In seiner letzten Plenarsitzung hat das Europäische Parlament (EP) am 24. April 2024 noch einmal seine Position zum Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung neuer Gentechniken (NGT) abgestimmt. Zuvor hatte die AbL alle EU-Parlamentarier:innen aufgefordert, dieser Zementierung nicht zuzustimmen und in einem Brief aktuelle wissenschaftliche und wirtschaftliche Begründungen vorgelegt. Der Bericht wurde mit deutlicher Mehrheit (336 Ja, 238 Nein, 41 Enthaltung; im Link Seite 48) angenommen. Verglichen mit dem Votum vom 7. Februar (307 Ja, 263 Nein und 41 Enthaltungen) hat die Zustimmung etwas zugenommen.
Für das Parlament steht nun seine Verhandlungsposition analog dem Februar-Bericht fest. Diese bestätigte im Wesentlichen die Deregulierungsvorhaben der EU-Kommission. Das EP konnte sich im Februar nicht durchringen, für eine verpflichtende Risikoprüfung und Zulassungsverfahren aller NGT-Pflanzen zu stimmen. Knapp abgelehnt wurden auch Änderungsanträge zur Koexistenz und Haftung. Allerdings stimmte das EP für eine Kennzeichnungspflicht bis zum Endprodukt, eine (dokumentenbasierte) Rückverfolgbarkeit, Monitoring und Stoppmöglichkeiten, wenn Risiken festgestellt werden (ausführlicher Bericht s. Bauernstimme).
Ob diese Punkte in den weiteren Verhandlungen bestehen bleiben, ist offen. Aus gentechnikfreier Sicht wäre dies dringend notwendig. Allerdings wird die zuständige Berichterstatterin Jessica Pjölfärd, die seitens des EP die alleinige Vertreterin und Unterhändlerin im Trilog (also den Verhandlungen mit Rat und Kommission) sein wird, diese (für die AbL positiven) Punkte nicht verteidigen, sondern sich im Trilog für einen weitreichenden Deregulierungsdeal einsetzen. Das neue EP hingegen kann bei der zweiten Lesung Änderungsanträge einbringen.
Reaktionen zum Parlamentsvotum
Kritik kam von Mute Schimpf, Kampagnenleiterin für Lebensmittel und Landwirtschaft bei Friends of the Earth Europe: „Die heutige Entscheidung ist ein Schlag für die Lebensmittel- und Umweltsicherheit. Sie bestätigt einen Weg, der die Natur, den Lebensmittelsektor und die Landwirte gefährdet und gleichzeitig die Profite und die unkontrollierte Macht der großen Konzerne verstärkt." Dieser Vorschlag sehe eine noch stärkere Deregulierung von NGTs als die Vereinigten Staaten von Amerika vor.
Der agrarpolitische Sprecher der Fraktion der Grünen, Martin Häusling, bezeichnete die Parlamentsposition als „von wissenschaftlich unfundierten Partikularinteressen sowie falschen Versprechungen und Hoffnungen getrieben“. Nicht mehr als „Wunschdenken“ ist für Häusling die Absicht des Parlaments, Patente auf mit den neuen Verfahren erzeugte Pflanzen zu verbieten. Die notwendige Änderung des europäischen Patentübereinkommens liege außerhalb der Zuständigkeit der EU.
Der Raiffeisenverband (DRV) wies darauf hin, dass die EU-Kommission den Weg für „moderne Verfahren der Genomeditierung“ frei machen wolle. Diese Grundsatzentscheidung dürfe nicht durch unpraktikable Kennzeichnungspflichten und bürokratische Hemmnisse konterkariert werden, warnte der DRV. Eine verpflichtende Kennzeichnung von Produkten, die aus neuen genomischen Techniken (NGT) gewonnen wurden, wie sie vom EU-Parlament gefordert worden sei, wäre ein großer Rückschritt im Vergleich zum ursprünglichen Gesetzesentwurf. Dazu dürfe es nicht kommen. Eine freiwillige Negativkennzeichnung mit dem Hinweis, dass keine neuen Züchtungsmethoden angewandt worden seien, könnte ein geeigneter Kompromiss sein, die Einführung von neuen genomischen Techniken praktikabel umzusetzen.
