Interview zum Thema Arbeit auf dem Hof mit Christoph Rothhaupt, Betriebsleiter und Ländlicher Familienberater in Unterfranken
Unabhängige Bauernstimme: Was ist für Sie gute Arbeit auf dem Hof?
Christoph Rothhaupt: Für mich persönlich ist gute Arbeit, wenn ich abends was weggeschafft habe. Wenn ich zufrieden auf den Tag blicke, weil ich mit Freude was Sinnvolles getan habe. Das kann z. B. den ganzen Tag Säen sein oder Zäunen auf den Weiden. Draußen bei den Tieren sein, frisch bearbeiteten Boden riechen oder frisch gemähtes Gras. Das schafft Zufriedenheit.
Wie erleben Sie die Einstellung zur Arbeit in der Landwirtschaft?
Die Arbeit steht häufig an erster Stelle – vielfach noch vor der Familie, so ist meine Perspektive aus vielen Gesprächen. Das ist bedenklich, aber ich kann es auch nachvollziehen. Denn da hängt viel dran, meist steckt viel Fremdkapital im Betrieb – da spielen Ängste mit rein, ob das Einkommen reicht. Und Arbeit hat generell einen sehr hohen Stellenwert in der Landwirtschaft. Bei vielen wird der eigene Selbstwert daran festgemacht.
Was heißt das in Bezug auf die eigene Gesundheit, für Familie und soziales Umfeld?
Ich erlebe immer wieder Menschen, die zwanghaft versuchen, über Leistung ihren Selbstwert zu steigern. Das kann auf Dauer nur zum Zusammenbruch führen, wenn man sich nur gut fühlt, wenn man einen Topertrag hat oder einen super Stalldurchschnitt. So wird es uns von außen als erstrebenswert suggeriert durch Berichte über Bestleistungen – auch gesamtgesellschaftlich, besonders in den Sozialen Medien. Aber dabei werden die anderen Stärken der Menschen gar nicht gesehen. Du stellst dich als Betrieb dar – und die eigene Person geht verloren. Genau das ist mir passiert, nachdem mein Vater gestorben war und ich mit der Milchviehherde und dem neuen Melkroboter allein dastand und nur noch am Arbeiten war. Ich hatte mich komplett verloren. Ich war nur noch der Betrieb Rothhaupt, nicht mehr ich.
Als mein Vater krank wurde, hat er sich wertlos und als Last gefühlt, als er die Arbeit auf dem Hof nicht mehr schaffte. Das macht mich heute noch arg traurig, wie wenig wert er sich als Person war. Mir war er sehr wichtig. Das ist die Gefahr, wenn Arbeit über allem steht – dann wissen die Menschen nicht mehr, wie viel Wert sie haben für Partner, Familie, Freunde; sie wissen nicht, wie viel sie kaputt machen, wenn nur noch der Betrieb spricht und nicht mehr die Person.
Wie spielen das Selbstverständnis und der Umgang untereinander in der Landwirtschaft mit hinein? Gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern?
Wir hatten auf dem Hof gerade zwei Frauen als Auszubildende. Ich würde sagen, Frauen schauen mehr, dass es auch familiär zugeht. Vielfach sind sie mehr mit Familienfürsorge beschäftigt, kommen in diesem Zusammenspiel in Überlastungssituationen. Männer vermitteln eher, dass sie alles schaffen, hart sind – und verlieren da die Realität. Warum sollte ich als Mann nicht mal weinen können, wenn gerade alles zu viel ist? Das täte vielen zehnmal besser, als sich abends auf dem Sofa drei Bier reinzuziehen. Aber das steckt drin: Bloß keine Schwäche zeigen, du verlierst sonst dein Gesicht!
Problematisch empfinde ich das Vergleichen, den Wettbewerb bei der Definition über Leistung: Wenn einer mit der Maschine losfährt, dann müssen wir alle fahren. Wenn du nicht arbeitest und mal was für dich machst, heißt es gleich: „Der ist faul“. Ich musste das auch erst lernen, habe lange gebraucht. Als ich mich zu betrieblichen Veränderungen entschieden hatte und die Kühe weg waren, hab ich abends noch Arbeit gesucht. Wenn ich jetzt ins Fitnessstudio gehe, hör ich immer mal direkt oder hintenrum: „Der hat noch nicht genug gearbeitet“ oder „Der hat Zeit, der hat ja keine Kühe mehr“. Aber ich weiß, ich kümmer mich um mich, tue mir was Gutes. Zufriedenheit heißt auch, den anderen gönnen, was sie haben. Da müssten wir als Berufsstand mehr hin, dass wir für uns Zufriedenheit finden und überlegen, was wir dafür tun können – auch untereinander. Das Konkurrenzdenken und der ständige Wettbewerb sorgen nur dafür, dass einer dem anderen misstraut.
Wie kommt man zu guter Arbeit mit einem angemessenen Stellenwert im Leben?
Persönlich würde ich den Spruch „Schlaf wird überbewertet“ verbannen – Schlaf ist wichtig! Und es braucht Auszeiten, gerade auch mit der Familie – aber auch allein. Es ist wichtig, sich Zeit für sich zu nehmen – ob im Wald, am Ackerrand oder bei den Tieren – um ein, zwei Mal im Jahr zu überlegen: „Bin das noch ich? Ist das noch das, was ich machen möchte?“ Gut ist auch, sich eine gewisse Zufriedenheit zuzulegen, nicht immer noch mehr und noch mehr erreichen zu wollen. Das geht nach hinten los. Kommunikation ist ein wichtiges Thema: im Austausch mit Kolleg:innen bleiben und dabei möglichst auf Augenhöhe und ehrlich miteinander reden, zusammenarbeiten.
Wenn einem die Arbeit merklich zu viel wird, dann sollte man sich ernsthaft Gedanken machen, welche Veränderungen Entlastung schaffen können. Und bevor man nicht mehr weiter weiß, ist es wichtig, sich rechtzeitig an Hilfsangebote wie die Ländliche Familienberatung zu wenden. Dafür muss sich niemand schämen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zwei Adressen, wo man sich Hilfe holen kann: