Ein Bündnis von mehr als 30 Hilfs- und Entwicklungsorganisationen hat heute vor dem Bundeskanzleramt in Berlin gegen Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe demonstriert. Ausgestattet mit einem 12 Meter langen Rotstift mit der Aufschrift „Die Kürzungen von heute sind die Krisen von morgen“ forderten sie die Rücknahme der Kürzungspläne. Bereits zuvor hatten Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, die Welthungerhilfe sowie das Hilfswerk der evangelischen Kirche, Brot für die Welt, scharfe Kritik am Haushaltsentwurf der Ampel-Regierung geübt.
Vor dem Kanzleramt forderte heute das Bündnis #LuftNachOben den Bundestag auf, die Kürzungen nicht mitzutragen und Wege zu finden, die Leistungsfähigkeit des Entwicklungsministeriums (BMZ) sowie des Auswärtigen Amts (AA) nicht einzuschränken. In einem gemeinsamen Appell fordern 32 deutsche Nichtregierungsorganisationen die Rücknahme der Kürzungen für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe: „Die Etatplanung der Bundesregierung ist kurzsichtig und unterminiert Deutschlands selbst gestecktes Ziel, für eine gerechtere, wohlhabendere, friedlichere und sicherere Welt einzutreten. Für kurzfristige Einsparungen nimmt die Bundesregierung langfristige Schäden in Kauf und lässt die Menschen im Stich, die unsere Hilfe am dringendsten benötigen. Dadurch besteht die Gefahr, dass wir hinter bereits erzielte Erfolge in den Bereichen Armuts- und Hungerbekämpfung, Bildung, globale Gesundheit, Klimaschutz sowie Stärkung von Frauen und Mädchen zurückfallen. Dies wieder aufzuholen, wird um ein Vielfaches teurer werden. Die Kürzungen von heute sind die Krisen von morgen.”
Bereits zuvor hatten verschiedene Organisationen die Kürzungspläne kritisiert. „Ein Schock“ nennt VENRO, der Dachverband der entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen (NRO), die Kürzungen und sieht damit „Millionen Menschenleben in Gefahr“. Die Welthungerhilfe „warnt eindringlich“ vor den Kürzungen und „völlig kurzsichtig“ nennt sie Brot für die Welt
VENRO: Ampelregierung setzt Millionen Menschenleben aufs Spiel
Die Kürzung der humanitären Hilfe im Haushaltsentwurf 2025 fällt weit drastischer aus, als bisher angenommen. Sie soll um mehr als 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sinken – von 2,2 Milliarden Euro auf eine Milliarde Euro. „Mit diesem Haushaltsentwurf setzt die Ampelregierung Millionen Menschenleben aufs Spiel“, erklärt Åsa Månsson, Geschäftsführerin des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO). „Die Ampelkoalition opfert die internationale Zusammenarbeit, um ihren Haushaltsstreit beizulegen. Diese Kürzungspolitik ist kaltherzig. Für Millionen Menschen ist die Unterstützung aus Deutschland eine Überlebensfrage, dennoch setzt die Bundesregierung den Rotstift ausgerechnet bei der humanitären Hilfe an“, kritisiert Månsson. „Das ist eine kurzsichtige und verantwortungslose Politik. Kein anderes Land streicht seine internationale Unterstützung derart zusammen.“
Weltweit leben laut VENRO 700 Millionen Menschen in extremer Armut. 300 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen und über 100 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Hälfte davon sind Kinder. Im Sudan stehen Medienberichten zufolge 755.000 Menschen kurz vor dem Hungertod. Ungeachtet dessen kürzt Deutschland seine humanitäre Hilfe zum dritten Mal in Folge – seit 2022 um 67 Prozent bzw. zwei Milliarden Euro.
Auch der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) soll das dritte Jahr in Folge um knapp eine Milliarde Euro sinken. Stark betroffen sind die Gelder für die Krisenbewältigung, die Ernährungssicherheit und die zivilgesellschaftliche Auslandsarbeit. VENRO appelliert an das Parlament, die Kürzungen im Haushaltsentwurf zu revidieren.
„Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind kein ‚nice-to-have‘, sondern die wirksamsten Mittel, die Deutschland hat, um globalen Krisen etwas entgegenzusetzen. Die Folgen von Armut, Kriegen und Klimawandel in anderen Teilen der Welt werden wir auch in Deutschland zu spüren bekommen“, warnt Månsson. „Die Bundesregierung muss sich stärker engagieren, um eine nachhaltige, gerechte und sichere Welt zu verwirklichen.“
Im Etat des Entwicklungsministeriums sollen die Mittel für Krisenbewältigung um 38 Prozent (minus 395 Millionen Euro), die Kernbeiträge für das Welternährungsprogramm um 52 Prozent (minus 30 Millionen Euro) und die zivilgesellschaftliche Auslandsarbeit um 12 Prozent (minus 27 Millionen Euro) gekürzt werden. Laut einer Umfrage unter VENRO-Mitgliedsorganisationen führen die Kürzungen dazu, dass sie die Unterstützung für Menschen, die in Ländern mit sogenannten vergessenen Krisen leben, einstellen oder drastisch reduzieren müssen. Dazu gehören Länder wie Angola, Sambia oder Burundi, über die kaum in den deutschen Medien berichtet wird.
