„In polarisierter Gesellschaft demokratiestärkend“

Zugeschüttete Gräben sind das Bild, das bei der Veranstaltung der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) mit Vertretern der Bundespolitik vor allem von den verschiedenen Mitgliedern der ZKL gezeichnet wurde. Immer wieder wurde betont, wie sich über die Dauer der Veranstaltung Vertrauen und der Teamspirit entwickeln konnten, der am Ende einen einstimmig beschlossenen Bericht möglich machte. Den Beteiligten sei ein Perspektivwechsel möglich geworden, konstatierte die Vorsitzende der Landfrauen, Petra Bentkämper. Besonders deutlich wurde das auch optisch, als Myriam Rapior von der BUND-Jugend und Kathrin Muus von der Landjugend gemeinsam und gegenseitig ihre Forderungen aus dem im ZKL-Prozess entwickelten Jugendpapier vortrugen und mit den Ergebnissen des Endberichts abglichen. Zuvor hatte bereits der Vorsitzende der ZKL, Peter Strohschneider, in seinen einleitenden Worten deutlich gemacht, dass von dem Prozess der ZKL mehr als nur ein Zukunftskonzept für die Landwirtschaft ausgeht: „Die Einstimmigkeit ist ein Signal, wie auch in zerfurchten Politikbereichen Einvernehmen möglich ist.“ Und Zerfurchungen seien durchaus der Impuls für die Einrichtung der Kommission gewesen: Trecker- und Jugendklimademos, sehr endgültige Rhetorik: „Höfesterben versus Klimatod“. Nun habe man es geschafft, sich nicht nur auf einzelne Forderungen zu einigen, sondern auf ein Gesamtkonzept für die Landwirtschaft, welches der Politik, die „nun am Zug ist“, erschweren solle, „nur Rosinenpickerei“ zu betreiben. Es sei klar, dass die Märkte es nicht alleine richten könnten, die Umsetzung Geld koste, dies aber weniger teuer sei als weiterzumachen wie bisher, so seine Zusammenfassung. Beeindruckt von dem Prozess und den Ergebnissen zeigten sich zwei Außenstehende: der Wissenschaftler Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, der dem einvernehmlichen Prozess bescheinigte, „in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft demokratiestärkend“ zu wirken. „Sie haben die Grenzen von politisch Sagbarem erheblich verschoben.“ Inhaltlich sei klar geworden, dass es um eine Win-win-Situation für Landwirtschaft und Umwelt gehe, aber nicht um einen „Free lunch“, es müsse weiterer Substanzverlust verhindert werden. Auch der ehemalige niederländische Landwirtschaftsminister Cornelius Pieter Veermann attestierte der ZKL die Entwicklung von „grundlegenden nützlichen Empfehlungen zwischen Traum und Tatsächlichkeit“. Er bescheinigte weiter dem Markt wie auch der GAP Versagen und wünschte sich einen ähnlichen Prozess wie den der ZKL auch für die Zukunft der Landwirtschaft in den Niederlanden. Falsches System Fast ein bisschen ruppig den Zauber des Anfangs störend wirkten da die anwesenden Vertreter:innen der drei Ampelkoalitionäre. Matthias Miersch, bislang stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender und Agrar- und Umweltpolitiker, sagte es gleich sehr deutlich: Bei aller Würdigung der „hervorragenden Grundlage“, die die ZKL geliefert habe, sei ihm „das hier alles zu friedlich“. Der Kampf gehe doch erst los, wenn es um die Details gehe, in Bund, Ländern, Europa. Es sei eben noch viel Arbeit zu tun. Selbst wenn man sich in den Zielen einig sei, werde um die Wege dahin gestritten. Er macht es am Beispiel des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung – der sogenannten Borchert-Kommission – deutlich, deren Ergebnisse nach Einschätzung der ZKL schnell von der künftigen Bundesregierung umgesetzt werden sollten. Bei der Haltungskennzeichnung sah Miersch hingegen noch einiges zu tun und er machte klar, dass er eine Umsetzung schwierig findet, solange es nur für Schweine und nicht für Rinder ausgehandelte Haltungskriterien gibt, weil es nicht einfach nur „um mehr Geld im System“ gehe. Das reiche nicht aus, um sicher zu gehen, dass das Geld nicht im falschen System lande, und es gebe in der Landwirtschaft nach wie vor keine Planungssicherheit. FDP-Agrarsprecher Gero Hocker blieb gleich ganz bei der seiner Partei von Anfang an eigenen kritischen Haltung zu den Plänen der Borchert-Kommission. Zu der im aktuellen Sondierungspapier