EuGH: Neue Züchtungsmethoden sind Gentechnik

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden: Nach der Rechtsauslegung des Gerichtshofes müssen Pflanzen, die mit neuen Gentechnikverfahren (sog. Genom-Editing-Verfahren wie CRISPR-cas etc.) in ihrem Erbgut verändert werden, auch als Gentechnik reguliert werden. „Mit großer Erleichterung nehmen europäische Bäuerinnen und Bauern das Urteil zur Kenntnis“, erklärt Martin Schulz, Bauer aus dem Wendland und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in einer ersten Stellungnahme. „Wir haben uns, egal ob konventionell oder biologisch wirtschaftend, einen großen Wettbewerbsvorteil und das Vertrauen der BürgerInnen erobert, indem wir auf die gentechnikfreie Erzeugung ­setzen und uns dafür in unseren Regionen stark machen. Dies wollen wir nicht durch neue Gentechnik-Verfahren aufs Spiel setzen. Dem ist der EuGH in seinem aktuellen Urteil gefolgt und betont, dass die mit dem Einsatz der neuen Gentechnik-Verfahren verbundenen Risiken vergleichbar seien mit denen der alten Gentechnik-Verfahren“ so Schulz. Würden die neuen Techniken nicht als Gentechnik reguliert, würde dies laut EuGH dem Vorsorgeprinzip zuwiderlaufen. „Damit stärkt der EuGH das Vorsorgeprinzip und stellt es klar vor die Profitinteressen der Gentechnik-Konzerne“, stellt Schulz fest. Die neuen Gentechnik-Verfahren versprechen seiner Ansicht nach enorme Profite, die sich v.a. die Konzerne schon jetzt durch Patentanmeldungen sichern. „Schutz für Gesundheit, Umwelt und die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung müssen aber Vorrang haben“, postuliert Schulz. Die AbL fordert die EU-Kommission und die Bundesregierung auf, dem EuGH zu folgen und die neuen Gentechnik-Verfahren, wie CRISPR & Co, klar als Gentechnik einzustufen und zu regulieren. „Die Bundesregierung hat sicher zu stellen, dass auch ihre Behörden sich daran halten“, so Schulz. "Mit seinem Urteil bestätigt Europas höchstes Gericht die Position von Um­welt- und Verbrau­cher­schüt­zern, unab­hängigen Wis­­senschaft­lern und gentech­nikfrei wirtschaftenden Unter­neh­men", erklärt der Vorsitzende des BUND Hubert Weiger in einer ersten Einschätzung zum EuGH-Urteil, wonach auch die neuen Gentechnikverfahren Gentechnik sind und wie die bisherigen Verfahren reguliert werden müssen. Das Gericht habe klargestellt, dass künstlich erzeugte Organismen nicht ungeprüft als großes Freilandexperiment in die Umwelt gelangen und den Verbrauchern untergejubelt werden dürften. "Der EuGH hat das Vorsorgeprin­zip bestätigt und den Schutz der Bürger sowie ihre Wahlfreiheit über die Gewinninteressen von Konzernen wie Bayer-Monsanto gestellt. Das Urteil rückt die Bestrebungen jener Wissenschaftler und Behörden gerade, die die neue Gentechnik ungeprüft und ungekennzeichnet auf den Markt bringen wollten", so Weiger. Er erinnert an das im Koalitionsvertrag gemachte Versprechen der Bundesregierung, wonach sie bezüglich der Gentechnik Wahlfreiheit garantiert. „Jetzt hat sie mit dem EuGH-Urteil Rückenwind, dies umgehend umzusetzen“, erklärt Weiger. Und die EU-Kommission müsse nun die Gentechnikunternehmen verpflichten, Nachweisverfahren zur Verfügung zu stellen, so dass die Wahlfreiheit von Verbrauchern, Züchtern, Bauern und Lebensmittelherstellern garantiert werden kann. Auch das Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie „Testbiotech“ unter der Leitung von Christoph Then begrüßt das Urteil. „Es stimmt im Wesentlichen mit dem Inhalt eines Rechtsgutachtens überein, das Testbiotech schon vor einigen Wochen veröffentlicht hatte“, heißt es da. Testbiotech weist darauf hin, dass sich in der Regel eindeutige Unterschiede zwischen herkömmlicher Züchtung und den neuen Gentechnikverfahren auch dann nachweisen