Wer profitiert hier eigentlich?

Das große Thema Wertschöpfung und Wertschätzung in der Landwirtschaft:

Landwirtschaftliche Themen spielen auf den ersten Blick keine große gesellschaftliche Rolle für die bevorstehende Bundestagswahl. Doch die steigenden Lebenshaltungskosten sind durchaus etwas, was die Menschen beschäftigt: Dieses Thema wird mit genannt, wenn in Umfragen nach den wichtigsten Problemen gefragt wird, die die Politik nach der Wahl angehen sollte. Dabei fallen vor allem die Lebensmittelpreise auf, die im Gegensatz zu Energiepreisen weiter gestiegen sind – seit 2020 um durchschnittlich mehr als 34 Prozent, wie die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) betont. Gleichzeitig fordern Bäuerinnen und Bauern nach wie vor kostendeckende Erzeugerpreise und kämpfen dafür, mehr Einfluss auf die Preisgestaltung in der Lebensmittelkette zu erhalten, um nicht durch Preisdruck bei steigenden Kosten und Anforderungen zerrieben zu werden. Selbst Einschätzungen der marktliberalen Monopolkommission haben bestätigt, dass sich die Anteile der Erlöse entlang der Wertschöpfungskette zum Nachteil der Erzeuger deutlich hin zu Verarbeitungsindustrie und Lebensmitteleinzelhandel (LEH) verschieben. Mit anderen Worten: Die Spanne zwischen Verbraucher- und Erzeugerpreisen hat sich in den letzten Jahren weiter auseinanderentwickelt.

Faire Preise für alle
Wie faire Lebensmittelpreise für alle geschaffen werden können, wird an verschiedenen Stellen sowohl mit nationalem als auch internationalem Blick diskutiert. Einer der wichtigsten Punkte immer wieder: Transparenz. So auch bei zwei Veranstaltungen der Heinrich-Böll-Stiftung Mitte Januar. An konkreten Ansätzen kamen dort u. a. zur Sprache: verpflichtende Verträge zwischen Erzeugern und ihren Rohstoffabnehmern sowie der kooperative Ansatz der Drei-Parteien-Verträge entlang der Kette, die Einrichtung einer Beobachtungsstelle für Preise und Margen, die ausbaufähige EU-Richtlinie über unfaire Handelspraktiken (UTP) und das deutsche Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz (AgrarOLkG). So führte Lisa Völkel vom Bundesverband der Verbraucherzentrale nicht nur aus, wie erschreckend viele Menschen in Deutschland nicht die Ressourcen haben, in Zeiten von hohen Lebensmittelpreisen auszuweichen – sie freute sich auch, „dass sich die EU im Frühjahr letzten Jahres dazu berufen gefühlt hat, eine Preisbeobachtungsstelle einzuberufen. Das Ganze hätten wir auch nochmal ganz gern für Deutschland. Damit wir uns hier unsere Lieferketten einmal genauer anschauen und sicherstellen können, dass alle Mitglieder der Kette fair bezahlt werden. Auf Grundlage eines jährlichen Berichts an den Bundestag könnten dann politische Maßnahmen getroffen werden.“

