Studie: Mehr Systemische Lösungen, weniger Techno-Fixes!

Das internationale Expertengremium für nachhaltige Ernährungssysteme (IPES Food) hat im März 2021 den Hauptaussagen des Weltagrarberichtes von 2009 noch einmal Nachdruck verliehen: Es ist klar, dass eine agrarindustriell geprägte Zukunft nicht in der Lage sein wird, den Planeten und seine Nahrungsmittelsysteme wieder in einen überlebensfähigen Zustand zu bringen. Im Gegenteil: sie wird vielmehr weiterhin Ungleichheiten hervorrufen, den Stress der Existenzsicherung und die Ernährungsunsicherheit vertiefen und schädliche Umweltauswirkungen mit sich bringen. Im Gegensatz dazu könnte eine Änderung des Systems, die auf Ernährungssouveränität und Agrarökologie setzt, 75 Prozent der Treibhausgasemissionen der Nahrungsmittelsysteme reduzieren und in den nächsten 25 Jahren unschätzbare Vorteile für das Leben und die Lebensgrundlagen von Milliarden von Menschen mit sich bringen. Mit diesem „Ausblick“ endet eine im Auftrag des grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling erstellte und kürzlich in Brüssel vorgelegte Studie, zu deren Vorstellung im Rahmen einer Podiumsdiskussion auch Vertreter der EU-Kommission und des Bauernverbandes anwesend waren. Anlässlich der Vorstellung erklärt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Umweltausschuss: „Am Ende reden wir über eine Systemfrage: Welche Landwirtschaft wollen wir in Zukunft? Hier geht es nicht um 1-2% Einsparungen bei Pestiziden und Düngemitteln, für die die Landwirte im Zweifelsfall viel Geld für digitale Technik ausgeben müssen. Dies über Agrargelder, wie zum Beispiel die Ökologisierungsgelder der GAP, die Eco-Schemes, zu fördern wäre weder zielführend noch effizient. Wir haben in den letzten Jahren viel Zeit verloren, in dem wir auf Technik gesetzt haben, obwohl schon längst Systemlösungen, wie der Ökolandbau, zur Verfügung standen.“ Dr. Andrea Beste, Autorin der Studie und Leiterin des Büros für Bodenschutz und Ökologische Agrarkultur, hatte zuvor einen kurzen Einblick in ihre Studie gegeben und kritische Fragen zu Präzisionslandwirtschaft, Indoorfarming und Carbon Farming gestellt. Oft werde suggeriert, man könne damit die Probleme des landwirtschaftlichen Systems lösen, obwohl nur Teilbereiche betroffen seien. Sie lieferte Zahlen und Daten dafür, dass Präzisionslandwirtschaft nur marginale Einsparungen bei Düngemitteln und Pestiziden liefert und die Speicherung von C im Boden mittels Carbon Farming nur wenig Klimaschutzpotential beinhaltet, wenn man es mit dem großen Potential der Verringerung der Tierzahlen oder des Mineraldüngerverzichts vergleicht. Zum Thema Indoorfarming widerlegte sie vor allem die Behauptung, hier werde Wasser gespart. Das Gegenteil sei der Fall, so Beste, denn der energiefressende künstliche Pflanzenbau in Großlabors trage zur Bodenversiegelung und so zur Unterbindung des Wasserhaushalts bei, während agrarökologisches „urban farming“ in der Lage sei, den Wasserhaushalt und darüber hinaus Bodenqualität und Artenvielfalt zu verbessern. In der nachfolgenden Podiumsdiskussion skizzierte Christian Holzleitner, Referatsleiter in der Generaldirektion Klimapolitik der Europäischen Kommission die Notwendigkeit Treibhausgase (THG) zu reduzieren, aber auch zusätzlich CO2 aus der Luft entnehmen zu müssen, um die europäischen Klimaziele zu erreichen. Dabei müsse auch die Landwirtschaft mithelfen. Natürlich stehe hier der Moorschutz an vorderster Stelle, aber Carbon Farming sei eben auch eine lukrative Möglichkeit für konventionelle Bauern, zum Klimaschutz beizutragen. Dafür wolle die EU-Kommission die Möglichkeiten schaffen. Steffen Pingen, Leiter für Umweltpolitik und Nachhaltigkeit beim Deutschen Bauernverband sah die Landwirtschaft schon ganz gut aufgestellt, was die Verbesserung der Klimabilanz angehe, so habe man seit den neunziger Jahren ja schon einige Prozent THG eingespart und die THG Bilanz verbessert. Bei der Präzisionslandwirtschaft sah er auch in wenigen Prozent eine positive Wirkung und einen Schritt in die richtige Richtung. Dr. Friedhelm von Mering, Referent Politik beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), rief die planetaren Grenzen in Erinnerung und zitierte in diesem Zusammenhang Greta Thunberg: ‚You can’t negotiate with nature‘. Er betonte, dass mehr geschehen müsse, als ein paar Prozent Einsparung bei Düngemitteln und Pestiziden, wenn man dem Artensterben Einhalt gebieten wolle. Hier zeige der Ökolandbau allemal mehr Potential als „Techno-Fixes“. Célia Nyssens, Politische Referentin für Landwirtschaft beim Europäischen Umweltbüro (EEB), bestätigte, dass es kein Patentrezept für die Lösung von Umweltproblemen gebe, weder in der Landwirtschaft noch anderswo. Technische Ansätze könnten Teil der Lösung sein, allerdings nur als Teil eines deutlich nachhaltigeren Gesamtpakets. Besonders wichtig sei, dass technische Lösungen dabei nicht als Ausrede oder Taktik benutzt werden dürften, um einen fundamentaleren Wandel in der Landwirtschaft zu verhindern oder hinauszuzögern. Martin Häusling beschloss die Veranstaltung mit den Worten: „Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich sehe hier großes Potential im Ökolandbau, der die Umwelt, wie Frau Dr. Beste in Ihrer Studie auch deutlich heraus stellt, am wenigsten belastet, allerdings gibt es da noch Optimierungspotential. Ich sehe die Zukunft also beim 'Carbon Farming' vor allem in der Wiedervernässung der Moore und bei der Steigerung der Nachhaltigkeit in Agroforstsystemen in Verbindung mit dem Ökolandbau. Beide werden nicht nur auf dem Weg zur Klimaneutralität der Landwirtschaft, sondern auch beim Ressourcenschutz und dem Erhalt der Artenvielfalt eine bedeutende Rolle spielen.“