Welthungerhilfe: Haushaltsentwurf sendet das falsche Signal
Die Welthungerhilfe warnt eindringlich davor, die Mittel für die langfristige Bekämpfung von Hunger und Armut sowie die Überlebenshilfe für Menschen in humanitären Notlagen weiter zu kürzen. Marlehn Thieme, die Präsidentin der Welthungerhilfe, weist darauf hin, dass die Entwicklungszusammenarbeit nicht nur Millionen Menschen ein besseres Leben ermöglicht hat, sondern auch den Grundstein für unsere Stabilität und Sicherheit bildet.
„Der aktuelle Haushaltsentwurf der Bundesregierung sendet das falsche Signal an die Menschen, die trotz aller Widrigkeiten nicht aufgeben und für ihre Familien und Gemeinschaften etwas verändern wollen. Ausbildungsprogramme für junge Menschen etwa bieten Perspektiven für ein eigenes Einkommen und insbesondere Mädchen und Frauen profitieren von diesen neuen Chancen. Die geplanten Kürzungen gefährden solche erfolgreichen Programme zur Hungerbekämpfung, die die Bundesregierung bisher unterstützt hat, was wir ausdrücklich anerkennen“, betont Marlehn Thieme.
Die Welthungerhilfe macht auch auf die katastrophale humanitäre Lage im Sudan aufmerksam, wo nach 15 Monaten Krieg die größte Hungerkrise der Welt herrscht. „Angesichts der vielen Notlagen weltweit droht das Schicksal der Menschen dort in Vergessenheit zu geraten. Wir brauchen dringend mehr politischen Druck auf die Kriegsparteien und ihre Unterstützer, um ein Ende der Kampfhandlungen und freien Zugang zu den Hungernden durchzusetzen“, fordert Mathias Mogge, Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe.
Brot für die Welt: Kürzungen beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik
Brot für die Welt kritisiert die von der Bundesregierung geplanten Kürzungen im Entwicklungshaushalt und bei der Humanitären Hilfe als völlig kurzsichtig. „Jahrzehntelang war es überparteilicher Konsens, dass Deutschland eine starke Entwicklungspolitik braucht“, sagt Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt. „Wir erleben eine weltweite Krise der Demokratie und da ist Entwicklungszusammenarbeit ein wichtiger Schlüssel, um eine weitere Erosion zu verhindern. Entwicklungsprojekte unterstützen den Aufbau und Erhalt demokratischer Strukturen, sie stärken die Zivilgesellschaft, ohne die keine Demokratie existieren kann.“
Die Präsidentin des evangelischen Entwicklungswerks erinnert daran, wie wichtig weltweite Kooperation und Partnerschaften seien. Mit Blick auf die Kürzungspläne der Bundesregierung und die aktuelle politische Debatte sagt Pruin: „Wir sehen eine Schneckenhaus-Mentalität, die ein erschreckendes Ausmaß angenommen hat.“ In Entwicklungszusammenarbeit zu investieren sei nicht nur ethisch geboten, sondern auch im Interesse Deutschlands. „Wir brauchen mehr Kooperation, nicht weniger. Das gilt für die Klima- ebenso wie für die Ernährungspolitik und andere Bereiche.“
Pruin nennt die geplanten Kürzungen in der „Geschichte der Bundesrepublik beispiellos“. Sie kritisiert, dass die Bundesregierung diese mit dem Krieg in der Ukraine und militärischem Sicherheitsinteresse begründet. Entwicklungspolitik und Sicherheit dürften aber nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie seien eng miteinander verbunden. „Entwicklungspolitik leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die Welt sicherer zu machen. Wir sind in Deutschland nur sicher, wenn die Welt insgesamt sicher ist“, sagt sie.
Zur weltweiten Demokratie-Krise – schon heute gibt es mehr Autokratien als Demokratien - berichtet Pruin von Partnerorganisationen von Brot für die Welt, deren Situation bedrohlich ist. „Autoritäre Regierungen drangsalieren oder schließen Nichtregierungsorganisationen. Wenn der Globale Norden sich zurückzieht, werden die Schwächsten der Gesellschaft noch mehr an den Rand gedrängt. Die Armen und Ausgegrenzten sind von der weltweiten Krise der Demokratie am stärksten betroffen und das bleibt nicht ohne Folgen - auch für uns“, sagt Pruin.
Den heute vor dem Kanzleramt verkündeten gemeinsamen Appell unterstützen folgende Nichtregierungsorganisationen: Agiamondo, Aktion gegen den Hunger, Aktionsbündnis gegen Aids, AWO International, Brot für die Welt, Christoffel-Blindenmission (cbm), Deutsche Stiftung Weltbevölkerung, Freunde des Globalen Fonds Europa, Global Citizen, Help – Hilfe zur Selbsthilfe, Humedica, Inkota, International Justice Mission (IJC), International Rescue Committee (IRC), Johanniter Auslandshilfe, Kindernothilfe, Medimissio, NAK-Karitativ, Netz Bangladesch, NRC Flüchtlingshilfe, ONE, Oxfam, Plan International, Save the Children, Solidaritätsdienst International, Südwind-Institut, Terre des Hommes, Tierärzte ohne Grenzen, Weltfriedensdienst, Welthungerhilfe, World University Service und World Vision.