung mehr Tierwohl den Löwenanteil ausmachen: „Nein. Ich bin ein sehr großer Freund von Investitionskostenzuschüssen, weil sie rechtssicher und eigenkapitalwirksam sind. Sie lösen private Investitionen aus und bringen den Wirtschaftskreislauf in Schwung. Sie erhöhen die Kreditwürdigkeit und erleichtern eine zusätzliche Darlehensaufnahme.“ Gegenüber einer Unterstützung der laufenden Kosten sei er „skeptisch“, weil die notwendige Sicherheit nicht gegeben sei, das gelte auch, wenn als Grundlage staatliche Verträge dienen würden. Zu der Feststellung, dass er sich damit vom Borchert-Konzept verabschiede, sagt Stegemann: „Zumindest in Teilen. Wir wollen bewusst die Tierhaltungsstufe 2, Stallhaltung Plus, in die Investitionsförderung einbeziehen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Ansatz, nur noch die Tierhaltung in den Stufen 3, 4 und 5 weiterzuentwickeln, nicht vom Markt angenommen wird. Das hat sich in den vergangenen Jahren bei steigenden Lebensmittelpreisen gezeigt. Denkbar ist jedoch, die Investitionsförderung in den höheren Stufen etwas attraktiver auszugestalten. Wir können aber nicht 95% des zukünftigen Marktes ignorieren und dort keine Förderung anbieten.“
AbL: Bäuerinnen und Bauern dürfen nicht mit den hohen laufenden Mehrkosten sitzengelassen werden.
Angesichts der Äußerungen von Stegemann sieht die AbL die CDU/CSU jetzt in der Pflicht, Planungssicherheit für tierhaltende Betriebe herzustellen. Die CDU/CSU-Fraktion ist mit dem Antrag des Bundestags, die Borchert-Kommission also auch die Finanzierung der laufenden Mehrkosten umzusetzen, im Wahlkampf angetreten. Noch im Januar 2025 hat die Fraktion gefordert: „(…) die tragfähigen und gesellschaftliche anerkannten Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung („Borchert-Kommission“) zur Zukunft der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Deutschland umzusetzen“. Davon weicht Stegemann in dem Interview ab, obwohl im Koalitionsvertrag ebenfalls staatliche dauerhafte Verträge vorgesehen sind.
Dazu erklärt Martin Schulz, AbL-Bundesvorsitzender und Neuland-Schweinmäster: „Das partei- und verbändeübergreifende Expertengremium der Borchert-Kommission hat mit staatliche langfristige Verträge immer die Finanzierung der laufenden Mehrkosten gemeint. Die politische Diskussion, die aktuell geführt wird, ist für uns tierhaltende Betriebe ein Affront. Zum einen: ohne einen Finanzierungsausgleich der laufenden Mehrkosten würden Betriebe kaum in höhere Haltungsstufen investieren. Zum anderen: alleinige Förderung der Investitionskosten, dann würden alle Betriebe, die jetzt schon in Tierwohl investiert haben, leer ausgehen. Weder erhalten sie nachträglich eine investive Förderung, noch sollen sie bei den hohen laufenden Mehrkosten unterstützt werden. Aber genau das ist der Schlüssel, und nur dann kann und wird der Umbau der Tierhaltung zu mehr Tierwohl gelingen. Jetzt und schon seit langer Zeit erwirtschaften wir Tierhalter:innen kaum kostendeckende oder gar gewinnbringende Preise am Markt. Die AbL fordert von der neuen Bundesregierung politische Rahmenbedingungen, dazu gehören staatliche langfristige Verträge zur Förderung der höheren Arbeitskosten – das ist bereits als rechtssicher geprüft. Außerdem müssen wir Bäuerinnen und Bauern am Markt überhaupt teilnehmen können, indem wir vor Lieferung über Preise und Konditionen verhandeln können.“
Bioland: Konsens zum Umbau der Tierhaltung nicht aufkündigen!
Kritik an der Position von Stegemann kommt auch von Bioland-Präsident Jan Plagge: „Seit einigen Jahren befinden wir uns auf dem Pfad für eine tierwohlgerechtere Nutztierhaltung in Deutschland. Grundlage dafür ist der Konsens zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, der in der Zukunftskommission Landwirtschaft und der Borchert-Kommission geschaffen wurde. Damit dieser gesellschaftlich gewollte Wandel voranschreiten kann, werden Betriebe über ein Bundesprogramm für Haltungsformen der oberen Haltungsstufen 3, 4 und 5 gezielt gefördert. Auch der Lebensmittelhandel setzt auf die höheren Stufen und fordert eine Fortsetzung dieses Ausbaupfades. Herr Stegemann schlägt nun vor, Haltungsstufe 2 in die Investitionsförderung einzubeziehen. Damit würden nicht nur jegliche Ambitionen für mehr Tierwohl aufgegeben, sondern auch die Pläne des Lebensmitteleinzelhandels für Produkte mit mehr Tierwohl konterkariert."
Zudem will Stegemann die Zahlung von dauerhaften Tierprämien im Bundesprogramm zum Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung streichen, so Bioland. Damit werden aktuell in der Schweinehaltung die laufenden Mehrkosten, zum Beispiel für viel mehr Platz der Tiere im Stall und Auslauf sowie erhöhter Betreuungsaufwand, ausgeglichen. „Damit wird den Betrieben die Planungssicherheit genommen. Besonders die Betriebe mit hohen Haltungsstufen haben das Nachsehen", mahnt der Bioland Präsident.
Und Gerald Wehde, Geschäftsleiter Agrarpolitik und Kommunikation, ergänzt: „Was Herrn Stegemann vorschwebt, kann unmöglich mehrheitlich die Meinung der Union sein. Denn es würde bedeuten, dass man den Neubau von nicht tierwohlgerechten Ställen mit Steuergeldern unterstützt. Für diese Sicherung des Status quo gibt es in der Gesellschaft keine Akzeptanz. Der neue Landwirtschaftsminister sollte sich von diesen rückwärtsgewandten Gedankenspielen nicht beeinflussen lassen und stattdessen dafür sorgen, dass die Tierhaltung zukunftsfähig umgebaut wird. Dazu braucht es den Ausbau und die Ausdehnung des Bundesprogramms auf alle Tierarten mit beiden Fördermaßnahmen: Investitionsförderung und Tierprämien."