Gesetz in Spanien stärkt Position der Erzeuger

Im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken und der Situation der Bäuerinnen und Bauern in der Wertschöpfungskette wird immer Mal wieder auf ein möglicherweise als Vorbild dienendes Gesetz zur Berücksichtigung der Produktionskosten in der Primärerzeugung im LEH in Spanien verwiesen, zuletzt beispielsweise von der NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) im Bundesrat. Marita Wiggerthale von der Organisation Oxfam hat sich das Gesetz angeschaut und ihre Analyse in einem Hintergrund-Papier zusammengefasst. In dem Papier heißt es: In Spanien gibt es seit 2013 ein Lebensmittellieferkettengesetz („Ley de la Cadena Alimentaria“). Es soll die Lieferkette wettbewerbsfähiger, transparenter und effizienter machen als auch die Landwirtschaft stärken, der Gesellschaft und den Verbraucher*innen Vorteile bringen. Mit dem Real Decreto-ley 5/2020, das am 27. Februar 2020 in Kraft getreten ist, wurden zwei wichtige Änderungen vorgenommen. Erstmalig müssen die Produktionskosten verpflichtend im Vertrag aufgeführt werden. Anders ausgedrückt, der vertraglich festgelegte Preis zwischen dem Erzeuger in der Land-, Vieh-, Forst- und Fischereiwirtschaft oder seiner Vereinigung und ihrem ersten Käufer muss ausdrücklich die effektiven Produktionskosten decken (Artikel 9 c) und j). Die Regelung gilt für alle Handelsgeschäfte mit einem wertemäßigen Umfang von mehr als 2.500 Euro. Die entsprechenden Paragraphen im Gesetz lauten:
§9 (c) „[...] In jedem Fall müssen die effektiven Produktionskosten des Produkts, das Gegenstand des Vertrags ist, unter Berücksichtigung der tatsächlich angefallenen, angenommenen oder ähnlichen Produktionskosten des Betreibers berechnet werden. Bei landwirtschaftlichen Betrieben werden Faktoren wie Saatgut und Baumschulpflanzen, Düngemittel, Pestizide, Brennstoffe und Energie, Maschinen, Reparaturen, Bewässerungskosten, Futtermittel für Tiere, Veterinärkosten, Auftragsarbeiten oder die Arbeit von Festangestellten. Unter objektiven Faktoren sind solche zu verstehen, die unparteiisch sind, unabhängig von den Parteien festgelegt werden und denen öffentliche Konsultationsdaten als Referenz dienen [...].“1 §9 (j) „ausdrückliche Angabe, dass der zwischen dem primären landwirtschaftlichen, tierischen, fischerei- oder forstwirtschaftlichen Erzeuger oder einer Gruppe von diesen und ihrem ersten Käufer vereinbarte Preis die effektiven Produktionskosten abdeckt“ Zu den Reaktionen auf das Gesetz schreibt Wiggerthale in dem Papier unter anderem:
Die Bauernorganisation UPA vertritt kleine Landwirte und Viehzüchter. Sie bezeichnet die neuen Regeln als „historischen Erfolg“, weil Landwirte zukünftig gerechte Preise für ihre Produkte erzielen könnten. Die Bildung des Preises von unten nach oben, wie jetzt vom Gesetz vorgesehen, sei der einzige logische und faire Weg. Das neue Gesetz schaffe Rechtssicherheit, weil klar festgelegt sei, dass immer der Käufer für die Zahlung eines gerechten Preises verantwortlich sei. Wichtig sei, das Gesetz jetzt buchstabengetreu umzusetzen. Mit der bisherigen Situation gewönnen nur einige wenige Akteure in der Kette, die sich ihren Anteil am Kuchen nehmen, darunter auch Genossenschaften, und verlören die große Mehrheit der Landwirte und Viehzüchter. Die Genossenschaften verweisen auf ihre mangelnde Verhandlungsmacht gegenüber ihren Abnehmern. Das Landwirtschaftsministerium müsse eindeutig festlegen, welche Elemente bei der Ermittlung der effektiven Produktionskosten zu berücksichtigen seien. Ebenso brauche es Lösungen für Situationen, in denen ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage oder eine sektorale Krise bestehe. Strafen sollten ihrer Meinung nach nur zur Anwendung kommen, wenn der