lassen, wenn keine zusätzlichen Gene eingefügt werden. Der Einsatz von CRISPR & Co führt in den meisten Fällen zu einem unverwechselbaren Fingerabdruck im Erbgut, einer Art Signatur, wie sie durch herkömmliche Züchtung nicht zustande kommt. Der Grund: Der Einsatz von Gen-Scheren wie CRISPR unterliegt nicht wie die herkömmliche Züchtung den natürlichen Kontrollmechanismen von Vererbung und Fortpflanzung. Mit Hilfe der Gen-Scheren können Genanlagen auch dann verändern, wenn dies unter natürlichen Bedingungen nicht zu erwarten wäre. Und: anders als bei der konventionellen Züchtung werden beim Genome Editing alle Kopien eines Gens gleichzeitig verändert. Dagegen bleiben bei der her­kömm­lichen Züchtung in der Regel „Sicherheitskopien“ der Gene im Erbgut erhalten, die die Wirkung zufälliger Mutationen ausgleichen können. Dazu kommen eine Reihe von ungewollten Veränderungen des Erbguts, die durch Fehler verursacht werden, die oft beim Einsatz der Gen-Schere beobachtet werden. Auch diese können sich in ihrem Muster deutlich von dem unterscheiden, was bei „zufälligen“ Mutationen zu erwarten wäre. Im Resultat können auf diese Weise Pflanzen und andere Organismen entstehen, die sich nicht nur in ihrer Genstruktur, sondern auch in ihren biologischen Eigenschaften und ihren Risiken deutlich von denen aus konventioneller Züchtung unterscheiden. Testbiotech geht deswegen auch nach dem Urteil des Gerichts davon aus, dass die Pflanzen, die mit den neuen Gentechnikverfahren verändert werden, in jedem Fall einer verpflichtenden Risikobewertung zu unterziehen sind, bevor über eine Zulassung entschieden wird. Den Hintergrund des EuGH-Urteils bildet der Protest der französischen Bauernorganisation Confédération Paysanne gemeinsam mit acht weiteren Landwirtschafts- und Umweltorganisationen gegen den Einsatz neuer Züchtungsmethoden in Frankreich. In Frankreich klagten sie daher vor dem obersten französischen Gericht gegen ihren Premier- und ihren Agrarminister, da diese die neuen Züchtungsmethoden in der Pflanzenzüchtung nicht unter das europäische Gentechnikgesetz stellen wollten. Wegen der europäischen Dimension reichte das Gericht in Frankreich die Klage dann zur Klärung an den EuGH weiter. Die Confédération Paysanne sieht in dem Urteil nicht nur einen Sieg für die neun klagenden Organisationen sondern für alle Bauern, Verbraucher und europäischen Bürger. „Unsere Freiheit, die Kultivierung oder den Verzehr von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) zu verweigern, und unser Recht, in einer gesunden Umwelt zu leben, werden durch diese Entscheidung unterstützt“, heißt es da. Einen "historischen Sieg für Bauern und Bürger der EU“ sieht die internationale Kleinbauern- und Landarbeiter-Bewegung La Via Campesina (der bäuerliche Weg), zu deren Mitgliedern neben der Confédération Paysanne auch die AbL und die Österreichische Berg- und Kleinbäuer_innen Vereinigung gehören, in dem EuGH-Urteil. La Via Campesina verweist in einer ersten Reaktion insbesondere auf den Aspekt, dass mit dem Urteil "ein grundlegendes Prinzip der EU, das Vorsorgeprinzip" gestärkt worden ist. --------------------------------------------- Hinweis auf Korrektur: Diese Meldung wurde nach ihrer Veröffentlichung korrigiert. Eine aufmerksame Leserin hat auf einen Fehler hingewiesen. Die Formulierung in der ursprünglichen Meldung "die mit neuen Gentechnikverfahren (Mutagenese) in ihrem Erbgut verändert werden" ist so nicht richtig, da Mutageneseverfahren deutlich von den neuen Gentechnikverfahren zu unterscheiden sind. Richtig muss es beispielsweise heißen "die mit neuen Gentechnikverfahren (sog. Genom-Editing-Verfahren wie CRISPR-cas etc.) in ihrem Erbgut verändert werden". Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.