Für ein neues Leitbild

In Deutschland gibt es viele Anforderungen von Wissenschaft und Gesellschaft an die Art und Weise, wie Landwirtschaft in Zukunft ablaufen soll. Zentral genannt werden der Erhalt der Biodiversität, der Schutz des Grundwassers und mehr Tierschutz in den Ställen. Die Bedeutung landwirtschaftlicher Betriebe und regionaler Strukturen für die Ernährungssouveränität und einen lebendigen ländlichen Raum ist seit Corona und dem Überfall auf die Ukraine noch einmal stärker geworden. Für eine lange Zeit gab es scheinbar unüberwindbare Gräben zwischen den Vorstellungen der Landwirtschaft und einem Großteil der Gesellschaft. In den vergangenen Jahren sind, wenn auch eher als Befreiungsschläge von der Politik, mit der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft gleich zwei Gremien geschaffen worden, die zwar nicht demokratisch gewählt sind, aber in ihrer Zusammensetzung große Teile der Gesellschaft repräsentieren. Die auf einem Konsens beruhenden Ergebnisse beider Gremien liegen seit über einem Jahr vor. Sie sind eine Grundlage für die seit Jahrzehnten geforderte Agrarwende. Statt diese als Prestigeobjekt einer Partei oder Politikerin gegen die Landwirtschaft zu betreiben, könnte sie jetzt mit der Landwirtschaft im gesellschaftlichen Konsens eingeleitet werden. Denn diesen braucht es, weil der Umbau der Landwirtschaft, welche die Ernährungssouveränität der hier lebenden Menschen garantiert, nicht ohne die finanzielle Unterstützung aus der Gesellschaft ablaufen kann.

Ich habe früher gelernt, dass Politiker*innen, die gewählten Vertreter*innen des Volkes sind. Es geht also bei dem, was sie tun, nicht um Selbstinszenierung oder das Basteln an der eigenen Karriere. Es geht darum, im gesellschaftlichen Ausgleich Wege zu suchen und zu finden und die dann auch zu beschreiten, um mit notwendigen Veränderungen das Land zukunftsfest zu machen. Schon seit einigen Jahren allerdings wird im Landwirtschaftsministerium nur der Status Quo verwaltet. Da macht die jeweilige Parteifarbe bislang auch nur wenig Unterschied. Wird es gar zu unbequem, der Handlungsdruck zu groß, gründet der oder die jeweilige Ministerin eine Arbeitsgruppe, hat dadurch Handeln vorgetäuscht und muss die drängenden Probleme, aufgrund derer täglich Höfe aufgeben, nicht lösen. Dumm nur, wenn die Arbeitsgruppen, in denen man möglichst viele Vertreter mit auch gegensätzlichen Interessen zusammengebracht hat, dann tatsächlich konkrete Lösungsansätze präsentieren. Sowohl Borchert als auch die ZKL haben dies getan. In beiden Fällen sind Leitbilder erstellt worden, die zu einer Grundlage für die zukünftige Entwicklung auf den Betrieben werden könnten. Leitbilder, die für anstehende Investitionen, Hofübergaben, Zukunftsentscheidungen Voraussetzung sind. Sie sind aber auch die Voraussetzung für eine zukünftige Landwirtschaft in der Mitte der Gesellschaft, für Agrarökologie, Ernährungssicherung, Klimaschutz und lebendige ländliche Räume. Wenn anstehende Weichenstellungen auf den Betrieben auch immaterielle Werte wie Wasser, Klima und Tierschutz berücksichtigen sollen, braucht es einen klaren politischen Rahmen, mindestens aber ein verlässliches Leitbild, wie Landwirtschaft in Zukunft aussehen soll.

07.12.2022
Von: MArcus Nürnberger, Redakteur der unabhängigen Bauernstimme