Landwirtschaft unter Druck
Auf demselben Podium verdeutlichte Elmar Hannen als Milchbauer im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) die Hintergründe: So habe die EU-Förderung über lange Zeit niedrige Verbraucherpreise kompensiert. „In dem Rahmen sind wir Landwirte jedoch enorm kontrollierbar geworden. Drei- bis viermal pro Jahr wird von verschiedenen Behörden geprüft, ob ich zu Recht Prämien bekomme – das ist aus Erzeugersicht schwer zu ertragen. Auf der anderen Seite haben sich Verarbeiter und LEH in diesem Rahmen bedient mit günstigen Rohstoffpreisen aus der Landwirtschaft, um günstige Verbraucherpreise daraus zu entwickeln. Alle haben sich an den Zustand gewöhnt, dass alles günstig zu bekommen ist.“ Die Kalkulation für die Preiseinstiegsmarken der vier großen LEH-Ketten werde abgeleitet von Börsenpreisen für standardisierte Milchprodukte, sei aber niemals an die Produktionskosten der Landwirte gekoppelt. Seit etwa zehn Jahren gebe es die Entwicklungen, dass gesellschaftliche Anforderungen zum einen politisch durchgesetzt werden – und zum anderen über das Produkt, mit Labeln für kontrollierte Leistungen wie Tierhaltungsform oder Gentechnikfreiheit. Landwirte gerieten so mehr und mehr unter Druck – die Preisbildung habe sich aber nicht geändert. „Jetzt haben wir diese Situation am Markt und wir haben politisch die Entwicklung, die Direktzahlungen abzuschmelzen und an Konditionalitäten zu binden. Das heißt, ich komme von zwei Seiten unter Druck.“ Neue gesetzliche Vorgaben z. B. für den Wasserschutz oder die Tierhaltung seien dann für Landwirte kaum noch tragbar, weil sie am Ende die Kosten erhöhen. „Im Grunde genommen müssen wir für das, was wir tun, fair bezahlt werden. Das ist unser Grundgedanke.“ Eine Steilvorlage für fundierte Argumentationen zur aktiven Marktgestaltung bietet der diesjährige Kritische Agrarbericht mit seinem Schwerpunktthema „Wertschöpfung und Wertschätzung“.

Sozialverträgliche Marktgerechtigkeit
Auch im Konsenspapier des Strategischen Dialogs zur Zukunft der EU-Landwirtschaft von 2024 wird dazu aufgefordert, „Maßnahmen [zu unterstützen], die sicherstellen, dass die Landwirte ein angemessenes Einkommen auf dem Markt erzielen und ihre Produkte nicht systematisch unter den Produktionskosten verkaufen müssen.“ Erfahrungen von in diesem Sinne erfolgversprechenden nationalen Regelungen sollten in EU-Recht einfließen. Mit dieser Vorgabe im Rücken hat sich der EU-Agrarkommissar Christophe Hansen daran gemacht, im Januar eine Reform der Gemeinsamen EU-Marktordnung (GMO) mit faireren Marktregeln anzustoßen, bei der u. a. eine europaweite Vertragspflicht für die Milchbranche umgesetzt würde. Gerade an diesem Punkt ziert sich die deutsche Politik. Deshalb haben sich vor den anstehenden Verhandlungen im EU-Agrarrat Vertreter:innen mehrerer Bauernverbände (AbL, BDM, LSV, EMB, MEG Milchboard) gemeinsam mit Natur- und Tierschutz- und Verbraucherverbänden in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt: „Wir fordern Sie daher auf, Ihre bisher von extremen Bedenken und Zurückhaltung geprägte Positionierung der deutschen Bundesregierung für die Sitzung des Europäischen Agrarrates am 27. Januar in Brüssel aufzugeben und sich stattdessen endlich hörbar und engagiert für eine spürbare Verbesserung der Verhandlungsposition von Milchbäuerinnen und Milchbauern einzusetzen.“ Hier schlagen die Verbände eine Brücke zur fairen Entlohnung – von selbständigen Bäuerinnen und Bauern, aber auch von angestellten Mitarbeitenden. Die von Bundeskanzler Scholz vorgeschlagene Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro pro Stunde ließen die Marktbedingungen für die Landwirtschaft bisher überhaupt nicht zu. So wird deutlich, dass Marktgerechtigkeit für den Wert landwirtschaftlicher Erzeugnisse unmittelbar verknüpft ist mit sozialer Gerechtigkeit für ein auskömmliches Arbeitseinkommen, an dem sich auch ein menschenwürdiges Existenzminimum für verletzliche Bevölkerungsgruppen orientieren sollte – nicht zuletzt, um sich faire und das heißt auch: gesunde,  umwelt- und klimaverträgliche sowie tiergerechte Lebensmittel leisten zu können.

30.01.2025
Von: cet

Faire Preise für Bäuerinnen, Bauern und Verbraucher:innen auf unterschiedlichen Ebenen angehen Foto: Whes