Meldungen von Märkten, Handel und Vermarktern

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde: Globalisierung, Spekulation und Getreidemarkt ++ Kostendeckung bei Milch erreicht? ++ Streit um die Wertschöpfung bei Schweinefleisch in vollem Gange

 

Globalisierung, Spekulation und Getreidemarkt

Auf die Frage, ob die EU nicht naiv gegenüber Putin und der Abhängigkeit von russischer Energie gewesen sei, erwiderte die dänische EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager sinngemäß: Lange Zeit hat unseren wirtschaftlichen Erfolg in Europa ausgemacht, dass wir billige Energie (Gas, Öl, Kohle) aus Russland bezogen haben, billige Arbeitskräfte in China und Südostasien für uns gearbeitet haben und hochsubventionierte Chips aus Taiwan geliefert wurden. Das war aber nicht naiv, das war die Gier. So funktioniert unser System.

Viele Jahre galt die Globalisierung als Basis des weltweiten Wachstums auf nahezu allen Märkten der Industrie, Dienstleistung und Agrarwirtschaft. Dadurch war es möglich, die Preise für viele Waren und Güter niedrig zu halten. Wertschöpfungsketten wurden über den ganzen Erdball verteilt, so dass man am Endprodukt gar nicht mehr erkennen konnte, wo welches Teil wann hergestellt wurde. Nicht selten war eine Ware in mehreren Ländern – bevorzugt in Asien - produziert und dann irgendwo zusammenmontiert, um es in den Industrie- und Schwellenländern zu vermarkten. Inzwischen ist die „Alternativlosigkeit“ der immer weiter fortschreitenden Globalisierung in die Kritik geraten. Die Zerbrechlichkeit der Lieferketten, die wachsenden Abhängigkeiten von einzelnen Ländern, die fehlende Ernährungssouveränität wirken sich immer stärker nachteilig aus.

Die auf Lebensmittelpolitik spezialisierte Wissenschaftlerin Prof. Corinna Hawkes von der University of London ist davon überzeugt, dass die Globalisierung und das Bestreben, die Agrarpreise niedrig zu halten, mit schuld daran sind, dass jetzt die Lebensmittelpreise stark angestiegen sind. Zwar sei das Bestreben, die Preise niedrig zu halten, verständlich und notwendig gewesen. Allerdings hätten die wirtschaftlichen Mechanismen, die die Preise in den vergangenen Jahrzehnten nach unten getrieben hätten, das globale Lebensmittelsystem stark geschwächt.

So seien viele afrikanische Länder heute bei mehr als der Hälfte ihres Weizenbedarfs von der Ukraine und Russland abhängig. Die durch den Krieg verursachten Versorgungsengpässe und die „katastrophal hohen“ Düngemittelpreise drohten nun, den Hunger in der Welt zu verstärken. Dies sei
die Kehrseite der Bemühungen, durch Produktivitätssteigerung und Wettbewerbsfähigkeit die Lebensmittelpreise niedrig zu halten. Dies hat laut Hawkes auch dazu geführt, dass nun eine kleine Anzahl von Ländern und Unternehmen die Märkte dominiert. Dadurch sei die Vielfalt der Lebensmittelquellen und Lieferketten beeinträchtigt worden. Vielfalt sei jedoch wichtig, weil „sie Wege schafft, um Schocks zu absorbieren“.  Zudem wird der Aufbau einer Eigenversorgung und einer Unabhängigkeit in Ernährungsfragen geschwächt.

Andere Marktkenner machen auf die wachsende Spekulation auf den sprunghaften („volatilen“) Märkten aufmerksam. Aktuell ist das gerade auf dem Getreidemarkt zu beobachten. Nahezu wöchentlich steigen oder fallen die Weizen- oder Maispreise, je nachdem welche Nachrichten gerade die Runde machen und Spekulationen auslösen. So ist allein durch die Ankündigung von möglichen Getreideexporten über Häfen der Ukraine der Weizenpreis fast auf „Vorkriegsniveau“ abgestürzt. Sollten die Transporte tatsächlich zustande kommen, wird die durch den Krieg spekulativ aufgebaute Blase schnell platzen, urteilt ein Marktexperte.

