Weltgesundheitsgipfel: Antibiotikaeinsatz in der industriellen Tierhaltung muss thematisiert werden

Die Bundesregierung muss nach Ansicht der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Germanwatch bei dem am vergangenen Sonntag begonnenen Weltgesundheitsgipfel deutliche Impulse für weniger Antibiotika in Ställen setzen. Das erklärte die Organisation im Vorfeld des Gipfels. Erforderlich seien klare Ziele und Verbote des Einsatzes von Reserveantibiotika, um die Gefahr durch Antibiotikaresistenzen einzudämmen. Wie die Bundesregierung den Einsatz von Antibiotika reduzieren will, hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir in der letzten Woche in der Bundestagsdebatte zur Änderung des Tierarzneimittelgesetzes erklärt.

Im Vorfeld des am vergangenen Sonntag begonnenen Weltgesundheitsgipfels hat die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Germanwatch insbesondere von Bundeskanzler Scholz, Gesundheitsminister Lauterbach sowie Agrar-Staatssekretärin Silvia Bender eine Reaktion auf die Gefahren durch Antibiotikaresistenzen aus der Tierhaltung gefordert. „Wir erwarten klare Aussagen, wie die G7-Zusagen eingehalten und der noch immer hohe und routinemäßige Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung reduziert werden können. Es ist zwingend nötig, die als Notfallschutz für den Menschen zentralen Reserveantibiotika in der Tierhaltung einzudämmen“, fordert Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.

Das Gipfeltreffen der G7-Staats- und Regierungschefs hat laut Germanwatch unter deutscher Präsidentschaft beschlossen, keine Mühen zu scheuen, um das Problem der Antibiotikaresistenzen zu bekämpfen. Ähnlich äußerten sich zuvor auch die Agrar- und Gesundheitsminister, die explizit auch zum Kampf gegen Resistenzen in Landwirtschafts- und Ernährungssystemen aufriefen. In den letzten Jahren haben zahlreiche humanmedizinische Institutionen wie der Ständige Ausschuss der Europäischen Ärzte und die Bundesärztekammer immer wieder eine strenge Regulierung von Antibiotika gerade auch in der Tierhaltung gefordert.

Germanwatch: Klare Zielformulierungen und besserer Tierschutz vonnöten

Konstantinos Tsilimekis, Leiter des Teams Welternährung, Landnutzung und Handel bei Germanwatch, ergänzt: „Auch die Wissenschaftsakademien der G7-Staaten wiesen zuletzt darauf hin, dass eine der Hauptursachen für die Zunahme von Resistenzen der weit verbreitete Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung ist. Bei der globalen Zusammenkunft auf dem World Health Summit müssen nun dringend gemeinsame Maßnahmen vereinbart und vorangetrieben werden. Neben klaren Zielformulierungen zur allgemeinen Antibiotikareduktion und Verboten des Einsatzes von Reserveantibiotika spielt auch die nationale wie internationale Abkehr von der industriellen Tierhaltung eine entscheidende Rolle. Die bisherigen Bemühungen reichen dazu noch lange nicht aus.“

Resistenzen gegen Antibiotika zählen zu den größten Bedrohungen der globalen Gesundheit. Aktuelle Studien verweisen schon jetzt auf jährlich 1,3 Millionen Todesfälle weltweit und 670.000 Erkrankungen an Infektionen mit antibiotikaresistenten Erregern allein in der EU. In einem gemeinsamen Paper von ECDC, OECD, EFSA und EMA (2022) wird außerdem betont, dass die "Resistenz gegen häufig verwendete Antibiotika bei Bakterien", die von zur Lebensmittelgewinnung eingesetzten Tieren stammen, unverändert hoch bis sehr hoch ist.

Özdemir: Antibiotikaresistenzen sind eines der größten Gesundheitsprobleme unserer Zeit

Wie die Bundesregierung den Einsatz von Antibiotika reduzieren will, hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir in der letzten Woche in der Bundestagsdebatte zur Änderung des Tierarzneimittelgesetzes erklärt. „Antibiotikaresistenzen sind eines der größten Gesundheitsprobleme unserer Zeit. Manche sprechen gar von der „stillen Pandemie“. Wenn wir auch in Zukunft etwas Wirkungsvolles gegen Krankheiten bei Mensch und Tier in der Hand haben wollen, müssen wir den Einsatz von Antibiotika weiter absenken. Mit der Änderung des Tierarzneimittelgesetzes und weiterer Vorschriften kommen wir dabei einen großen Schritt voran. Erstens müssen Tierärztinnen und Tierärzte ab dem nächsten Jahr die Anwendung von Antibiotika bei allen Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten melden. Das schafft endlich mehr Transparenz. Zweitens nehmen wir weitere Nutzungsarten auf: Milchkühe, Jung- und Legehennen, Sauen mit Saugferkeln und zugekaufte Kälber. Die Wissenschaft weist uns darauf hin, dass es hier spürbare Reduktionspotenziale gibt. Drittens stärken wir die zuständigen Überwachungsbehörden. Sie sind künftig gesetzlich verpflichtet, Anordnungen und Maßnahmen zu treffen, wenn dies zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes in einem tierhaltenden Betrieb erforderlich ist. Das sorgt für Klarheit. Und viertens soll es einen Wichtungsfaktor bei solchen Antibiotika geben, die aufgrund ihrer therapeutischen Relevanz eine kritische Bedeutung haben, zum Beispiel Fluorchinolone. Das sorgt dafür, dass diese Wirkstoffklassen so selten wie möglich eingesetzt werden; denn Antibiotika mit kritischer Bedeutung müssen wirksam bleiben bei schwersten Erkrankungen von Mensch und Tier. Das ist gerade dann immens wichtig, wenn es überhaupt kein anderes Medikament mehr gibt. Klar ist aber auch: Bei allen Bestrebungen nach Antibiotikaminimierung gebietet es geradezu der Tierschutz, dass kranke Tiere weiter behandelt werden können. Die Anwendung muss aber auf das therapeutisch unvermeidbare Minimum reduziert werden.“

18.10.2022
Von: FebL/PM

Neben klaren Zielformulierungen zur allgemeinen Antibiotikareduktion und Verboten des Einsatzes von Reserveantibiotika spielt auch die nationale wie internationale Abkehr von der industriellen Tierhaltung nach Ansicht von Germanwatch eine entscheidende Rolle zur Reduktion des Einsatzes von Antibiotika. Foto: Archiv