Wassernot in Frankreich: Tomaten, Atomkraft oder Pool

Dürre und Wassernot breitet sich in diesem Jahr im Süden Frankreichs aus wie noch nie. Überall fehlt Wasser. Es muss gespart werden. Aber wer und wie? Der Konflikt zwischen Industrie, Landwirtschaft und Privatverbrauchern bricht auf. Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

Ein Gutes hat der Dürresommer für die Franzosen. Endlich ist das Thema Klimawandel in der Öffentlichkeit wie in Wirtschaft und Politik angekommen. Bisher waren sie trotz eines „Höllensommers 2022“, wie er genannt wird, der Meinung, dass man damit nicht extra zu tun hat. In der Energiefrage (Strom) ist man mit der großen Zahl der Atomkraftwerke „nachhaltig“ aufgestellt, wie sogar die EU zertifiziert hat. Und heiße Wochen im Sommer kennt man seit alters her. Damit zieht man vor allem im Süden und am Meer viele Touristen an. Die Landwirtschaft hat immer irgendwie genügend Wasser gefunden – für Obst und Gemüse. Auch für den exportwichtigen Getreideanbau vor allem im fruchtbaren Pariser Becken reichte der Regen bzw. die Winterfeuchte normalerweise aus.

Dürre schon im Winter gab’s noch nie

Das sieht jetzt anders aus. Ursache für die außergewöhnliche Trockenheit ist der seit Monaten fehlende Regen durch die Winterdürre. In vielen südlichen Regionen, aber auch in der Bretagne im Nordwesten fiel in der ersten Jahreshälfte 2023 zwischen 30 bis 40% weniger Niederschlag als im Durchschnitt. In manchen Orten regnete es zuletzt im Januar, viele Regionen sind im offiziellen Dürreportal gekennzeichnet mit „extremer Dürre“ oder „großer Dürre“ oder mindestens - wie in der Gegend um Paris - „moderater Dürre“. Einige Regentage im Mai haben zwar etwas genutzt, aber der Grundwasserspiegel ist weiterhin viel zu niedrig. Der Staat reagiert mit Aufforderungen, den privaten Konsum „ohne zu zögern“ (Minister Béchu) einzuschränken. Überall soll Wasser gespart werden, beim Blumengießen und Rasenwässern, bei den privaten und öffentlichen Schwimmbecken. In einigen südlichen Städten dürfen keine Pools mehr aufgestellt werden, ja teilweise dürfen keine neuen Häuser gebaut werden, weil ausreichend Wasser fehle.

Klimaexperten halten die privaten Einschränkungen für Pädagogik fürs Volk. Der Nutzen sei gering. Immerhin realisieren Staat und Bevölkerung, dass die Klimakrise existiere. Aber bislang haben die Regionalregierungen viele kleine Verbote beschlossen, aber kaum etwas verändert. Wirklich entscheidende Wasserverbraucher seien Atomkraftwerke, Industrie und Landwirtschaft. Dort müsse strukturell etwas geändert werden. Die Landwirtschaft steht für fast 60% des Wasserverbrauchs.

Macrons Wasserplan nur ein Einstieg

Alle großen Wassernutzer sollen 10% Wasser bis 2030 einsparen. Das beinhaltet der Wasserplan der Regierung, den Präsident Macron Ende März vorgestellt hat. Bis 2050 werde bis 40% weniger Wasser verfügbar sein und der Grundwasserspiegel um etwa 25% sinken. Die Dürre vom letzten Jahr werde in Zukunft nicht außergewöhnlich sein. „Daher müssen wir vorsorgen, allein schon, um über den nächsten Sommer zu kommen,“ ließ der Präsident verlautbaren. Dieser Wasserplan ist vor allem ein Plan der Enthaltsamkeit und der langfristigen Effizienz bei der Wassernutzung", so Macron. Sparen, Leitungen reparieren, gestaffelte Verbrauchstarife für die Bürger und eine nachhaltige Landwirtschaft.

Bei den Lösungen blieb er aber auffallend vage - auch für die Landwirtschaft. Dabei ist klar, dass die Bauern in eine Falle laufen. Magali Reghezza-Zitt vom Hohen Klimarat weist darauf hin, dass es zukünftig weniger Wasser gäbe, zugleich wegen der Trockenheit mehr bewässert werden müsse, um die Erträge zu halten. Wie immer wird zunächst einmal auf neue Techniken gesetzt. Die Tröpfchenbewässerung müsse ausgebaut werden, so der Präsident. Das machen viele Gemüse- und Obsterzeuger schon längst. Aber bei 20 bis 40% Wasserverzicht, wie es die Präfektur verlangt, sei kein Obst- und Gemüseanbau mehr möglich, so ein Tomatenbauer aus dem Südwesten. Bisher habe man eine Ausnahmeregelung bekommen, die er auch brauche. Überhaupt gingen die Kontrollen der Wasserbehörden sehr weit. Aber so schlimm wie dieses Jahr sei es noch nie gewesen, ergänzt ein anderer Bauer von Tomaten, Gurken, Nektarinen, Pfirsichen und Kiwis. Er darf seine Obstbäume nur einmal die Woche gießen, weil die Gemeinde das Grundwasser für die Bevölkerung benötige. 10 Liter Trinkwasser pro Person und Woche stellt die Behörde zur Verfügung, den Rest muss er im Supermarkt kaufen. Schon im 2022 mussten 500 Orte mit Trinkwassertankwagen versorgt werden. Nun habe man bereits im Mai die höchste Notfallstufe, was sonst manchmal im Juli passierte.

