Meldungen von Märkten, Handel und Vermarktern

Inflation, Kostensteigerungen, Preiserhöhungen vor allem auf den Energie- und Lebensmittelmärkten sind die Themen in diesen Wochen. Die Diskussion um Gaspreise, Benzinkosten, aber auch um Lebensmittelpreise haben das Konsumklima erheblich verändert. Auch Nahrungsmittel stehen im Fokus von Einsparungen und Kaufzurückhaltung. Laut den Marktforschern der GfK ging im Einzelhandel der Absatz für Fleisch und Wurst im Mai um 26% zurück, bei Obst und Gemüse sank der Umsatz um 9%, bei Brot und Backwaren um 7,3%.

Nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes lag die Teuerungsrate bei Nahrungsmitteln im Juli bei 14,8% über Vorjahr, während die Inflation „nur“ bei 7,5% angegeben wird. In realen Preisen sank der Umsatz im LEH im Vergleich zum Vorjahresmonat um 7,2%. Nominal gab es wegen der Preissteigerungen aber ein Umsatzplus. Besonders die Preise für Fleisch und Milchprodukte schossen nach oben. Viele Verbraucher gerade mit kleinerem Geldbeutel geraten in eine Krise.

Aber Krise ist relativ.

Die großen Lebensmittelkonzerne haben sich vergleichsweise erfolgreich durch Pandemie, Kriegsfolgen, Logistik-Chaos und Klimawandel gewunden, wie die aktuellen Halbjahreszahlen von Unilever, Nestlé und Danone zeigen. Auch BayWa setzt ihre Jahresprognose herauf und die Agrarsparte von Bayer konnte ihren Umsatz im zweiten Quartal um 17% steigern, wozu besonders auch das hohe Preisniveau von Glyphosat-Produkten beigetragen hat. Sie sind Krisengewinnler wie die großen Ölkonzerne.

Die Umsatzzuwächse kommen hauptsächlich aus den höheren Preisen. Entscheidend bleibt, ob noch ein Mengenwachstum generiert bzw. wenigstens ein Nachfragerückgang begrenzt werden kann. Alle Branchenangaben gehen vom einem „downgrading“ der Produkte und Einkaufsstätten aus, was auch den Biosektor getroffen hat. Dort ist zunächst der Umsatz vom Fachhandel zum Supermarkt/Vollsortimenter und nach dem „Kriegsausbruch“ weiter zum Discount gewandert.

Ähnliches hat offensichtlich auch die Markenhersteller ereilt – und dabei vor allem auf dem deutschen discountgetriebenen Markt. Darunter leiden deshalb auch die heimischen Mittelständler mehr als die internationalen Konzerne, die sich in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern ihre Profite holen.

Heftiger Streit zwischen Handel und Hersteller

In diesen unruhigen Zeiten spitzen sich die Konflikte zwischen Handel und den Lieferanten zu. Nachfragerückgänge habe es auch in früheren Krisen gegeben, so ein Branchenkenner, aber eben nicht zeitgleich mit einem derart starken Kostenanstieg. Die Kombination aus Angebotsschock (Logistik, Liefersicherheit, Rohstoffkosten) und Nachfrageproblemen (Inflation) mache die Lage so schwierig – und Preisanpassungen unerlässlich. Man müsse aber noch lernen, wie und wann höhere Preise mit einer Kaufverweigerung beantwortet würden.

Welche Erhöhungen der Industrie gerechtfertigt sind, darüber wird trefflich gestritten. So greift Rewe-Einkaufschef Moog internationale und nationale Konzerne direkt an, die Inflation anzuheizen. Viele Preiserhöhungen seien übertrieben. Zudem verlangten Lebensmittelhersteller in Deutschland mehr als in anderen Ländern. „Viele Lieferanten wollen die aktuelle Situation ausnutzen, um ihre Gewinne zu maximieren“, erzürnt sich Moog. Mit Preiserhöhungen, die über dem Niveau der Kostensteigerungen liegen, würden Teile der Industrie das dicke Geld machen wollen und die ohnehin schon hohen Inflationsraten weiter anheizen. „Das alles wird zum Teil mit einer Dynamik und Dreistigkeit vorgetragen, die ich so noch nicht erlebt habe. Und ich bin schon lange im Geschäft,“ schimpft er in einem Interview mit der Lebensmittelzeitung.

Trotz der aktuell widrigen wirtschaftlichen Umstände stiegen die operativen Ergebnisse der Produzenten teilweise sogar im zweistelligen Prozentbereich, so der Chefeinkäufer und trifft sich mit dem Edeka-Boss Mosa, der ebenfalls die Hersteller für die „Gier“ verantwortlich macht.

Die wehren sich, dass gerade der Handel als Corona-Gewinner nun seine Margen nicht abgeben wolle. Mosa hat z.B. angekündigt, bei Nichterfüllung der Lieferverpflichtungen die Hersteller zur Kasse zu bitten. Besonders die Markenartikler fühlen sich unter Druck gesetzt, weil Discount und LEH die eigenen Handelsmarken puschen und die Produzenten ihres Einstiegs- und Billigsortiments unter Druck setzen. Tatsächlich wird nicht nur über Preise, sondern verstärkt über Einhaltung von Warenversorgung und Vertragstreue gekämpft. Brancheninsider sprechen zunehmend von Lieferquoten von 85% aktuell, was natürlich zu Regallücken führt – ein Desaster für den Handel. „Wir sind nicht in der Phase, dass wir aktiv Lieferanten auslisten würden. Womit wir konfrontiert sind, sind Lieferstopps,“ beklagt der Rewe-Manager, „aber wir lassen uns nicht erpressen.“ Trotzdem habe sich das Machtverhältnis zwischen Industrie und Handel nicht verschoben. Auch „manche im Handel“ streben nach Gewinnmaximierung, wenn es möglich sei. Zugleich würden ganze Warengruppen wegbrechen wie Obst und Gemüse oder Schweinefleisch. 

