Ministerin Lemke muss Biologische Vielfalt und gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung sichern

Am Donnerstag tagt der EU-Umweltrat in Brüssel. Auf der Tagesordnung stehen auch die Themen Neue Gentechnik in der Landwirtschaft und ihre Auswirkungen auf Ökosysteme sowie die biologische Vielfalt. Im Vorfeld des Treffens der EU-Umweltministerinnen und -minister fordert die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) Bundesumweltministerin Steffi Lemke auf, sich für den Schutz der biologischen Vielfalt und die Sicherung der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Lebensmittelerzeugung einzusetzen. Und auch die Öko-Anbauverbände Bioland und Demeter nehmen das Treffen zum Anlass, erneut vor den Folgen einer Deregulierung Neuer Gentechnik im EU-Gentechnikrecht zu warnen.

Die EU-Kommission will im Jahr 2023 einen Gesetzesvorschlag zu „Neuen Genomischen Techniken“ (NGT) vorlegen, mit dem das Inverkehrbringen und die absichtliche Freisetzung in die Umwelt von Pflanzen, die mit Hilfe Neuer Gentechnik erstellt wurden, ohne umfassende Vorsorgemaßnahmen möglich wird. Dazu erklärt anlässlich des Umweltrates die AbL-Gentechnik-Expertin Annemarie Volling: „Die EU-Kommission plant eine Deregulierung von neuen Gentechniken wie CRISPR. Am Donnerstag müssen die europäischen Umweltminister:innen in Brüssel dagegen ein klares Zeichen setzen. Sie müssen den Plänen der EU-Kommission, diese Pflanzen ohne Zulassungsverfahren und Transparenz auf den Acker und in die Umwelt zu bringen, einen Riegel vorschieben. Die AbL fordert Umweltministerin Steffi Lemke auf, sich für den Schutz der biologischen Vielfalt und die Sicherung der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Lebensmittelerzeugung einzusetzen.“ Das bestehende EU-Gentechnikrecht biete dafür einen guten Rahmen. „Neben Risikoprüfung und verpflichtendem Zulassungsverfahren sind auch die Nachweis- und Kennzeichnungspflicht vom Saatgut bis zum Endprodukt elementar. Genauso wie Haftungs- und Koexistenzregelungen, die Gentechnik-Verunreinigungen sicher verhindern. Nur damit kann sichergestellt werden, dass mögliche Schäden in der Umwelt oder in Lebensmitteln entdeckt werden und die Verursacher:innen auch haften,“ so Volling.
„Alle Gentechnik-Pflanzen – sowohl alte als auch neue Gentechnik – müssen weiterhin nach bestehendem Gentechnikrecht reguliert bleiben. Entsprechend sind die Deregulierungsszenarien der EU-Kommission abzulehnen, weil sie wichtige EU-Standards torpedieren würden“, heißt es in einer ausführlichen Stellungnahme der AbL zu den Deregulierungsplänen der EU-Kommission.

Bioland und Demeter: Kein Freifahrtschein für Gentech-Industrie!

Deutliche Kritik an den Plänen der Kommission kommt auch von den Anbauverbänden Bioland und Demeter. Um die Koexistenz verschiedener Anbaumethoden und Wahlfreiheit der Verbraucher*innen sicher zu stellen, brauche es weiterhin verbindliche Regelungen, unterstreichen Bioland und Demeter. Diese müssten Nachweisbarkeit, Rückverfolgbarkeit und eine klare Kennzeichnung - für Landwirt*innen und auch für Verbraucher*innen - der mit Neuer Gentechnik erzeugten Produkte gewährleisten. Die Bundesregierung müsse in dieser Diskussion nun klar Position dafür beziehen, dass auch Neue Gentechnik streng reguliert bleibt.