Verkauf unterhalb der Produktionskosten das Ergebnis von Missbrauch ist. Gesetzlich solle ihnen als Genossenschaften erlaubt werden, ihre durchschnittlichen Kosten basierend auf den Durchschnittspreis ihrer Geschäftstätigkeit in einem Wirtschaftsjahr selbst zu ermitteln. Ein Vergleich von Kosten und erzielten Preisen solle über einen Zeitraum von mehreren Jahren oder einen Sektorenzyklus hinweg erfolgen. Die Ernährungs- und Getränkeindustrie verweist einseitig auf die Schwierigkeiten, die auftreten können, etwa bei der Berechnung der Kosten, plötzlichen Preisänderungen oder Veränderungen im Verhältnis von Angebot und Nachfrage.11 Schlussfolgerungen für die Debatte in Deutschland
Das gemeinsame Ziel sollte laut Wiggerthale sein, dass Erzeuger*innen in der Lebensmittellieferkette faire Preise und Arbeiter*innen existenzsichernde Löhne für Arbeiter*innen - hierzulande und in den Produktions-ländern – gezahlt werden. Wer als Politiker*in faire Preise will, kann den gesetzlichen Rahmen dafür schaffen. Wer als Unternehmer*in faire Preise zahlen will, kann sein/ihr Geschäftsmodell daran ausrichten. Faire Preise gibt es nicht ohne faire Marktbedingungen und faire Lieferbeziehungen. Mit der EU-Richtlinie 2019/633 zu unfairen Handelspraktiken („Unfair Trading Practices“, UTP12) wird erstmals Fairness im Lebensmittelhandel gesetzlich verankert. Sie stellt einen wichtigen ersten Schritt dar, löst aber nicht das Problem der Dumpingpreise. Die aktuelle Änderung des Agrarmarktstrukturgesetzes zur Umsetzung der UTP-Richtlinie in Deutschland bietet die Chance, auch bei kostendeckenden Preisen Fortschritte zu machen. Kostendeckende Preise stellen einen integralen Bestandteil der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen in der Lebensmittellieferkette und eine wichtige Voraussetzung für einen sozial-ökologischen Umbau des Ernährungssystems dar. Solange die Preise nicht die sozialen und ökologischen Kosten widerspiegeln, wird es keine Nachhaltigkeit im Lebensmittelbereich geben. Folgende Aspekte sollten laut Wiggerthale/Oxfam bei einem Verbot des Einkaufs unterhalb der Produktionskosten, auch basierend auf den Erfahrungen in Spanien, berücksichtigt werden.
Preisbildung von unten nach oben: Sie ist eine Voraussetzung dafür, dass Landwirte gerechte Preise und Plantagenarbeiter*innen existenzsichernde Löhne erzielen können.
Gerechte Verteilung der Wertschöpfung: Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine Erhebung von Margen innerhalb der Lebensmittellieferkette notwendig. Sie werden in Frankreich bereits von der Preisbeobachtungsstelle erhoben und sind in Spanien geplant.
Definition der „Produktionskosten“: Die Kalkulation der Produktionskosten sollte nicht der Landwirt*in aufgebürdet werden, zumal er/sie über sehr wenig Verhandlungsmacht verfügt. Eine unabhängige Preisbeobachtungsstelle könnte auf der Basis der Produktionskosten der landwirtschaftlichen Betriebstypen inklusive des ökologischen Anbaus das Spektrum von Referenzerzeugerpreisen ermitteln.
Soziale und ökologische Kosten: Eine Preisbeobachtungsstelle sollte für wichtige Produkte die Preise ermitteln, welche die externalisierten sozialen und ökologischen Kosten in der Lebens-mittellieferkette berücksichtigen.
Festlegung von Ausnahmefällen: Es kann Situationen geben, in denen es zeitlich begrenzt sinnvoll sein kann, Lebensmittel zu Preisen zu verkaufen, die nicht die Produktionskosten decken. Diese Ausnahmesituationen sollten ausgeführt werden.
Marktungleichgewicht: Es müssen Lösungen für Märkte identifiziert werden, in denen strukturelle Überschüsse bestehen.
Einkaufsallianzen: Mit einer Untersuchung könnte ihre Rolle bei der Preisbildung und bei unfairen Handelspraktiken im Inland und auf europäischer Ebene geklärt werden.