von der FDP durchgesetzten Absage an Steuererhöhungen befragt – im Borchert-Konzept sollen die Mehraufwendungen der Bauern und Bäuerinnen durch eine neue Abgabe finanziert werden – gab Hocker zum Besten, dass er in Gesprächen mit Bauern und Bäuerinnen immer nur höre, dass vor dem Hintergrund von Genehmigungsunsicherheit und mangelnden Rahmenbedingungen nicht investiert werden wolle und könne. Der Glaube der FDP an den Markt ist offenbar unerschütterlich. Und der Wunsch, nur das zu lesen, was man lesen will, ist groß, Hocker wandte sich dagegen, dass der Staat alles eins zu eins ausgleiche. Davon ist allerdings nirgendwo die Rede. Die Borchert-Empfehlungen beispielsweise sprechen von einem Ausgleich von 80 % der Mehrkosten. Bestandsabbau Ungehört verhallt war wohl auch, dass Elisabeth Fresen als AbL-Vorsitzende Mitglied der ZKL zuvor noch auf die dramatische Situation angesichts der ruinösen Preise für Schweine und Milch hingewiesen hatte. Die Politik dürfe sich nicht länger aufs Moderieren zurückziehen, so Fresen, und müsse das Angebot der ZKL in Form von Konzept und Mitarbeit annehmen. Fast wirkte es, als müssten die Koalitionäre vor der heißen Phase ihrer Verhandlungen noch mal ihre roten Linien klar machen, ihr Parteiprofil schärfen und dabei dem ganzen Gerede von zugeschütteten Gräben ein bisschen realpolitische Abgeklärtheit verpassen. Renate Künast war die Dritte im Bunde. Sie vermisste im ZKL-Bericht zentrale Anliegen der Ernährungspolitik und auch die Tatsache, dass weder dort noch im Konzept der Borchert-Kommission vom Bestandsabbau in der Schweinehaltung angesichts der Klimakrise wie auch der Gesundheitsfragen gesprochen wird. „Dass die Nutztierhaltung sich bis 2035 halbiert haben muss, wird bei Borchert nicht adressiert.“ Es gelte zudem „brutalstmöglich alte Geldflüsse in Frage zu stellen“, da seien gerade bei der GAP wieder sechs, sieben Jahre „verplempert“ worden. Es müsse eben bei der ZKL noch einiges nachgearbeitet werden, so ihr Resümee. „Bitte ignorieren Sie unsere Ergebnisse in den Koalitionsverhandlungen nicht“, forderte BUND-Jugend-Vorsitzende Myriam Rapior am Ende kämpferisch, aber auch fast ein bisschen frustriert. Die Dynamik der Politik mache auch etwas mit den Menschen in der ZKL, sie wolle nicht, dass weder sie als Naturschützerin noch Kathrin Muus von der Landjugend sich von den Koalitionären vertreten fühle. Weitermachen! Sie traf den Nagel auf den Kopf. Die Politik darf nicht ignorieren, dass hier die geballte Interessenvertretung eines wesentlichen Bereiches unseres Lebens gemeinsam mit der Wissenschaft ein Bild entworfen hat, das stimmig ist. Sie muss es als historische Chance begreifen, mit diesem Gremium weiter zu arbeiten. Sie sollte das geradezu einfordern, anstatt sich der Rolle hinzugeben, es selber schon ganz genau zu wissen, und Landwirtschaft nur zu einem strategischen Spielstein im Kuhhandel Regierungsbildung zu machen. Die nötigen Transformationen in der Landwirtschaft werden nur umsetzbar sein, wenn die ZKL weiter arbeitet, eben nicht schon fertig ist, wie es Bauernverbandsvize Werner Schwarz ein paar Tage zuvor in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Umweltverbänden glauben machen wollte. Es wäre dem Bauernverband zu einfach gemacht, nur grobe Linien mittragen zu müssen und insgeheim vielleicht sogar auf ein Scheitern im Detail hoffen zu können. Nur solange er immer wieder eingebunden und gefordert wird, wird er bei der Stange bleiben, nur so bleibt eine gemeinschaftliche Weiterarbeit möglich. Erste Erosionserscheinungen zeigen sich beim Bauernverband schon in den Borchert-Arbeitsgruppen zur Entwicklung der Haltungskriterien. Bei den Schweinen ging es vor der grundsätzlichen Einigung noch um alles oder nichts, für die Rinder lassen sich nun kaum noch sinnvolle Kompromisse finden. Das spielt vor allem denen in die Hände, die die Borchert-Pläne scheitern sehen wollen. Für die Bauern und Bäuerinnen ist es wieder einmal äußerst unerfreulich, dass ihre Interessen am wenigsten vom vermeintlich ureigensten Verband vertreten werden.
15.11.2021
Von: cs

Gesellschaftliches Engagement auch beim Klimastreik in Berlin Foto: Kiefer