Festzuhalten bleibt, dass die Fronten sich verhärten vor allem mit Blick auf das Jahresende, wenn mit den Heizkostenabrechnungen die Inflation bei einer breiten Verbraucherschicht im Geldbeutel ankommt.

Und die ErzeugerInnen? Milch hui...

Für die Bäuerinnen und Bauern stellen sich die verschiedenen Märkte völlig unterschiedlich dar. Der Auszahlungspreis der Milch ist weiterhin auf Rekordniveau und steigt noch. Nach durchschnittlich 49,6 ct/kg im Mai gab es mit etwa 52 Cent im Juni nochmals einen historischen Aufschlag. Damit liegt der Preis 50%(!) über dem Vorjahresmonat. Für Milcherzeuger, die normalerweise um jeden Cent kämpfen müssen, eine nie dagewesene verrückte Zeit. Und nach Ansicht der meisten Marktexperten dürfte sich das in den nächsten Monaten nicht wesentlich ändern, da die Produktionsmengen begrenzt sind und der internationale Markt, der für die europäischen Molkereien besonders bedeutsam ist, weiterhin rekordverdächtige Preise für Butter und Milchpulver aufruft. Und der Börsenmilchpreis hat sogar noch Luft für höhere Erzeugerpreise – wenn die Molkereien wollen.

Der Marktbeobachter wartet schon angespannt auf die Unternehmensergebnisse der großen Molkereiunternehmen, wie sie ihre Gewinne ausweisen. FrieslandCampina hat mit Rekordumsätzen und Rekordgewinnen für das letzte Wirtschaftshalbjahr bereits den Anfang gemacht.

Anders sieht es auf dem Biomilchmarkt aus. Hier sind zwar die Preise auch sukzessive angezogen auf 56 ct/kg im Juni, aber deutlich geringer als im konventionellen Markt. Deshalb ist die Stimmung der Biomolkereien eingetrübt. Man habe sich schon ein starkes Signal des Handels für Preiserhöhungen gewünscht, um den Abstand zwischen Bio und „normal“ wieder zu erweitern. Aber der Preisschock durch die Erhöhung von Aldi und Co. um 40% auf 1,69 €/kg Anfang Juli hat die Nerven der Verarbeiter blank gelegt. Zwar eröffnete dieser Sprung im Supermarktregal gute Chancen für Anhebungen beim Milchgeld, aber zunächst habe der Konsument mit einem Rückgang von 30% reagiert. Eigentlich wäre das eine gute Möglichkeit für den Naturkosthandel, in die Bresche zu springen. Aber der Ladner kämpft bei einem zweistelligen Umsatzrückgang darum, seine Kundschaft zu halten bzw. wieder in den Bioladen zurückzuholen.

... Schweinefleisch pfui      

Den Schweinemarktbeteiligten kommt die aktuelle Multikrise aus Überproduktion, Exporteinbruch, Kostenexplosion bei Futtermitteln und Preisinflation teuer zu stehen. Nach wie vor kleben an jedem geschlachteten Schwein mehrere Zehn-Euroscheine, die der Erzeuger draufzahlt. Trotz sinkender Produktions- und Schlachtzahlen spricht man in der Branche immer noch von Überkapazitäten. Der Schweinefleischkonsum bricht in diesem Jahr erneut ein, so dass selbst Schlachtzahlen von wöchentlich 750.000 (im Unterschied zu 1 Mio. vor vier bis fünf Jahren) völlig ausreichen. Die Anzahl der Tiere und der Schlachtungen liegt im ersten Halbjahr 10% unter Vorjahr. Gegenüber 2018 ist die Produktion sogar um 20% gesunken. Aber dieser Rückgang nützt wenig, wenn im EU-Ausland (Spanien) die Produktion aufgestockt wird, die dann neben den traditionellen Exportländern Niederlande und Dänemark hier auf den Markt drängt. Die Folge ist ein dramatischer Rückgang der Betriebe seit Monaten.

Den Konsumrückgang nutzte der Handel zu Preissenkungen (und Margensteigerung?) gegenüber der Fleischindustrie. Im Zuge dieser Marktentwicklung kommt es zum „Hauen und Stechen“ zwischen den Erzeugern und den Schlachthöfen. Während die Erzeugergemeinschaften ihre (zu geringe) Preisnotierung von 1,85 €/kg wochenlang verteidigten, versuchte die „rote“ (Schlachthof-)Seite sie mit Hauspreisabsprachen zu unterlaufen. Aber letztlich scheint sich die Erzeugerseite mit Ende der Ferienzeit und etwas besseren Absatzmöglichkeiten durchzusetzen. Jedenfalls haben Tönnies, Westfleisch, Vion und Co. seit dieser Woche ihren Preiswiderstand zunächst einmal zurückgestellt, so dass jetzt vielleicht sogar leicht steigende, aber immer noch bei weitem nicht kostendeckende Preise möglich werden.
Die Lage am Schweinemarkt bleibt weiterhin explosiv.

Da kann es der Marktbeobachter nur als zynisch werten, wenn es aus dem Ministerium heißt, dass gerade der Sektor Schweinefleischerzeugung in der Vergangenheit bewiesen hat, aus sich heraus in der Lage zu sein, das Angebot an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen. So etwas nennt man Politikversagen.

09.08.2022
Von: hg

An jedem geschlachteten Schwein kleben mehrere Zehn-Euroscheine, die der Erzeuger draufzahlt. Bildquelle/Montage: Tönnies/FebL