Wahlkommentar: Wir müssen wehrhafte Demokrat*innen werden

Ein Kommentar zur Bundestagswahl 2025:


Noch am Vorabend der Bundestagswahl hetzt Friedrich Merz gegen Demonstrierende, die gegen Rechts und für Demokratie auf die Straße gehen. Der wahrscheinlich nächste Bundeskanzler bezeichnet Hunderttausende Demonstrant*innen als „Spinner“ und „Antifa“, die nicht alle Tassen im Schrank hätten. Diese „linke Mehrheit“, die Grüne, SPD und Teile der CDU einschließt, gebe es nicht mehr. Und er wirft vor, dass die Demonstrierenden beim Mord an Walter Lübcke nicht gegen Rechts auf die Straße gegangen wären. Das ist eine Lüge. Jubel im Saal der CDU.

In den vorangegangenen Wochen des Wahlkampfes erlaubte er sich weitere Entgleisungen, hetzte und spaltete, nahm Mehrheiten mit der AfD billigend in Kauf. Friedrich Merz hat den Bundestag benutzt, um sich selbst als Macher zu inszenieren. Der Preis dafür ist hoch und wir zahlen ihn alle: Eine menschenverachtende Sprache, der Taten und Politiken zu folgen drohen.

Am Wahlabend tritt er dann staatstragender auf. Offenbar nimmt die Mehrheit der Wähler*innen ihm seine Entgleisungen nicht übel. Verloren hat die Union dennoch, denn sie hat trotz Ampel-Aus das zweitschlechteste Ergebnis seit dem Bestehen der Bundesrepublik bekommen. Zugewonnen hat die AfD, die sich in den letzten Wochen geradezu zurücklehnen konnte. In manchen Wahlkreisen haben 45 % der Leute für eine rechtsextreme Partei gestimmt. Der Wahlkampf rund um Migration verlief wohl ganz im Sinne der AfD. Andererseits konnte auch die Linke zuletzt mit Gerechtigkeitsthemen punkten.

Gab es nun also einen Links- oder Rechtsruck? Womöglich beides. Wir bräuchten also eine verbindende und versöhnliche Bundesregierung, um uns als Gesellschaft zusammenzuhalten, um sozial gerechte Politik zu machen und um die Menschenrechte sowie unsere Verfassung zu schützen. Friedrich Merz hat in den letzten Wochen zum Gegenteil beigetragen.

Als versöhnlich, ernsthaft und vernünftig habe ich den Wahlkampf von Robert Habeck empfunden. Er hat die großen Aufgaben benannt und Lösungen aufgezeigt. Nun trete er aus der Parteiführung zurück und werde keine führende Rolle in der Grünenfraktion der künftigen Bundesregierung übernehmen. Es war  Habeck, der sich in der Berliner Runde das Wort nahm, um den Lügen  Alice Weidels entschieden zu widersprechen. Von solchen Politiker*innen brauchen wir mehr und nicht weniger.


Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie zäh und langwierig diese Koalitionsverhandlungen werden können, wie lethargisch eine schwarz-rote Koalition sein könnte. Während wir uns innenpolitisch und innerhalb unserer Gesellschaft zerreiben, verlieren wir Zeit mit Polemik, Polarisierung und Verzettlung. Währenddessen dreht sich die Welt weiter, und das momentan vielerorts zum Schlechteren.

Wir Bäuer*innen kennen Lethargie aus der Agrarpolitik nur zu gut: Der politische Handlungsdruck ist enorm, gute Lösungswege sind beschrieben, eine zukunftsfeste Agrarpolitik könnten wir uns leisten. Die Zukunftskommission Landwirtschaft sagt sogar: Lieber heute das Geld in die Hand nehmen und Agrarpolitik für Höfe, Klima, Tiere und Menschen machen, als ein Weiter so. Die Probleme werden durch’s Nichtstun nur größer und teurer. Wir verlieren zu viel. Und dennoch handelte die Politik nicht, ganz egal wer in den vergangenen Legislaturen Landwirtschafts- und Umweltministerien führte. Landwirtschaft war im Bundestagswahlkampf gar kein Thema.


Als AbL-Bäuer*innen werden wir unserer sehr guten Forderungen und Vorschläge in die Koalitionsverhandlungen einbringen, gestärkt werden diese durch die Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft und Borchert-Kommission. Wir machen Vorschläge, wie Agrarpolitik gerechter und sozialer werden kann. Wie, wann und wo werden wir damit durchdringen?

Als AbLer*innen setzen wir nicht allein auf agrarpolitische Veränderungen. Widerstand, Selbsthilfe und Solidarität gehören auch zu unseren Werkzeugen, um als Bäuer*innen zu bestehen. Widerstand, Selbsthilfe und Solidarität werden wir wohl auch als gesamte Gesellschaft mehr nutzen müssen, um unsere Demokratie und die Menschenrechte zu verteidigen und zu stärken. Die „wehrhafte Demokratie“ ist kein Automatismus oder garantiert durch unsere Verfassung. Die „wehrhafte Demokratie“ sind auch wir selbst. Jede*r einzelne von uns. Wir alle müssen wehrhafte Demokrat*innen werden, denn die Verfassungsfeinde arbeiten nicht nur im Bundestag, sondern vergiften vielerorts unsere Gesellschaft.

Viele von uns waren auf Demos gegen Rechts und für Demokratie. Das kann nur der erste Schritt sein. Wie können wir Widerstand, Selbsthilfe und Solidarität konkret nutzen und wehrhaftere Demokrat*innen werden? Kurz und knackig kann ich das nicht formulieren. Es wird wohl mühselig, langwierig und anstrengend werden. Durchhalten können wir das nur gemeinsam. In den nächsten Monaten und Jahren werden wir Bäuer*innen nicht nur für unsere Höfe, sondern auch für unsere Demokratie ackern müssen!