Für die hiesigen Tierhalter bleiben solange viele Unsicherheiten. Die Ernte verkaufen oder einlagern, Kontrakte machen mit welchen Laufzeiten – die Entscheidung ist nicht einfach. Auch die Futtermittelpreise bewegen sich, aber noch nicht ausreichend. Ein Marktteilnehmer aus dem Norden meldet derzeit folgende Preise für Schweinefutter bei 1 Jahr Laufzeit (€/dt): Sauen 36; säugende Sauen 46; Ferkel 50; Vormast 42 und Endmast 36.   

Der Marktbeobachter meint, wie hieß es doch in Goethes „Faust“. „Krieg, Handel und Piraterie. Dreieinig sind sie nicht zu trennen“. Heute würde er Piraten durch Spekulanten ersetzen.

 

Kostendeckung bei Milch erreicht?

Milchbäuerinnen und Milchbauern können es kaum glauben. Nachdem man jahrelang um jeden Cent gerungen hat, kennen die Erzeugerpreise bei Milch seit einem Jahr nur die Richtung nach oben. Knapp 37 ct/kg zeigte das Milchpreisschnitt in 2021 an. Im Mai diesen Jahres lag er laut AMI bereits bei 49,7 Cent und im Juni übersprang er die 50 Cent-Marke im Norden und Osten locker.

Damit hat sich auch das Bild beim Preis-Kosten-Verhältnis verändert (siehe Grafik). Der Milch Marker Index zeigt vierteljährlich die Milcherzeugungskosten an, die vom Büro für Agrarsoziologie und Landwirtschaft (BAL) nach Daten des statischen Bundesamtes berechnet werden. Demnach stimmten im April 2022 erstmals die Milcherzeugungskosten und das „Milchgeld“ fast überein. Dem Auszahlungspreis von 47,2 Cent standen Kosten von 47,6 Cent gegenüber. Nur im Süden des Landes, wo die meisten Kühe stehen, gab es wegen der höheren Kosten eine Unterdeckung von 13%.

Hintergrund der Entwicklung waren gestiegene Erzeugungskosten (Futter, Energie u.a.) um 3% im ersten Quartal bei zugleich wachsenden Auszahlungspreisen um 13%. Seitdem hat sich das Verhältnis noch zugunsten der Erzeuger verbessert. Noch in 2021 hatte es eine Unterdeckung von 8 Cent (18%) gegeben.      

Der Vorstandsvorsitzende von MEG Milk Board, Frank Lenz, hält die Situation für eine Momentaufnahme, weil das Angebot so gering ist, und nicht weil die Abnehmer die Kosten ausgleichen wollten. „Einerseits freuen wir uns über die hohen Erzeugerpreise und hoffen, dass sie auf diesem Niveau bleiben bzw. weiter steigen.“ Andererseits würden sich die Einsparungen bei Futter und beim Dünger erst später als Minderleistungen im Stall und auf dem Feld auswirken. Er merkt an, dass die jetzigen Erlöse dringend notwendig seien, um die herben Verluste seit 2015 erträglicher zu gestalten. Trotz der aktuellen Hochpreisphase würde auf den Milchviehbetrieben wenig investiert und eine mittelfristige Perspektive sei ungewiss und unplanbar. Das Niveau müsse bleiben. „Das würde dann auch zu der Selbstverständlichkeit führen, dass die Produktionskosten gedeckt und Gewinne erwirtschaftet werden.“

 

Streit um die Wertschöpfung bei Schweinefleisch in vollem Gange

Der Schweinemarkt ist seit vielen Monaten im Ungleichgewicht. Trotz Bestandsabstockungen stehen immer noch zu viele Schweine einem schwachen Export und einem stark rückläufigen Inlandsverkauf gegenüber. Auch wenn die Schlachtzahlen kontinuierlich sinken, übersteigt weiterhin das Angebot die Nachfrage, so dass sich die Kühlläger weiter füllen. Von Januar bis April lagerten in den Gefrierhäusern im Schnitt 206.000 Tonnen ein gegenüber 179.000 Tonnen in 2021 oder 138.000 t in 2020. Dazu kommt, dass die Schweinepreise angesichts der erhöhten Betriebsmittelkosten steigen und der Absatz vor allem im Einzelhandel deutlich sinkt. Insgesamt schreiben seit mindestens einem Jahr sowohl die Erzeuger- als auch die Verarbeiterseite tiefrote Zahlen. Und der Handel beklagt die Umsatzeinbrüche von 15% von Januar bis Mai – allerdings nach zwei überragenden Jahren.

