Die Bioweidepflicht muss langfristig wirtschaftlich abgesichert werden.
Es ist jedes Jahr ein wunderschöner Augenblick, wenn die Tiere nach der Winterpause wieder auf die Weide kommen. Und es dauert nicht lang, bis alle Tiere, einschließlich der Neuen, die zum ersten Mal auf das frische Grün traben, übermütig im gestreckten Galopp und mit erhobenem Schwanz davonjagen oder sich genüsslich auf das frische Grün stürzen. Weidegang gilt als die artgerechteste Form der Haltung von Wiederkäuern, und der Wert der Weide hinsichtlich Tierwohl, Biodiversität und Klimaschutz ist durch zahlreiche Studien und wissenschaftliche Forschungsarbeiten belegt.
Ausnahmen von der Weidepflicht
Heftig wird spätestens seit Ende 2024 über die Umsetzung der Weidepflicht für tierhaltende Biobetriebe gestritten, denn Weidegang ist auch in Biobetrieben keineswegs selbstverständlich. Wie eine Auswertung der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern zeigt, betreiben in Bayern rund 450 Betriebe der insgesamt rund 3.000 Biohöfe keine Weidehaltung. Eigentlich steht die Weidepflicht seit knapp 20 Jahren in den EU-Biorichtlinien für alle ökologisch gehaltenen Wiederkäuer. Die Ausnahmen, die bisher gewährt wurden, seien nun aufgrund verschärfter Rechtsauslegungen nicht mehr zu halten, kündigte die zuständige Kommissionsabteilung Ökolandbau an, und – die Weidepflicht soll nun ausnahmslos für alle Wiederkäuer gelten. Die EU-Kommission hatte schon 2021 ein Pilotverfahren – die Vorstufe zu einem Vertragsverletzungsverfahren – gegen Deutschland angestrengt. Der Grund ist die Öko- und deren Durchführungsverordnung. In der Verordnung aus dem Jahr 2007 steht bereits erstmals die Weidepflicht. Die aktuelle Verordnung von 2022 will nun aktiv VerbraucherInnen vor Täuschung schützen. Diese erwarten nämlich beim Kauf von Biomilch, so die Argumentation, dass diese aus Weidehaltung kommt und damit die tiergerechteste Haltungsform allen Bio-Wiederkäuern zugutekommt.
Ausnahmen von der Weidehaltepflicht werden nun zukünftig nur noch in folgenden Fällen gewährt:
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extreme Trockenheit und Wassermangel, wenn aufgrund von Futtermangel auf der Weide eine bedarfsgerechte Futteraufnahme nicht möglich ist,
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lang andauernde Regenperioden und dadurch sehr aufgeweichte Weideflächen, bei denen die Beweidung zu einer nachhaltigen Schädigung der Grasnarbe führen würde,
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über die Wintermonate hinausgehende Eis- oder Schneelage,
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Sturm- und Unwetterereignisse.
Erhebliche Folgen
Alle anderen Gründe, besonders die „betrieblich unzureichende Verfügbarkeit oder Erreichbarkeit des Weidelands, führen zu keiner Einschränkung der Weideverpflichtung", heißt es weiter. Nach Einlenken des grün geführten Landwirtschaftsministeriums gegenüber Brüssel im November 2024, welches auf der Abstimmung auf nationaler Ebene zwischen Länderbehörden, dem Bund und den Ökokontrollstellen beruht, scheint das Vertragsverletzungsverfahren vom Tisch. Unterdessen ist unklar, welche Folgen die Umsetzung sowohl für den Biomilchmarkt als auch für die betroffenen Biobetriebe haben wird. Fünf bis sieben Prozent betrug der Anteil der Betriebe, die in Österreich aufgaben, nachdem die Regeln dort bereits 2022 strenger wurden.
Einsatz für Übergangsfristen und Härtefallregelungen
Mitte April gab es ein Spitzengespräch mit der bayrischen Staatsministerin Michaela Kaniber, der Landesvereinigung Ökolandbau Bayern (LVÖ), der Molkerei Gropper und der Andechser Molkerei Scheitz sowie den Präsidenten von Bioland und Naturland, die sowohl den BÖLW wie auch IFOAM vertreten. Alle Beteiligten sprachen sich dafür aus, sich Brüssel gegenüber für längere Übergangsfristen und einzelne Härtefallregelungen stark zu machen, um den Ausstieg vieler Betriebe aus der Biomilchproduktion und damit den beschleunigten Strukturwandel zu verhindern. Naturland hatte ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, welches zu dem Schluss kommt, dass sehr wohl weniger rigide Auslegungen der EU-Bioverordnung möglich sind. Gemeinsam mit dem Bauernverband adressieren sie damit die Länderagrarminister. Denn für nachhaltige Änderungen braucht es neben Übergangsfristen und Härtefallregelungen aber etwas anderes, nämlich agrarpolitischen Handlungswillen, um milchviehhaltende Betriebe zu erhalten.
