Biogasstrategie Baden-Württemberg: Enormes Potential für klimaneutrale Zukunft nutzen

Das Landeskabinett in Baden-Württemberg hat eine Biogasstrategie vorgelegt und sieht darin einen Baustein zur Erreichung der Klimaziele des Landes. Die Biogas-Technologie habe enorme Potentiale und sei unverzichtbar für eine sichere Energieversorgung, untersütze die Realisierung einer klimaneutralen Zukunft und könne zum Erhalt der Biodiversität beitragen. Deutliche Kritik an der Strategie kommt von Umweltverbänden.

„Jede zehnte Biogasanlage in Deutschland steht in Baden-Württemberg. Deshalb ist es wichtig, diese Anlagen so weiterzuentwickeln, dass sie auch in Zukunft zur Energieversorgung beitragen. Dabei spielt die Nutzung von Reststoffen genauso wie die Abwärmenutzung in kommunalen Wärmenetzen eine große Rolle. Biogas kann vor allem dann zum Einsatz kommen, wenn Sonne und Wind nicht genügend Strom liefern. Die Biogasstrategie ist ein Baustein zur Erreichung der Klimaziele des Landes“, sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Anschluss an die Kabinettssitzung.

Und der Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Peter Hauk erklärt: „Biogas gewinnt als speicherbarer, erneuerbarer Energieträger eine große Bedeutung. Im Unterschied zu grünem Wasserstoff ist Biogas bereits heute sofort verfügbar und eine verlässliche Säule im erneuerbaren Energiemix. Dabei steht die Biomethanerzeugung und -einspeisung, die Flexibilisierung des Anlagenbestands und Kombination mit anderen regenerativen Energieträgern im Fokus.

Mit dem Beschluss der Biogasstrategie Baden-Württemberg hat die Landeregierung nach eigenen Worten einen weiteren wichtigen Schritt hin zur Realisierung ihrer ehrgeizigen Klimaziele gemacht. Das Land hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu werden. Vor diesem Hintergrund müsse eine Transformation des Energiesystems hin zu erneuerbaren Energien erfolgen, was mit einer zunehmenden Energiebereitstellung durch die fluktuierenden Energieträger Sonne und Wind einhergehe.

Biogas ist ein Energieträger der Zukunft

Dr. Andre Baumann, Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, sagt anlässlich des Kabinettbeschlusses: „Aus energiewirtschaftlicher Sicht ist die Aufbereitung von Biogas zu Biomethan und dessen Einspeisung ins Gasnetz von großer Bedeutung. Im Gegensatz zu anderen erneuerbaren Energien ist das grüne Gas langfristig speicherbar.“ Zusätzlich könne in regionalen Wärmenetzen die ausgekoppelte Wärme effektiv genutzt werden. „Die Erzeugung von Biogas kann auch zum Erhalt der Biodiversität beitragen. Es geht vermehrt um eine Steigerung der Reststoffnutzung, die stärkere Nutzung von Bioabfällen und den Einsatz von biodiversitätsfördernden Substraten wie Blühpflanzen. Durch die Verwertung von Reststoffen müssen weniger nachwachsende Rohstoffe rein zur Erzeugung von Biogas angebaut werden. Die frei werdenden Ackerflächen stehen für andere Zwecke wie die Ernährungssicherung zur Verfügung“, ergänzt Baumann. Biogas ist entweder dezentral an der Biogasanlage oder über den größten Energiespeicher, das Erdgasnetz speicherbar. „Dort eingespeistes Bio-Methan stellt Strom und Wärme dann bereit, wenn Bedarf besteht“, erklärt Minister Hauk.

Industrie und Landwirtschaft brauchen erneuerbare Rohstoffe

Biogasanlagen können nach Ansicht von Hauk noch wesentlich mehr als Energie bereitstellen. Neben der Energieversorgung würden Biogasanlagen eine wichtige Funktion als Drehscheibe für biogene Roh- und Nährstoffe in der Fläche übernehmen. Sie könnten erneuerbare Kohlenwasserstoffe und biobasierte Materialen für industrielle Anwendungen bereitstellen und den Bedarf an fossilen Rohstoffen vermindern. Die Biogasstrategie Baden-Württemberg hat das Ziel, den Biogasanlagenbestand systemdienlich weiterzuentwickeln und setzt dabei vorrangig auf pflanzliche Reststoffe und Bioabfälle.

„Ziel der Biogasstrategie Baden-Württemberg ist es, den Beitrag von Biogas zur Erreichung unserer Treibhausgas-Minderungsziele zu maximieren und gleichzeitig die ländlichen Räume zu stärken", betont Ministerpräsident Kretschmann.

Die Biogasstrategie Baden-Württemberg adressiert drei Strategiefelder:
- Transformation hin zu einer systemdienlichen Biogaserzeugung
Dabei steht die Biomethanerzeugung und -einspeisung, die Flexibilisierung des Anlagenbestands und Kombination mit anderen regenerativen Energieträgern im Fokus.
- Anpassung des Substrateinsatzes
Es geht um eine Steigerung der Reststoffnutzung, die stärkere Nutzung von Bioabfällen und den vermehrten Einsatz von biodiversitätsfördernden Substraten wie Blühpflanzen.
- Einbindung in Bioökonomie-Konzepte im Sinne der Landesstrategie Nachhaltige Bioökonomie
Dabei geht es um die Unterstützung von Koppel- und Kaskadennutzungskonzepten. Ein besonderer Fokus liegt auf der optimalen Nutzung von Gärprodukten und deren höhere In-Wertsetzung (Fasern für stoffliche Nutzungen, Torfersatz, Mineraldüngerersatz).

