Neues Tierarzneimittelgesetz sieht Reduktion des Antibiotikaeinsatzes um mindestens 50 % bis 2030 vor

Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Tierarzneimittelgesetzes zur Erhebung von Daten über antibiotisch wirksame Arzneimittel angenommen. Es sieht unter anderem eine Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes um mindestens 50 % bis zum Jahr 2030 vor. Für Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir kommt Deutschland damit auf dem Weg zu der notwendigen Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes „einen großen Schritt voran“. Und auch die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Ophelia Nick, spricht von einem „großen Erfolg“ und einem „Gewinn für die Gesundheit von uns allen“. Deutliche Kritik kommt von der Interessengemeinschaft der Schweinhalter Deutschlands (ISN). Sie sieht die Betriebe unnötig mit Maßnahmenplänen belastet und kritisiert, dass die bereits erzielten Erfolge bei der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Schweinehaltung bei der Entscheidung ausgeblendet wurden. „Dringend ergänzenden Handlungsbedarf“ mahnt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) an.

Zu den zentralen Punkten des Gesetzes gehört, dass darin erstmalig ein Reduktionsziel für Antibiotika verankert ist, dass mit einer Reduzierung von 50 % der Farm-to-Fork-Strategie der Europäischen Kommission für ein nachhaltiges Agrar- und Ernährungssystem entspricht.

Zum Hintergrund und zu weiteren Neuerungen des Gesetzes äußert sich Ophelia Nick in ihrer Erklärung nach dem Beschluss im Bundestag. „Der hohe Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung begünstigt die Entstehung von multiresistenten Keimen. Multiresistente Keime können lebensbedrohlich werden, wenn unsere Antibiotika nichts mehr gegen diese multiresistenten Keime ausrichten können. Wir wollen Antibiotika aber als wirksame Mittel für die Gesundheit von Mensch und Tier behalten. Deswegen haben wir das Tierarzneimittelgesetz novelliert und nachgeschärft. Mit dem neuen Tierarzneimittelgesetz reduzieren wir den Einsatz von  Antibiotika in der Tierhaltung weiter.
Neu ist, dass nach und nach alle Tierarten einbezogen werden. So werden ab 2023 die Antibiotikaanwendungen von allen Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten erfasst und gemeldet. Ab 2026 kommen dann Enten, Gänse und Fische dazu.
Zudem werden wir den Einsatz von Reserveantibiotika noch restriktiver handhaben: Hierfür haben wir das ‚Benchmarkingsystem‘ um weitere Nutzungsarten ergänzt. Die wichtigen Reserveantibiotika sollen uns Menschen vorbehalten bleiben. Daher sollen sie künftig noch weniger in der Tierhaltung eingesetzt werden, damit sich keine Resistenzen gegen sie bilden. Die Erfolge der letzten Jahre geben uns Recht: die Antibiotikaminimierungsstrategie gibt es schon länger und sie zeigt Wirkung – und genau hier machen wir weiter. Für die Gesundheit der Tiere und für die von uns Menschen.“

Fakt ist laut Nick nämlich: „Das Tierarzneimittelgesetz dient dem Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier! Die Tier- und Humanmedizin gehen  hier im Sinne des One-Health-Prinzips Hand in Hand.“
Als Tierärztin wisse sie, „dass es möglich ist, deutlich weniger Antibiotika  in unseren Ställen einzusetzen und kranke Tiere trotzdem gut medizinisch zu behandeln. An dieser Stelle muss man zudem sagen: Gut gehaltene Tiere sind gesünder und brauchen weniger Antibiotika. Ein Umbau der Tierhaltung, welches wir intensiv vorantreiben, nutzt zudem der Reduzierung von Antibiotika in der Tierhaltung. Deshalb unterstützen wir die Tierhalter:innen weiter dabei, die landwirtschaftliche Tierhaltung zukunftsfest zu gestalten.“

ISN: Leistung der Schweinehalter und Tierärzte verdient Anerkennung

Nach Ansicht der ISN wurden bei der Entscheidung zu dem Gesetz die Erfolge bei der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Schweinehaltung in den letzten Jahren ausgeblendet. Statt das Monitoringsystem effektiver zu gestalten, werde weiter auf ein überholtes System gesetzt, das viele Betriebe unnötig mit Maßnahmenplänen belaste. „In der Schweinehaltung wurde der Antibiotikaeinsatz durch ein intensives Hygienemanagement, durch Impfprogramme u.v.m. in den letzten Jahren erheblich reduziert. Die Einsatzmengen haben sich bereits auf einem Minimum eingependelt. Eine Leistung der Schweinehalter und Tierärzte, die Anerkennung verdient! Jetzt wäre die Gelegenheit gewesen, das Monitoringsystem anzupassen und sich auf die Ausreißer beim Antibiotikaeinsatz zu konzentrieren, statt immer weiter einem Viertel der Betriebe mit Maßnahmenplänen zu belasten – das ist wenig effektiv für alle Seiten“, heißt es seitens der ISN.

