Am Mittwoch hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir das „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ vorgestellt. Für den Anbauverband Bioland ist es „noch schwächer als erwartet“ und der Name des Programms verkomme „zur Farce.“ Demgegenüber kann nach Ansicht des NABU das Papier „zu einem echten Aufbauprogramm werden“. Und für den Bauernverband (DBV) handelt es sich bei dem Programm im Kern um ein Reduktionsprogramm Pflanzenschutz, mit dem die Chance für einen gesellschaftlichen Kompromiss im Bereich Pflanzenschutz und Naturschutz vertan wurde.
In dem jetzt vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vorgelegten „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ werden laut BMEL Wege aufgezeigt, wie ein nachhaltiger Pflanzenschutz in der Landwirtschaft und im Sonderkulturanbau in Einklang gebracht werden kann mit hoher Produktivität und guten Einkommen für die Betriebe. Dabei setze das BMEL nach eigenen Worten auf Kooperation, Förderung, Beratung und Innovation statt auf Verbote oder ordnungsrechtliche Vorgaben.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sagt dazu: "Unser Zukunftsprogramm Pflanzenschutz zeigt, dass wir unsere Lebensgrundlagen wie Artenvielfalt, fruchtbare Böden und sauberes Wasser für unsere kommenden Generationen schützen können – und gleichzeitig unseren Landwirtinnen und Landwirten weiterhin ein gutes Einkommen und hohe Erträge sichern. Unser Weg zu einem nachhaltigen Pflanzenschutz heißt: Zusammenarbeit, wirtschaftliche Anreize und landwirtschaftliche Vernunft. Ich bin überzeugt, dass wir ein Programm mit Maß und Mitte gefunden haben. Mit unserem Dreiklang aus Innovation, Kooperation und Alternativen unterstützen wir unsere Landwirtschaft dabei, den beschrittenen Weg zur Pflanzenschutzmittelreduktion fortzusetzen. Ich freue mich übrigens, dass auch der Strategiedialog der EU-Kommission zu einem ähnlichen Ergebnis kommt.“
Wichtig war dem Minister nach eigenen Worten die Beteiligung und enge Einbindung der unterschiedlichen Interessengruppen, so wie es mit dem Biodiversitätsstärkungsgesetz in Baden-Württemberg oder dem Niedersächsischen Weg erfolgreich gelungen sei.
„Selbstverständlich“ ist für den Minister, dass „unsere Landwirtinnen und Landwirte auch künftig ihre Pflanzen schützen und behandeln können, wenn das nötig ist. Erfolgreich sind wir nur, wenn wir Nachhaltigkeit und Erträge sowie Einkommenssicherung zusammendenken. Vergessen wir nicht, vor welchem Dilemma wir stehen: Die menschengemachte Klimakrise stellt uns vor Aufgaben, die wir ohne Pflanzenschutzmittel nicht werden bewältigen können. Die vergangenen Ernteberichte zeigen erschreckend, wie sehr Unwetter sich auf die Erträge auswirken. Auf der anderen Seite macht nicht zuletzt das Schwinden der Artenvielfalt deutlich, dass wir etwas ändern müssen. Dieses Spannungsfeld müssen wir lösen."
Das BMEL folgt nach eigenen Worten mit dem Zukunftsprogramm Pflanzenschutz maßgeblich auch den Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), die Auswirkungen von Pflanzenschutzmaßnahmen auf Umwelt, Artenvielfalt und Gesundheit so gering wie möglich zu halten und resiliente Agrarökosysteme zu schaffen – ganz im Sinne eines integrierten Pflanzenschutzes.
Als Maßnahmen werden in dem „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ genannt:
- Integrierten Pflanzenschutz stärken, dazu Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (NAP) und Modernisierung der Grundsätze der guten fachlichen Praxis im Pflanzenschutz
- Anbaudiversifizierung ermöglichen und Züchtung resistenter Sorten unterstützen,
- Öko-Landbau bis 2030 auf 30 % ausbauen,
- Verbreitung agrarökologischer Ansätze,
- Kooperativen Naturschutz stärken und Rückzugsflächen für Tiere und Pflanzen in der Agrarlandschaft schaffen – dazu sollen in der GAP neue Modelle entwickelt werden,
- Verbesserung der Praxisverfügbarkeit biologischer Pflanzenschutzverfahren,
- Prognosemodelle und Entscheidungshilfen kontinuierlich weiterentwickeln,
- Verbesserung der Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel,
- Förderung von Forschung und Innovationen sowie Stärkung des Wissenstransfers in die Praxis,
- Ausbau von Modellregionen und Modellbetriebe,
- Stärkung unabhängiger Beratung und Weiterentwicklung von Bildungsangeboten.
Eine noch in den ursprünglichen Überlegungen erwähnte Pestizidabgabe oder weitere Maßnahmen mit Blick auf Glyphosat kommen in dem Programm nicht mehr vor. Die Wirksamkeit der jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen soll 2026 eine Zwischenevaluation durchlaufen. Für 2031 ist eine abschließende Bewertung geplant. Zur Konkretisierung dieser Maßnahmen soll laut BMEL der Beteiligungsprozess weitergeführt werden.
Bioland: Programm frustriert gänzlich
„In Deutschland werden zu viele Pestizide ausgebracht. Das ist auch auf politischer Ebene bekannt – und trotzdem sinken die Absatzzahlen für chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel seit Jahrzehnten nicht. Daran wird auch das neue „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ des Bundesagrarministeriums nichts ändern. Der Name des Programms verkommt zur Farce“, teilt der Anbauverband Bioland mit.
