Elisabeth Waizenegger, Milchbäuerin im AbL-Bundesvorstand, im Interview zum Handlungsbedarf für eine zukunftstaugliche Milchpolitik:
Unabhängige Bauernstimme: Wie ist die wirtschaftliche Situation für bäuerliche Milchviehbetriebe zur Zeit?
Elisabeth Waizenegger: Auch wenn die Erlöse im Milchbereich in letzter Zeit auf einem höheren Niveau verharren, kostendeckend sind sie nicht. Das gilt sowohl für den konventionellen als auch für den ökologischen Bereich. Der MMI (Milchmarker Index, herausgegeben von der MEG Milch Board) zeigt das schon lange. Im Biobereich war diese Kennzahl nie so präsent, obwohl die Unterdeckung nicht weniger ausgeprägt war und in den letzten Jahren sogar höher ist. Viele Betriebe können Gewinne ausweisen, aber der Preis dafür ist für viele Bäuerinnen und Bauern hoch: Die Arbeit, die getan werden muss, wird geleistet – doch sie wird auf vielen Betrieben immer mehr, ist aber umgerechnet nur sehr niedrig entlohnt. Viel Arbeit wird unentgeltlich von den sogenannten mitarbeitenden Familienangehörigen erbracht. Gleichzeitig leiden viele Menschen auf den Höfen an Überlastung und Erschöpfung. Letzteres ist für mich schon sehr bedrückend.
Was sind agrarpolitische Hebel, um die wirtschaftlichen Perspektiven für Milchbäuerinnen und -bauern zu verbessern?
Ein Weg aus dieser Falle wäre eine stärkere Marktposition für uns. Es gäbe durchaus Ansatzpunkte, um wenigstens einmal einen Anfang in diese Richtung zu machen: Da wäre z. B. der Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung der EU, mit dem verpflichtend Milchlieferverträge eingeführt werden könnten, oder eine Stärkung der Erzeugerposition durch ein Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten. Mir ist klar, dass das alles keine Allheilmittel sind, aber es wären erste Schritte, die die Bereitschaft erkennen ließen, an dieser für uns sehr unbefriedigenden Position etwas zu ändern. Leider sind und werden die Anläufe des derzeitigen Bundeslandwirtschaftsministeriums dazu bisher von mehreren Seiten blockiert und schlechtgeredet: aus der Branche von Bauernverband, Raiffeisenverband und Molkereien und aus der Politik von FDP und den Unionsparteien.
Oft wird dabei angeführt, der Markt würde das regeln und Milch werde nun mal international gehandelt ...
Die Aussage, der Milchpreis könne nicht beeinflusst werden, da er am Weltmarkt entstehe, empfinde ich als sehr verächtlich unseren Anliegen gegenüber. Wenn ich die Preisentwicklung vieler anderer Produkte und die Begründungen für die teils enormen Preissteigerungen betrachte, dann scheint der Milchpreis so ziemlich der einzige weltmarktabhängige, nicht zu beeinflussende Preis zu sein. Denn als Grund für viele Preiserhöhungen werden ausgerechnet Kostenerhöhungen genannt – die beim Milchpreis aber keine Rolle spielen sollen? Immerhin werden bei einem aktuellen Vorstoß der EU-Kommission zur Vertragsgestaltung im Milchsektor die Produktionskosten eingebracht.
Gibt es noch andere drängende Themen für den Aufgabenzettel der zukünftigen Bundesregierung?
Für den Umbau der Tierhaltung fehlen einfach nach wie vor Informationen darüber, wo die Reise hingehen soll: Welche Vorgaben werden in welchem Zeitraum bei den einzelnen Tierarten auf uns zukommen – und damit welche Investitionen? Eine umfassende Tierhaltungskennzeichnung führt zwar nicht zwingend zu besseren Marktbedingungen für Tierhaltungsformen mit höherem Aufwand, könnte aber eine Voraussetzung sein für ein System, so wie es die Borchert-Kommission vorgeschlagen hat, in dem ein Teil der Kosten für den Umbau über ein Umlagesystem vom Staat getragen wird. Der Markt wird es – selbst im besten Fall – nicht richten (können). Da der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) bei der Kennzeichnung schon sehr vorgelegt hat, wäre es sinnvoll, wenn bereits bestehende Kennzeichnung und vorgesehene staatliche Kennzeichnung zusammengeführt und nicht zwei Systeme etabliert würden. Und beim Blick auf die Tierhaltungsform ist für mich die Stärkung der Weidehaltung ein weiteres wichtiges Puzzleteil.
Welche Unterstützung für Weide als artgerechte, aber selten gewordene Haltungsform für Milchkühe wäre wirkungsvoll?
Hier könnte gezielt über die Schiene der Ökoregelungen im Rahmen der ersten Säule der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) gefördert werden. Denn auf diese Weise könnten die Weidebetriebe in ganz Deutschland profitieren – und nicht nur die, in deren Bundesländern bereits Weideprämien in der zweiten Säule existieren. Von der Ausstattung her müsste es eine echte Honorierung einer guten Weidehaltung sein, um die bestehenden Weidebetriebe für ihre Arbeit zu entlohnen und für andere Betriebe Anreize zu schaffen, die Weidehaltung einzuführen.
Dabei geht es um eine Anpassung im Rahmen der aktuellen Förderperiode der GAP. Aber die zukünftige Bundesregierung wird auch die nächste Reform mitbestimmen.
Da würde ich mir wünschen, dass der Umstieg in ein neues, praxistaugliches Fördersystem weg von den Flächenprämien hin zu einer echten Honorierung gesellschaftlicher Leistungen schneller vonstattenginge. Es ist für mich angesichts der Veränderungen beim Klima und auch der vielfältigen Belastungen bei Ökologie und Biodiversität absolut wichtig, dass Bäuerinnen und Bauern für diesen Teil ihrer Arbeit eine angemessene finanzielle Unterstützung bekommen. Ganz grundsätzlich bin ich sehr gespannt, wie sich die Agrarpolitik weiterentwickeln wird. Die CDU, die sich schon als nächste Regierungspartei sieht, steht ja nicht unbedingt für Veränderungen auf diesen Themengebieten. Ich erwarte aber von allen möglichen Regierungsparteien einen ernsthaften Einsatz für zukunftsfähige lebendige ländliche Strukturen – und versuche mir in dieser Hinsicht einen gewissen Optimismus zu bewahren.
Vielen Dank für das Gespräch!