DUH: Reserveantibiotika verbieten

Trotz wichtiger Verbesserungen im neuen Tierarzneimittelgesetz sieht die Deutsche Umwelthilfe (DUH) dringend ergänzenden Handlungsbedarf, wenn es um die Reduktion des Antibiotikaverbrauchs in der Massentierhaltung geht. In dem jetzt beschlossenen Gesetz sieht die DUH eine längst überfällige Einigung: Deutschland hat jetzt ein gesetzliches Ziel zur Antibiotikareduktion im Stall. Zudem habe das Parlament festgelegt, mit einer Evaluation im Jahr 2026 die Fortschritte zu überprüfen.
Jeder vermiedene Antibiotikaeinsatz im Stall ist wichtig für die Humanmedizin, um das Risiko der Entstehung und Verbreitung resistenter Krankheitserreger zu senken. Dennoch weist die DUH darauf hin, dass Deutschland mit aktuell 73,2 Milligramm Antibiotikaverbrauch pro Kilogramm Tier auch mit der angestrebten Halbierung hinter anderen Ländern zurückbleibt. Die Fleisch- und Milcherzeugung in Großbritannien verbraucht schon jetzt nur 28 Milligramm Antibiotika je Kilogramm Tier, in Schweden sind es sogar nur 11 Milligramm.

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH, erklärt dazu: „98 Prozent der Masthähnchen und -puten in Deutschland erhalten Antibiotika. Davon machen die humanmedizinisch besonders wichtigen Reserveantibiotika über 40 Prozent aus. Das ist eine enorme Gesundheitsgefahr für uns alle. Deswegen ist es ein wichtiger Schritt, dass der Bundestag endlich ein klares Reduktionsziel für Antibiotika in der Massentierhaltung festgelegt hat. Aber das ist nicht genug! Die zentralen Hebel zur Antibiotikareduktion sind und bleiben bessere Tierschutzgesetze. Das heißt: Stopp der Qualzucht, bessere Haltungsregeln und artgerechte Fütterung statt Turbomast auf Kosten der Tiergesundheit. Eine entsprechende Tiergesundheitsstrategie hat die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt. Wir fordern Landwirtschaftsminister Özdemir auf, diesem Versprechen jetzt Taten folgen zu lassen!“

Der Entwurf zum Tierarzneimittelgesetz aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium war nach Ansicht des DUH zunächst eine große Enttäuschung, erst im parlamentarischen Verfahren seien entscheidende Fortschritte erzielt worden. Die DUH lobt diesen Prozess und fordert, notwendige Ergänzungen im Tierschutzrecht daran anzuschließen. So könne etwa die neue Regelung, wonach jeder Einsatz von Reserveantibiotika bei der Erfassung in der Antibiotikadatenbank dreifach gezählt werden soll, nur ein erster Schritt gegen Überdosierung und Missbrauch sein. Die DUH fordert mit Blick auf die Behandlung ganzer Tiergruppen in Mastanlagen ein Verbot der Reserveantibiotika – auch vor dem Hintergrund massiver Lieferengpässe in der globalisierten Pharmalieferkette. Das neue Gesetz enthält lediglich eine Ermächtigung, dass die Bundesregierung ein solches Verbot jederzeit verordnen kann.

Dazu Reinhild Benning, Agrar-Expertin der DUH: „Die neuen Regelungen zur Antibiotikareduzierung im Stall sind noch lange keine Entwarnung für unsere Gesundheit! Das in der Humanmedizin zunehmend wichtige Reserveantibiotikum Colistin wird in neun europäischen Staaten schon gar nicht mehr bei Tieren eingesetzt – in Deutschland wird es mit 6,5 Milligramm pro Kilogramm Tier sogar überdosiert: Die Höchstmengenempfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde liegt bei 5 Milligramm. Andere Reserveantibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone sind beispielsweise in den USA in der Geflügelhaltung längst verboten, kommen hierzulande aber immer noch in großen Mengen legal zum Einsatz. Die Folgen sind schon jetzt dramatisch: Rund jede zweite Geflügelfleischprobe aus deutschen Supermärkten ist mit antibiotikaresistenten Erregern kontaminiert!“

Die DUH kritisiert außerdem, dass Tierärztinnen und -ärzte nach dem neuen Gesetz noch immer keinen Erregertest – ein sogenanntes Antibiogramm – durchführen müssen, wenn sie Antibiotika einsetzen wollen. Laut Leitlinien der Tierärztekammer wäre das im Rahmen guter tierärztlicher Praxis jedoch erforderlich.