Am 28. Januar 2022 ist in Deutschland die neue EU-Tierarzneimittel-Verordnung in Kraft getreten. Als wichtige Neuerungen nennt das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) unter anderem, dass der Einsatz von Antibiotika bei Tieren weiter eingeschränkt wird, z.B. indem die prophylaktische Anwendung von Antibiotika bei Tiergruppen verboten wird, und die Zulassung und Anwendung von solchen Antibiotika bei Tieren untersagt wird, deren antimikrobielle Wirkstoffe der Humanmedizin vorbehalten bleiben müssen (sog. „Reserveantibiotika“). Kritik kommt von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und dem agrarpolitischen Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Martin Häusling, und sie richtet sich insbesondere an den Umgang mit den Reserveantibiotika.
Auch das BMEL weist darauf hin, dass die Liste der von der Verordnung betroffenen Reserveantibiotika erst im Laufe des Jahres 2022 von der EU-Kommission erstellt werden soll und mahnt eine schnelle Vorlage an. „Denn die neuen Vorschriften der Verordnung (EU) 2019/6 zu sog. 'Reserveantibiotika' dienen dazu, der Verbreitung antimikrobieller Resistenzen entgegenzuwirken und im Sinne des Konzepts 'Eine Gesundheit (One Health)' die umsichtige und verantwortungsvolle Verwendung antimikrobieller Wirkstoffe bei Tieren zu fördern“, heißt es aus dem BMEL.
Häusling mahnt zur EileDas Fehlen des „zentralen Elements“ zur Eindämmung von Antibiotikaresistenzen, nämlich der Liste der künftig allein Menschen vorbehaltenen Antibiotika, bemängelt auch Martin Häusling.
„Mehr als eine Million Tote pro Jahr, weil Medikamente aufgrund bestehender Resistenzen nicht mehr wirken!“ So habe es erst kürzlich in den Medien gestanden. „Das Problem der zunehmenden Antibiotikaresistenzen wird endlich begriffen. Weltweit werden zwei Drittel aller Antibiotika in der Tierhaltung verabreicht. Fast 90 Prozent davon in der Massentierhaltung. Die Veterinärmedizin hat also einen entscheidenden Anteil daran, wie Antibiotikaresistenzen sich ausbreiten. In der neuen EU-Tierarzneimittel-Verordnung finden sich einige Regelungen, die zu einem überlegteren Umgang mit Antibiotika beitragen werden“, so Häusling.
Die neue Verordnung sieht vor, dass umfassendes Datenmaterial zum Verkauf und zur Verwendung von Antibiotika erhoben werden muss. „Richtig so“, sagt Häusling, „denn die Daten sind eine wichtige Grundlage um gezielt den Einsatz von Antibiotika reduzieren zu können.“ Sehr gut sei auch, dass Importe von Tieren oder von Tiererzeugnissen, die mit in der EU für Tiere verbotenen Antibiotika erzeugt wurden, explizit verboten sind.
Die neue Verordnung lasse aber insgesamt zu viel Interpretationsspielraum in Bezug auf die Antibiotikaverwendung bei Tieren. So heißt es in Artikel 107(1), dass Antibiotika ‚nicht routinemäßig eingesetzt oder angewendet werden dürfen um mangelhafte Hygiene, unzulängliche Haltungsbedingungen oder Pflege oder unzureichende Betriebsführung auszugleichen‘. Was aber genau mit einem „routinemäßigen“ Einsatz gemeint ist, bleibt nach Ansicht von Häusling „undefiniert und nebulös“. Der prophylaktische Einsatz von Antibiotika in Tiergruppen sei zwar verboten. Bei Einzeltieren oder wenigen Tieren bleibe er aber bei einer drohenden Infektion mit schweren Folgen erlaubt.
Auch die metaphylaktische Behandlung, also die medizinische Versorgung, wenn bereits eine Infektionskrankheit im Bestand vorliegt, bleibe bei hohem Ausbreitungsrisiko und bei fehlenden Alternativen erlaubt. Die leider noch immer gängige Praxis, Antibiotika übers Futter- oder Getränkesystem an alle Tiere zu verabreichen, wie oftmals vor allem in der Geflügelmast praktiziert, werde ebenfalls leider nicht explizit ausgeschlossen.
„Die größte Sorge bereitet mir jedoch, dass die Europäische Kommission noch immer nicht ihre Liste mit all denjenigen Antibiotika veröffentlicht hat, die künftig allein der Behandlung von Menschen vorbehalten bleiben. Erst mit der Veröffentlichung dieser Liste lässt sich sagen, welche Antibiotika nicht mehr für Tiere verwendet werden dürfen. Erst dann lässt sich abschätzen, wie wirksam die Entstehung und Ausbreitung antimikrobieller Resistenzen eingeschränkt werden kann.
Um die genaue Ausgestaltung der Kriterien dieser Liste gab es im Sommer 2021 einen heftigen Schlagabtausch. Mit der von der EU-Kommission genutzten und vom Tierärzteverband unterstützten Herangehensweise an die Liste bin ich nicht einverstanden. Die Liste sollte längst vorliegen. Ich habe die EU-Kommission deshalb in einem
gesonderten Schreiben zur Eile gemahnt“, erklärt Häusling.
DUH: Verordnung ist "zahnloser Tiger"Harsche Kritik an der EU-Tierarzneimittel-Verordnung kommt von der Deutschen Umwelthilfe. Zwar ziele die Regulierung darauf ab, die vorbeugende Gruppenbehandlung von Tieren mit Antibiotika im Futter und Trinkwasser stark zu reduzieren, bei Verstößen sehe die Verordnung allerdings keine Sanktionen vor und werde deshalb kaum positive Auswirkungen entfalten. Auch der routinemäßige Einsatz von Reserveantibiotika werde nicht gestoppt. Die DUH fordert die EU-Kommission deswegen dazu auf, in den anstehenden Detail-Rechtsakten massiv nachzubessern.
Dazu Reinhild Benning, Agrar-Expertin der DUH: „Mit ihrer neuen Tierarzneimittel-Verordnung stellt die EU-Kommission die Interessen der Fleischindustrie und Futtermittelkonzerne über die Rettung kranker Menschen. Ohne handfeste Sanktionen gegen den alltäglichen Gebrauch von Antibiotika in der Massentierhaltung bleibt sie nur ein zahnloser Tiger, der nichts gegen die zunehmende Gefahr durch resistente Krankheitserreger ausrichten wird. Weltweit sind antibiotikaresistente Keime jährlich für 1,27 Millionen Todesfälle verantwortlich. 18,9 Prozent der Antibiotikaresistenzen bei Menschen stammen dabei laut Studien von Lebensmitteln, allen voran von Fleisch. In einem von uns beauftragten Stichproben-Test haben wir bei jeder dritten Putenfleischprobe von Lidl und jeder vierten von Aldi resistente Erreger gefunden. Auch das zeigt, wie dringend Handlungsbedarf besteht. Die EU-Kommission muss sofort die notwendigen Schritte ergreifen, um die Praxis von routinemäßigem Antibiotikaeinsatz zu sanktionieren.“
Die DUH verweist darauf, dass gerade der Einsatz von Reserveantibiotika in der Massentierhaltung von Ärzten und Umweltschützern seit langem heftig kritisiert wird. Reserveantibiotika im Trinkwasser und Futter zur Verabreichung an ganze Herden von Tieren sind in der EU noch immer nicht verboten. Dabei sollen diese Medikamente eigentlich für Menschen reserviert werden, bei denen alle anderen Antibiotika aufgrund resistenter Krankheitserreger bereits versagen, so die DUH.