Mit der Biogasstrategie sollen folgende Ziele erreicht werden:

  • Optimale Integration in das auf erneuerbaren Energien basierende Energiesystem
  • Maximierung des Beitrags von Biogas zur Erreichung der Treibhausgas-Minderungsziele
  • Möglichst umfassende Verwertung des technisch nutzbaren Potentials an Gülle/Mist und weiteren verfügbaren biogenen Reststoffen landwirtschaftlicher und gewerblicher Herkunft im Sinne der Kreislaufwirtschaft, sofern vorteilhaft gegenüber anderen Verwertungsmöglichkeiten
  • Stärkung der ländlichen Räume durch leistungsfähige, dezentrale Biogas­anlagen, die zur Wertschöpfung und zur Stabilisierung der Energieversorgung beitragen
  • Zuverlässige Stärkung der landwirtschaftlichen Betriebe
  • Kostensenkung, Reduzierung von punktuellen Nährstoffüberschüssen und Effizienzsteigerung durch Optimierung der Nährstoffströme

Umweltverbände sehen Biogasstrategie des Landes kritisch

Die baden-württembergischen Umweltverbände LNV, BUND und NABU sehen die Strategie kritisch. Die gemeinsame Kritik der Verbände: Aktuelle Biogasanlagen sind ineffizient, schlecht für kleine Landwirtschaftsbetriebe und in der Regel ein Treiber der Artenkrise.

Gerhard Bronner, Vorsitzender des Landesnaturschutzverbands (LNV), sagt dazu: „Die Biogasnutzung auf der Basis von Anbaubiomasse – zumeist ohne sinnvolle Wärmenutzung – ist schlecht für die Natur. Denn sie hat in großem Umfang zu Grünlandumbruch und zur Zerstörung von Biotopen geführt.“

Zudem bemängeln die Verbände, dass die Biogasnutzung die Konkurrenz um landwirtschaftliche Flächen extrem verschärft hat. „Landwirte, die keine Energie produzieren, können sich in manchen Regionen dadurch die Pachtpreise nicht mehr leisten. Außerdem wird es so immer schwerer, Flächen für Pflichtaufgaben wie die Gewässerentwicklung und den Biotopverbund zu finden“, kritisiert die BUND-Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch.

„Im Vergleich zu anderen regenerativen Energien ist die Gewinnung von Biogas extrem ineffizient und im Vergleich mit Strom aus Wind und Solartechnik sehr viel teurer. Biogasanlagen brauchen 40-mal so viel Fläche wie Photovoltaikanlagen, um die gleiche Menge an Strom zu erzeugen“, erläutert der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle. Perspektivisch müsse PV daher Biogas ersetzen. „An sonnen- und windreichen Tagen kann der Energieüberschuss genutzt werden, um grünen Wasserstoff zu produzieren. Dieser dient als Energiespeicher oder wird für andere Zwecke genutzt, bei denen auf Wasserstoff als Energieträger nicht verzichtet werden kann.“

Von der sinnvollen Nutzung von Reststoffen wie Gülle, Festmist und Ernteresten habe sich die Biogaserzeugung weit entfernt, so die Verbände. Mais- und Grassilage brächten einfach mehr Energie und dank hoher Einspeisevergütungen auch Gewinne für den Betreiber. Da es mittelfristig notwendig sein wird, einen gewissen Anteil am Mix der Erneuerbaren Energien durch Biogas zu decken, ist ein Richtungswechsel unumgänglich: Statt auf landwirtschaftlichen Flächen extra Energiepflanzen anzubauen, müssen aus Sicht der Verbände verstärkt ohnehin vorhandene Reststoffe wie Bioabfälle und Gülle erschlossen und energetisch verwertet werden. „Ein Weiterbetrieb von Biogasanlagen ist nur dann akzeptabel, wenn das Gas aus Reststoffen stammt und eine umfassende Wärmenutzung in angeschlossenen Wärmenetzen erfolgt. Weil damit aber nur ein Bruchteil der vorhandenen Anlagen betrieben werden kann, sollten alle anderen Anlagen nach Auslaufen der Förderung schließen“, fordern die Umweltverbände.

Geradezu absurd sei die Idee, die Biogasnutzung noch auszubauen, wenn man im letzten Jahr in Europa mit Hinweis auf die angeblich gefährdete Welternährung die dringend nötige Ökologisierung aufgeschoben hat.

Das einzige Positive, dass die Verbände der Biogasstrategie abgewinnen können: Sie ist nicht mit Geld hinterlegt und werde deshalb weitgehend wirkungslos bleiben. Doch damit würden bei Landwirtinnen und Landwirten Hoffnungen geweckt, die dann nicht erfüllt werden können.