Aktuell versuchen sich ganze Gegenden im Süden mit „Megabassins“ zu retten. Dort werden im Winter aus dem Grundwasser Hunderttausende Kubikmeter in einen künstlichen See gepumpt, aus dem im Sommer bewässert werden soll. Für manche in der Agrarbranche erscheint es ein Ausweg. Aber damit sinkt der Grundwasserspiegel weiter, Felder ohne Bodenbedeckung trocknen aus und wasserintensive Pflanzen wie Mais (als Futter und für Biogas) werden ausgebaut. Natürlich müsse Wasser zukünftig besser gespeichert werden, warnen Umweltschützer und auch kritische Bauerngruppen wie die Confederation Paysanne, aber die Bassins seien teuer, energieaufwendig und wenig ergiebig. Außerdem würden Großbetriebe bei der Nutzung bevorzugt.

Richtige und falsche Anpassung

Diese Art der „falschen Anpassung“, wie der Klimarat feststellte, erzeugt schon heute mancherorts heftige Konflikte um die Verteilung wie Ende März in Sainte-Soline, einem 300-Seelen-Dorf nahe Bordeaux, als Tausende gegen ein Megabassin demonstrierten. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die in ganz Frankreich die Auseinandersetzungen um die Jugendlichen in den Vororten und die Gelbwestenbewegung befeuerten, musste sogar die Regierung eingreifen.

Anpassung ist für die herrschende Landwirtschaft das Gebot der Stunde. Sparsamere Bewässerungsmethoden, neue Sorten, Bodenbedeckungen gegen Verdunstung und nicht zuletzt auch Hoffnung auf die Züchtungserfolge der neuen Gentechnik sollen das aktuelle Agrarsystem reformieren bzw. retten. Immerhin ist Frankreich das größte Land in der EU, der größte EU-Exporteur von Getreide und Landwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor – und Aktionen der Bauern sind berüchtigt. Nicht noch mehr Bevölkerungsgruppen sollen in den Rechtspopulismus abdriften.

So sehr auch der Wasserplan bzw. der Einstieg in eine schonendere Nutzung des knappen Guts Wasser auch von Umweltverbänden grundsätzlich begrüßt wird, bleiben die Grenzen der Anpassung offensichtlich. Man fürchte, dass nur Anpassung und keine umfassende Klimapolitik betrieben werde, in der auch die Landwirtschaft eine Rolle spielen müsse. Klimaexpertin Reghezza-Zitt fordert einen Umbau der Landwirtschaft mit humusreichen Böden, die Wasser halten können. Es gehe um Abbau der Tierzahlen, um robuste, leistungsreduzierte Pflanzensorten und Tierarten, um andere Bodenbearbeitung, mehr Grünland und weniger Mais und um Agroforst. Grünere Städte, Entsiegelung, veränderte Wasserläufe, Schmutzwasser-Recycling, Flächenkonkurrenz zwischen Landwirtschaft, Industrie, Geschäften, Bebauung, Tourismus sind heikle politische Entscheidungen und kosten viel Geld.

Atomkraft als Verbrauchskonkurrent

Frankreich hat noch eine Besonderheit der Wassernutzung in Europa. Der Staat setzt weltweit wie kein anderer auf Atomkraft, die ca. 70% des Stroms produziert. AKWs aber brauchen Flusswasser zum Kühlen und erwärmen zugleich das Wasser, das in die Flüsse zurückgeleitet wird. Experten gehen z.B. davon aus, dass die Rhone, der größte Fluss Südfrankreichs, an dem 5 AKWs liegen, demnächst in manchen Zeiten bis 40% weniger Wasser führt. Schon im letzten Jahr musste zeitweilig Strom aus Deutschland importiert werden – aus Wassermangel oder wegen Reparaturen, denn viele Meiler sind alt. Ohne eine Ausnahmeregelung für eine Erhöhung der Temperatur bei der Rückführung in die Flüsse, die wohl zur Regel werden muss, ginge schon heute oft der „Saft“ aus. „Wir müssen unsere Atomkraftwerke an diese Bedingungen anpassen und sie umbauen,“ verriet Macron in kryptischer Weise wie die Sphinx in Delphi. Ein Mitarbeiter aus dem Umweltministerium kommentierte, dass für mögliche Umbauten kein Geld zur Verfügung stehe, denn die Kosten seien „exorbitant und der Nutzen gering“. Die Lösung sollen neue Meiler in 10 und mehr Jahren sein, die die alten anfälligen ersetzen. Es regiert das Prinzip Hoffnung.

Das gilt auch für andere und neue Industrien (Microchips), die viel Wasser benötigen. Die Trockenheit wird also den Prozess der Re-Industrialisierung des Landes behindern und den Verteilungskonflikt weiter verschärfen.

Der Marktbeobachter geht davon aus, dass die Ernte des Wintergetreides in der Grande Nation durchschnittlich ausfallen wird. Bei Sommergetreide, Raps, Mais sind die Prognosen verhalten. Aber angesichts der Lage um die Lieferungen aus der Ukraine und um die Dürre in den USA und Kanada sind die Erträge wichtig, damit die Spekulanten und Getreidehändler die Preise nicht wieder unerträglich anheizen. Aber auch bei uns wird das Wasser zunehmend zu einem begrenzenden Faktor. Ohne mehrfache Beregnung von Kartoffeln, Zuckerrüben geht in vielen Regionen nichts mehr, ja selbst Getreide und Mais stehen unter Wasserdruck. Und der Pegelstand der Flüsse und die Gletscherschmelze sind wirtschaftliche Größen – nicht nur für die Anwohner.

 

 

19.07.2023
Von: Hugo Gödde

Wassernot bei Tomaten. Foto: 3centista/Pixabay