„Das Umweltministerium hat sich zu Recht für eine auf Vorsorge beruhende Regulierung der Neuen Gentechniken ausgesprochen. Von der Bundesregierung fehlt diese klare Positionierung, obwohl Kanzler Scholz noch im Wahlkampf versprochen hat, sich gegen eine Deregulierung einzusetzen. Je länger Deutschland sich in Brüssel nicht klar positioniert, desto wahrscheinlicher wird ein Freifahrtschein für die Gentech-Industrie, für den sie in Brüssel seit Monaten massiv in allen Institutionen lobbyiert. Der Sekt in den Konzernzentralen dürfte dafür schon kaltgestellt sein“, mahnt Bioland-Präsident Jan Plagge.

„Denn eine Deregulierung Neuer Gentechniken würde schließlich auch dazu führen, dass diese großen Unternehmen Patentrechte auf kleinsten Ebenen verkaufen. Die unbegründete Angst, vom Weltmarkt abgehängt zu werden, führt also in Wahrheit dazu, noch viel abhängiger zu werden – von Patenten und Technologien, die sich in der Vergangenheit schon als umweltschädlich erwiesen haben und deren vermeintlich einfache und schnelle Lösungen leere Versprechen sind. Langfristige ökologische Risiken werden dabei nicht beachtet“, so Plagge weiter.

„Klar ist: Um die Nachhaltigkeitsziele im Sinne des Green Deal zu erreichen, braucht es den Ökolandbau – denn Ökobetriebe fördern die Biodiversität, den Klimaschutz und sauberes Grundwasser. Deshalb hat sich die Bundesregierung 30 Prozent Ökolandbau als Ziel gesetzt - in der EU gilt das 25 Prozent Ziel. Um dies zu erreichen, braucht es einen fairen gesetzlichen Rahmen. Die hier geplante De-Regulierung von neuen Gentechniken wäre jedoch ein Nackenschlag für den Ökolandbau!“, analysiert Demeter-Vorstand Alexander Gerber.

„Eine Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen ohne Risikobewertung und ohne Rückverfolgbarkeit zu ermöglichen, bedeutet ein hohes Kontaminationsrisiko – und damit wirtschaftliche Risiken und Kosten für die Ökobetriebe. In der Umweltgesetzgebung der EU gilt das Vorsorgeprinzip – dies muss auch bei den neuen Gentechniken weiterhin angewandt werden,“ erklärt Gerber weiter. „Bei der Folgenabschätzung für die Umwelt muss mit bedacht werden, welche Art der Landwirtschaft durch diese neue Gesetzgebung gefördert wird – die von der EU-Kommission beabsichtigte Deregulierung schadet den Nachhaltigkeitszielen in der Landwirtschaft!“

Fundierte Folgenabschätzung vor politischer Entscheidung!

Im Oktober 2022 veröffentlichte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im Auftrag der Europäischen Kommission Kriterien für eine Risikobewertung von Pflanzen, die durch Mutagenese oder Cis-Genese gewonnen wurden. Doch die Auswirkungen auf Ökosysteme wurde nur sehr vage betrachtet. Insbesondere im Hinblick auf die Umweltverträglichkeitsprüfung bleiben viele Fragen offen. Die EFSA selbst erklärte damals, dass viele Aspekte weiterentwickelt und definiert werden müssen, bevor die Risikobewertungskriterien angewendet werden könnten.

Für die Öko-Anbauverbände Bioland und Demeter ist das keine geeignete Grundlage, um über eine mögliche Deregulierung Neuer Gentechniken auf politischer Ebene zu entscheiden. Sie fordern daher eine fundierte Folgenabschätzung darüber, welche Auswirkungen Neue Gentechnik auf resiliente Anbausysteme und Ökosysteme haben würden. Zum jetzigen Zeitpunkt seien noch zu viele Fragen ungeklärt: ökologische Risiken sowie Fragen der Patente und Koexistenz. Eine Deregulierung des Gentechnikrechts konterkariere zudem die europäischen und nationalen Ökolandbau-Ausbauziele, so die beiden Verbände.

15.03.2023
Von: FebL/PM

Übergabe von 420.757 Unterschriften der Petition „Nicht hinter unserem Rücken – kein Freifahrtschein für neue Gentechnik in unserem Essen!“ vor dem Bundeskanzleramt Ende des vergangenen Jahres. Foto: AbL