Die EU-Kommission hat mit ihrem Vorschlag zur Deregulierung zu neuen gentechnischen Verfahren Anfang Juli gezeigt, dass sie unter dem vermeintlichen Streben nach Innovation bereit ist, das geltende Vorsorgeprinzip in Europa aufzugeben. Angeblich sollen gentechnische Verfahren bei Pflanzen die Klimaanpassung ermöglichen oder den Pestizideinsatz reduzieren. Das entspräche den Versprechungen der Agrarindustrie, die von den Neuerungen profitiert und dabei verschweigt, dass ihre Versprechungen nicht dem Realitätscheck standhalten, wie eine wissenschaftliche Studie der Grünen/EFA von Juli 2023 belegt. Bei der 10. GMO-Free Europe Konferenz im September 2023, die das GMO-Free Netzwerk in Kooperation mit der Grünen Fraktion im EU-Parlament durchführt, wird der Kommissionvorschlag aus rechtlicher Sicht und von Praktiker*innen, Wissenschaftler*innen, Verbraucher*innen und der Politik beleuchtet.
Dazu erklärt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Agrarausschuss und grüner Verhandlungsführer im Umweltausschuss: „Unsere Warnungen wurden in den Wind geschlagen und unsere Befürchtung wurde mit dem Vorschlag der EU-Kommission leider wahr: Die Entwickler der gentechnischen Veränderungen dürfen nach Vorstellungen der Kommission ihre Nachweismethoden für sich behalten. Agro-Unternehmen können damit die nicht gekennzeichneten - aber patentierten - Produkte verwenden und so ihre Kontrolle über unsere Lebensmittelproduktion weiter ausbauen. Der Verordnungsvorschlag weist erhebliche Mängel auf und lässt gravierende Lücken. Er darf keinesfalls in europäisches Recht umgesetzt werden.“
Sarah Wiener, Grüne EU-Abgeordnete und Berichterstatterin der neuen Pestizidverordnung (SUR) kommentiert: „Die EU-Kommission möchte Pflanzen, die mittels neuer Gentechnik verändert wurden, ohne richtige Risikoprüfung oder Kennzeichnung auf den EU-Markt bringen. Sich davon eine Pestizidreduktion in der Landwirtschaft zu versprechen, ist jedoch fragwürdiges Wunschdenken. Fallstudien aus anderen Ländern zeigen, dass der Einsatz von Herbiziden durch den Anbau von GVOs explodiert. Zusätzlich ist das Vorhaben eine Gefahr für die Bio-Landwirtschaft: Durch benachbarte GVO-Äcker können Ernten kontaminiert werden. Der Vorschlag verletzt eindeutig das Vorsorgeprinzip.“
Tilly Metz, Grüne EU-Abgeordnete und Mitglied der Umwelt- und Agrarausschüsse ergänzt: „Eine überwältigende Mehrheit der EU-Bürger*innen will keine Gentechnik auf ihren Tellern - egal mit welcher Technik diese hergestellt wurden. Das von der EU-Kommission vorgeschlagene Wegfallen der Kennzeichnungspflicht für eine ganze Kategorie von gentechnisch manipulierten Pflanzen wäre ein Affront gegen den europäischen Verbraucherschutz. Wir verteidigen das Recht, entscheiden zu dürfen, was auf dem eigenen Teller landet und ob man genmanipulierte Lebensmittel verzehren will.“
Die Bio-Branche hofft momentan noch mit einem blauen Auge davon zu kommen, da NGT-Verfahren in Bioprodukten verboten werden sollen. Allerdings ist die Frage, wie Bauern und Bäuerinnen dies Verbot gewährleisten sollen unbeantwortet. Bioland-Präsident Jan Plagge kommentiert anlässlich des Informellen Treffens der EU-Agrarminister die ausschließlich die Patent-Frage: „Die Deregulierungs-Welle für Neue Gentechnik rollt weiter auf uns zu und sie zieht eine deutlich erkennbare Flut von Patenten nach sich. Die Bio-Branche hat sich früh und immer wieder sehr klar gegen die Gesetzesvorhaben aus Brüssel gestellt und damit auch die Interessen vieler Akteure aus der Land- und Lebensmittelwirtschaft vertreten, die bisher beim Thema merkwürdig zurückhaltend agieren. An einer noch größeren Abhängigkeit landwirtschaftlicher Betriebe von monopolistischen Agrochemie-Konzernen hat aber wohl der gesamte Agrarsektor kein Interesse – völlig unabhängig von der Anbauform. Wir fordern daher alle Akteure aus der Landwirtschaft dazu auf, sich mit uns gegen den vorliegenden EU-Gesetzesentwurf zu stellen und so ein gemeinsames Bollwerk gegen die drohende Patentflut auf Pflanzen und wichtige Eigenschaften wie Resistenzen zu bilden. Das Patentrecht muss unbedingt zuerst novelliert werden, bevor man auch nur darüber nachdenkt, das Gentechnikrecht anzupassen. Umgekehrt vorzugehen bedeutet, der Patentierung einen Freibrief zu geben.“