Worauf warten Sie, Herr Minister?

„Verändere die Welt, sie braucht es.“ Der Satz von Bertolt Brecht geht mir durch den Kopf, als ich in den Tagen in Lützerath den großen Hof von Eckhard Heukamp, seit über 250 Jahren im Familienbesitz, sehe. Vier Tage später ist er weg, dem Erdboden gleichgemacht, genau wie die vielen Baumhäuser auf dem Hofgelände. Und einer der fruchtbarsten Ackerböden Deutschlands soll wider aller Vernunft vom Energiekonzern RWE – zudem einer der größten Agrarsubventionsempfänger in Deutschland – weiter abgebaggert werden. Die Braunkohle unter dem Dorf Lützerath wird nicht zur Energiesicherheit gebraucht. Es geht um reine Machtinteressen, um zusätzliche Konzernprofite und unter anderem die Grünen stehen Pate. Am Samstag darauf demonstrieren trotz Kälte und Regen 35.000 Menschen in Lützerath, darunter auch viele junge Leute und skandieren: „Lützi bleibt!“ Diese Erfahrungen politisch zu verarbeiten, daraus trotz verständlichem Frust auch neue Kraft zu ziehen, spielt in diesen Tagen bei vielen Protestbewegten eine wichtige Rolle. Eine Woche später demonstrieren nach zweijähriger Corona-Zwangspause 10.000 Menschen in Berlin bei der „Wir haben es satt“-Demonstration gegen das weltweite Höfesterben, für eine sozial gerechte Agrarwende, für gutes Essen für alle. Vorneweg Bäuerinnen und Bauern mit kreativen politischen Forderungen an ihren Traktoren. Eine starke, bunte Protestaktion, wiederum unterstützt von sehr vielen jungen Menschen. Spezialisten für Hass und Hetze in den sozialen Netzwerken, aber auch Bauernverband und Raiffeisenverband fallen reflexartig über die Demonstration her. Letzterer spricht von überholten Positionen, fordert technologischen Fortschritt, insbesondere die Gentechnik als Antwort auf die Hunger- und Klimakrise.

Für die AbL sind dagegen der Zugang zu Land, Wasser, Saatgut, Bildung und Menschenrechte notwendige Voraussetzungen im Kampf gegen die Hungerkrise. Aus den Krisen lernen, heißt für uns gerade bei der Lebensmittelerzeugung sich von Staaten und Konzernen unabhängig zu machen und auf Stärkung regionaler Strukturen zu setzen. Bundesminister Cem Özdemir wählt den Schlingerkurs. Er versucht es allen ein wenig recht zu machen, um nicht anzuecken. Gerade jetzt brauchen wir aber eine Linie, die die soziale Lage und den gefährdeten Zusammenhalt in der Gesellschaft in den Mittelpunkt rückt. Wir brauchen viele Bäuerinnen und Bauern, viele junge Menschen auf dem Land und dabei zählt jeder Hof. Dafür muss man sich politisch trauen, die Rahmenbedingungen klar zu setzen. Zum Beispiel muss er sich trauen, die Direktzahlungen sozial gerechter zu gestalten und sie degressiv zu staffeln, damit nicht, wer viel hat, noch immer mehr bekommt. Er muss sich trauen, hohe Prämienzahlungen einzuführen für Wirtschaftspraktiken, die dem Klimaschutz und der artgerechten Tierhaltung dienen. Geld muss an die gehen, die ihre Kühe auf die Weide lassen und mit Vielfalt in den Fruchtfolgen darauf verzichten, zum Schaden von Biodiversität und Klima dem Boden auch noch den letzten Doppelzentner Weizen abzupressen. Auch zum notwendigen Umbau der Tierhaltung, für eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik und für den Zugang zu Saatgutvielfalt statt der Abhängigkeit von Konzernen, ihren Risikotechnologien und Patenten gibt es dringend Handlungsbedarf. Jetzt gilt es, mit den Betroffenen auf Augenhöhe um eine praxisorientierte Umsetzung von Lösungsvorschlägen zu ringen und dann aber auch umzusetzen! Wir mischen uns aktiv ein mit politischen Vorschlägen, Aktionen und bäuerlicher Selbsthilfe. Sich gegenseitig zu helfen, achtsam zu sein wird umso wichtiger, weil niemand voraussagen kann, wie sich die risikobehafteten Krisenherde in der Welt entwickeln. Gut, dass die jungen protestbewegten Menschen keine Ruhe mehr geben. Worauf warten Sie eigentlich, Herr Minister?

20.02.2023
Von: Georg Janßen, AbL-Bundesgeschäftsführer