„Der im März dieses Jahres vorgelegte Entwurf zum Zukunftsprogramm Pflanzenschutz war bereits enttäuschend – die überarbeitete und jetzt vorgestellte Fassung frustriert nun aber gänzlich“, kommentiert Gerald Wehde, Geschäftsbereichsleiter Agrarpolitik beim Bioland e.V.
Statt im Sinne der Umwelt und Menschen nachzuschärfen, seien weitere Abschwächungen am Papier vorgenommen worden: „Im Entwurf wurden immerhin noch Überlegungen angestellt, wie sich externe Kosten internalisieren ließen, etwa über eine Pestizid-Abgabe oder andere Steuerungselemente wie Lizenz-Systeme. Von Überlegungen dieser Art fehlt im nun final vorgestellten Programm jede Spur“, so Bioland.
„Auch wenn sich immerhin das Pestizid-Reduktionsziel von 50 Prozent bis 2030 aus der Farm-to-Fork-Strategie der EU wiederfindet: Es fehlen wirksame Maßnahmen mit verbindlichen Umsetzungsschritten und Zeitplänen. Zudem ist ein Programm ohne Finanzmittel nicht glaubwürdig. Eine klare Priorisierung der Maßnahmen für diese Legislatur fehlt ebenso. Mit unkonkreten Absichtserklärungen wird eine Reduzierung des Pestizideinsatzes nicht gelingen“, warnt Wehde.
Dabei bestehe auch EU-rechtlich großer Handlungsdruck: Deutschland ignoriere seit 13 Jahren EU-Recht, da es die Vorgaben der EU-Pestizid-Rahmenrichtlinie 2009/128/EG „Sustainable Use Directive“ (SUD) zum Integrierten Pflanzenschutz bisher nicht verbindlich umgesetzt hat. Auch die veralteten Regelungen zur „guten fachlichen Praxis im Pflanzenschutz“ entsprächen nicht den Anforderungen der SUD.
„Statt weiterer unverbindlicher Papiere braucht es zum Schutz unserer Lebensgrundlagen einen wirksamen Maßnahmenkatalog zur Pestizid-Reduktion. Zentrales Lenkungsinstrument muss die Einführung einer Pestizidabgabe sein“, fordert Wehde. Dadurch könnte der Einsatz von Pestiziden in Deutschland halbiert werden, das zeigt eine Studie des Helmholtz‐Zentrum für Umweltforschung im Auftrag eines breiten Bündnisses. Angesichts knapper Kassen könnten so zusätzlich ohne bürokratischen Aufwand Gelder zur Unterstützung einer pestizidfreien Produktion generieren werden, so Wehde. „Die Wirkung eines solchen Instruments ist durch Studien und Erfahrungen in anderen Ländern erfolgreich belegt.“
NABU: Grabenkämpfe überwinden
Nach Ansicht von NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger braucht es mit Blick auf das Programm zwar mehr Verbindlichkeit, es könne aber trotzdem zu einem echten Aufbauprogramm der landwirtschaftlichen Produktivität und unserer natürlichen Lebensgrundlage werden.
„Das zu viel an Pestiziden belastet Kleingewässer und die Bodengesundheit. Sie führen zum Rückgang bei Bestäubern und vielen anderen Insekten und können Parkinson bei Landwirt*innen auslösen. Es liegt im Interesse aller, eine sozial- wie naturverträglichere Lösung beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu finden. Das Zukunftsprogramm Pflanzenschutz bietet eine erste Arbeitsgrundlage. Damit das Programm zu einem echten Zukunftsmodell werden kann, braucht es mehr Verbindlichkeit. Vor allem aber gilt es jetzt, die alten Grabenkämpfe und die Polemik der vergangenen Wochen zu überwinden. Wenn es gelingt, Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen, kann das Papier zu einem echten Aufbauprogramm der landwirtschaftlichen Produktivität und unserer natürlichen Lebensgrundlage werden. Wir stehen zum Dialog bereit“, so Krüger.
DBV: Programm wird Zukunftsfragen nicht gerecht
Anlässlich des von Minister Özdemir vorgestellten Zukunftsprogramms betont der DBV-Präsident Joachim Rukwied: „Nach wie vor handelt es sich im Kern bei dem sogenannten Zukunftsprogramm Pflanzenschutz um ein Reduktionsprogramm Pflanzenschutz, welches wesentliche Zukunftsfragen wie die Verbesserung der Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln unbeantwortet lässt.“
Auch wenn laut DBV einige Anpassungen gegenüber dem ersten Entwurf aus dem Frühjahr festzustellen sind und Anregungen der landwirtschaftlichen Verbände aufgegriffen wurden, verfolge das Programm nach wie vor im Wesentlichen ökologische Ziele. „Es bedarf nicht nur einer Förderung von Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz, sondern auch eines Programms zur Stärkung des chemischen Pflanzenschutzes im Sinne der Versorgungssicherheit und der Qualität der Ernten“, so Rukwied weiter. Das BMEL habe im Gegensatz zur Zukunftskommission Landwirtschaft oder den verschiedenen Länderinitiativen im Bereich Pflanzenschutz und Naturschutz die Chance für einen gesellschaftlichen Kompromiss vertan und stattdessen die Verbände lediglich im Sinne eines Anhörungsverfahrens beteiligt, kritisiert Rukwied.