Nun könnte man meinen, in solch einer schwierigen Zeit überlegen die Vertreter der Lieferkette gemeinsam, um einen Ausweg zu finden. Schließlich beteuern LEH und Discount immer wieder, wie sehr sie die heimische Landwirtschaft brauchen, auch die Fleischindustrie wehklagt über mangelnde Auslastung, fehlende Marge und die Landwirte stimmen mit den Füßen ab.

Tatsächlich ist der Streit über die Anteile der Wertschöpfung voll entbrannt. Der Handel senkt seine Einkaufspreise von einem Tag auf den anderen, zwingt die Lieferanten zu Nachlässen und lässt sich dafür beim Verbraucher feiern. Die Industrie verweist auf die Rekorddifferenz zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisen. Tatsächlich war laut Berechnungen der AMI der Abstand noch nie so hoch. Im April stieg er auf 6,27 €/kg Schweinefleisch. In den Jahren zuvor lag die Differenz immer zwischen 4,50 und 5,50 €/kg. Trotz auch gestiegener Kosten im Handel spricht vieles dafür, dass sich die Margen der Handelskonzerne überproportional erhöht haben. Auf die aktuelle Kaufzurückhaltung reagieren sie mit Verstärkung der billigen „Preiseinstiegs“- Marken und erhöhten Aktionsgeschäften, was sie sich aber (möglichst) bei den Lieferanten zurückholen. In einem Interview mit der Lebensmittelzeitung verdeutlichte der Interspar-Chef Holzleitner diese Haltung: „Gerade die Markenartikler melden im Zuge der aktuellen Preishysterie Erhöhungen, die jenseits von Gut und Böse sind.“ Die großen Industriekonzerne hätten Geld genug und wollten Preiserhöhungen mit aller Gewalt durchsetzen.

Der Druck wird weitergegeben an die Lieferanten, die sich ihrerseits an die Erzeuger halten und seit einigen Wochen die Schweinepreisnotierung unter Druck setzen. Bislang konnte die Vereinigung der Erzeugergemeinschaften (VEZG) diesem Druck standhalten und die Erzeugerpreise stabil halten. In der letzten Woche haben nun die „Großen Drei“ (Tönnies, Westfleisch, Vion) den üblichen Notierungspreis nicht anerkannt und zahlen für sogenannte freie (nicht vertraglich gesicherte) Schweine Hauspreise mit 5 bis 10 ct/kg unter Notierung. Für die Erzeuger, die schon seit vielen Wochen Verluste schreiben, ist diese Senkung nicht akzeptabel. Da aber die Schlachtkonzerne in den letzten Jahren viele Schweine vertraglich und preislich gebunden haben (etwa 50 -  70%), ist das „Schwert der Hauspreise“ stumpfer geworden. Nach Meinung der drei Marktführer seien die Preise in Deutschland im Verhältnis etwa zu Niederlande oder Dänemark zu hoch, so dass ihre Wettbewerbsfähigkeit leide.

Der Marktbeobachter fragt sich, ob die Erzeugergemeinschaften sich weiterhin dem Druck widersetzen können. Für die Schweinehalter wäre es existentiell notwendig, aber solange Überschüsse herrschen, sind die Karten ungleich verteilt. Planmäßiger Abbau der Überschüsse verbunden mit höherem Tierwohl und Kostenausgleich für die Erzeuger im Sinne der Borchert-Kommission wäre ein Lösungsvorschlag. Aber wie oft soll man es noch wiederholen?