Der BÖLW hingegen vermisst konkrete Vorgaben, die den ökologisch wirtschaftenden Betrieben und Unternehmen auch zukünftig eine Lebensmittelerzeugung ohne faktische Zwangsnutzung von Gentechnik ermöglichen. Der Ökoanbauverband Demeter verwies derweil auf die noch ungeklärte Frage der Patente. Regelungen zur Eindämmung von Patenten im Gentechnikrecht blieben wirkungslos und stünden im Widerspruch zum bestehenden Patentrecht, denn dieses sei kein EU-Recht und könne nicht durch EU-Gesetzgebung geändert werden. Hier fehlten wirkungsvolle Mechanismen, die verhinderten, dass es eine Patentflut auf solche gentechnisch veränderten Pflanzen geben werde.
EU-Ministerrat Rat hat wichtige Kritik
Bisher ist es weder der vorherigen spanischen noch jetzigen belgischen Ratspräsidentschaft gelungen, die wichtigen Bedenken einiger Mitgliedstaaten auszuräumen. Das ist gut so! Auch bei der jüngsten Sitzung der Arbeitsebene des EU-Agrarministerrats (am 7. Februar 2024) zeigte sich erneut, dass es nicht zu der notwendigen qualifizierten Mehrheit kommen würde, um sich auf ein Verhandlungsmandat zu einigen. Der Tagesordnungspunkt wurde lediglich unter „Sonstiges“ behandelt. Aus den kurzen Wortmeldungen (je 1 Minute!) ging hervor, dass die Vorbehalte von Österreich, Deutschland, Polen, Rumänien, Bulgarien, Belgien, Luxemburg, Slowenien, Slowakei, Kroatien und Ungarn bislang nicht ausgeräumt werden konnten. Der österreichische Vertreter erklärte, dass es beim Gesetzesvorschlag der EU-Kommission grundlegende Bedenken gäbe, die nach wie vor unberücksichtigt blieben. Die fehlende Kennzeichnung von Produkten bedeute einen „massiven Eingriff“ in die Wahlfreiheit der Konsumenten. Darüber hinaus seien die Kriterien für die Äquivalenz zwischen neuen Verfahren und konventioneller Züchtung nicht ausreichend wissenschaftlich begründet. Der aktuelle Vorschlag gefährde zudem die Koexistenz mit der gentechnikfreien und ökologischen Produktion. Zudem gäbe es große Bedenken bezüglich der Patentierbarkeit von mit den neuen Verfahren erzeugten Pflanzen, insbesondere im Hinblick auf kleine und mittlere Saatgutunternehmen. „Aus österreichischer Sicht ist daher eine ausführliche Behandlung der offenen Fragen unerlässlich, bevor ein für alle Mitgliedstaaten tragbares Verhandlungsmandat angenommen werden kann,“ so das Fazit der Delegation.
Nächste Schritte: Belgien strebt an, bis Ende ihrer Ratspräsidentschaft (Ende Juni 2024) eine Positionierung des EU-Ministerrats zu erreichen und übt weiter Druck auf die Mitgliedstaaten aus. Ob ihnen das gelingt, ist offen. Eine solche Abstimmung kann jederzeit und auf Arbeitsebene erfolgen. Deshalb gilt es wachsam zu sein. Erst wenn auch der Rat sich positioniert hat, können die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission starten.
Nun liegt es also an den europäischen Landwirtschaftsminister:innen und ihren Regierungen, sicherzustellen, dass die Gesetzgebung in der Europäischen Union nicht allein die Interessen der Gentechnik-Konzerne berücksichtigt. Sondern es braucht Rechtssicherheit für die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung, um dem eindeutigen Verbraucherwunsch nachkommen zu können. Die AbL fordert die EU-Regierungen auf, die Deregulierung von NGT-Pflanzen zu stoppen und sie weiterhin nach geltendem EU-Gentechnikrecht zu regulieren, um so einen ausgewogenen Rechtsrahmen zu gewährleisten, der sowohl dem Schutz der gentechnikfreien Produktion, der Gesellschaft und der Umwelt Vorrang einräumt.