Flankierende Maßnahmen
Einer der zentralsten Punkte dürfte die dauerhafte Kostenunterdeckung sein. So lagen laut MMI die Erzeugungskosten für Biomilch im Wirtschaftsjahr 2023/2024 bei 68,53 Cent/kg, während der Erzeugerpreis auf 55,55 Cent sank. Somit deckte der Biomilchpreis nur 81 Prozent der Erzeugerkosten. Auch 2024 war für die Betriebe keine Erholung in Sicht. Der Biomilchorientierungspreis für eine Vollkostendeckung lag bei 69,7 Cent/kg, ausgezahlt wurden im Schnitt aber nur 58 Cent. Permanente Kostenunterdeckung und ein Mangel an langfristigen Maßnahmen, die diesen Trend stoppen können, führen seit Jahrzehnten dazu, dass milchviehhaltende Betriebe aufgeben. Schaut man sich die Zahlen an, so zeigt sich, dass sich seit dem Jahr 2000 die Zahl der Milchviehhalter:innen in Deutschland halbiert hat. Übrig bleiben oftmals nur die Betriebe, die Bestandsgrößen hochfahren, und mit entsprechender Produktionstechnik und professionellem Unternehmens- und Herdenmanagement auf dem Milchmarkt bestehen können. Der Trend ist im Biomilchmarkt ebenfalls zu beobachten, wird doch ein Großteil der Biomilch über den LEH vermarktet und ist somit dem dort herrschenden gleichen Kostendruck wie auf konventionellen Betrieben ausgesetzt.
Milchmarkt gestalten und Milchviehbetriebe stärken
Als Gesellschaft und auch als bäuerliche Interessenvertretung kann das nicht hingenommen werden. Um nicht noch mehr Betriebe zu verlieren, müssen sich politische Akteure stark machen, um die Reform der Gemeinsamen Marktordnung in Angriff zu nehmen und durch flankierende Maßnahmen wie den Artikel 148 GMO und das Verkaufsverbot unter Produktionskosten kostendeckende Erzeugerpreise zu ermöglichen. Zudem muss die Verhandlungsposition von Bäuerinnen und Bauern bezüglich der Ausgestaltung von Lieferverträgen gestärkt werden. Unabdingbar ist ebenso eine Honorierung von Weidegang in Form einer Weideprämie, um damit den Betrieben den Mehrwert an Tierwohl, Biodiversität und Klimaschutz entsprechend zu vergüten. Die AbL arbeitet seit vielen Jahren an der politischen Umsetzung dieser Forderungen und versucht, nachhaltig wirtschaftende tierhaltende Betriebe aktiv zu unterstützen.
Mehr Akzeptanz
Ebenso arbeiten viele Biolandwirte seit Jahren daran, die Weidevorgaben zu erfüllen. Sie beschaffen sich beispielsweise durch Flächentausch geeignete Weideflächen. Allerdings sind diese vielerorts knapp. Gerade Höfe, die innerhalb von Dörfern liegen, haben schlechte Karten. Dass sich die Situation auf dem Bodenmarkt zukünftig entspannt, ist nicht zu erwarten und so steht auch deshalb dringend eine politische Reform des Pacht- und Bodenmarktes an. Hinzu kommt, dass es heutzutage schwierig bis fast unmöglich geworden ist, die Tiere wie früher durch das Dorf auf die Weide zu treiben. Das liegt an den zunehmenden Herdengrößen, dem ständig wachsenden Verkehrsaufkommen und nicht zuletzt an der fehlenden Akzeptanz der ländlichen Bevölkerung. Hier bedarf es Aufklärung und nachhaltiger Bildungsprogramme, um den Wert von Weidehaltung bekannter zu machen. Damit friedlich weidende Kühe zukünftig noch real auf der Weide und nicht nur im Bilderbuch zu finden sind, müssen wir trotz der nicht nachvollziehbaren politischen Fehlentscheidungen der vergangenen Monate alle Akteure sowie Politiker:innen in die Verantwortung nehmen.