Ist Genome Editing nachweisbar? Im Prinzip ja, aber...
Mit Hilfe von Gen-Scheren wie CRISPR/Cas verändertes Erbgut lässt sich grundsätzlich nachweisen. Das bestätigen Experten wie Yves Bertheaud, ehemaliger Forschungsdirektor des staatlichen französischen Agrarforschungsinstituts INRA. Doch die praktische Umsetzung sei schwierig, betont das Europäische Netzwerk der staatlichen Gentechnik-Labore (ENGL) im Entwurf eines Berichts an die EU-Kommission. Derzeit könnten zahlreiche durch Genome Editing hergestellte Produkte unerkannt auf den Markt kommen, warnen die ENGL-Experten. Also müssten die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten dringend handeln, um die gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion in der EU zu sichern. Doch danach sieht es nicht aus.
Yves Bertheaud hat für ein neues Fachbuch den Stand der Technik zusammengefasst: „Neue gentechnische Verfahren: Nachweis und Identifizierung der Techniken und der damit hergestellten Produkte“ lautet übersetzt der Titel seines Kapitels. Darin stellt er als erstes klar, dass natürliche Mutationen nur sehr selten vorkämen. Das Erbgut von Pflanzen sei stabil und durch Reparaturmechanismen der Zellen gut geschützt. Schon deshalb seien gentechnisch hervorgerufene Mutationen meist unterscheidbar. Ausführlich beschreibt Bertheaud, dass Eingriffe mit Gen-Scheren unerwünschte unbeabsichtigte Effekte im Erbgut hervorrufen, die er als „Narben“ bezeichnet. Diese Effekte würden auch an die folgenden Pflanzengenerationen weitergegeben und könnten theoretisch nachgewiesen werden. Zudem würden Eingriffe mit Genome Editing eine klare Signatur im Erbgut hinterlassen, die im Prinzip ebenfalls festgestellt werden könne. Bertheaud kommt zu dem Schluss, dass für die meisten neuen gentechnischen Verfahren ein quantitativer Nachweis, wie er für den Vollzug des EU-Gentechnikrechts notwendig sei, im Prinzip geführt werden könne. Auch gebe es den notwendigen gesetzlichen und technischen Rahmen, um sicherzustellen, dass das für den Nachweis notwendige Referenzmaterial zur Verfügung gestellt werde. Die analytische Nachweisbarkeit von Produkten der Neuen Gentechnik könne schnell umgesetzt werden. Was es dafür brauche, sei der politische Wille.
Denn für eine wirkungsvolle Kontrolle in der Praxis sind noch zahlreiche Probleme zu überwinden. Der ENGL-Bericht, den der Informationsdienst Gentechnik öffentlich machte, kommt zu dem Schluss, dass für einen Nachweis die vorgenommene Erbgutänderung bekannt und eine validierte Nachweismethode vorhanden sein müsse. Zudem brauche es zertifiziertes Referenzmaterial. Die Messmethode müsse den Nachweis in einer Qualität liefern, die auch einen rechtssicheren Vollzug ermögliche. Die ENGL-Autore bezweifeln, dass dies bei gentechnischen Veränderungen, die nur eines oder wenige Basenpaare der DNA betreffen, derzeit möglich sei. Denn solche Veränderungen könnten auch auf natürliche oder chemisch ausgelöste Mutationen zurückgehen und eine Messmethode müsse dies sicher unterscheiden können. Das Fazit der staatliche Labore: Mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten könnten nur gen-editierte Lebensmittel erkannt werden, bei denen die vorgenommene Änderung eindeutig sei und ein spezifisches Nachweisverfahren vorliege. Ohne spezifische Nachweismethoden oder für unbekannte genom-editierte Lebensmittel sei eine Marktkontolle nicht möglich.
ENGL hatte der EU-Kommission bereits im April 2017 vorgeschlagen, sich mit Nachweis und Identifikation neuer gentechnischer Verfahren zu beschäftigen. Die Kommission habe damals diesen Vorschlag zurückgewiesen, berichtete das französische Portal infOGM. Erst im Oktober 2018 habe die Kommission dem Netzwerk einen entsprechenden Auftrag erteilt, aus dem der jetzt als Entwurf vorliegende Bericht resultiert. Im November 2018 erschien ein Papier des EU-Forschungszentrums JRC, das in Absprache mit ENGL erstellt wurde. Auch darin heißt es, Eingriffe in neue gentechnische Verfahren seien höchstens extrem aufwändig nachweisbar.
Angesichts dieser Berichte müsste die EU-Kommission mit Hochdruck dafür sorgen, bestehende Messmethoden zu verbessern und neue zu entwickeln. Doch anscheinend fehlt dazu der politische Wille. InfOGM berichtet von einer gemeinsamen Sitzung von Umwelt- und Agrarausschuss des EU-Parlaments Anfang Januar. Dort erstattete die EU-Kommission Bericht und erklärte einmal mehr, dass nicht unterscheidbar sei, durch welches Verfahren eine Mutation im Erbgut hervorgerufen wurde. Sie werde in dieser Amtsperiode keine neuen Vorschläge zum Gentechnikrecht vorlegen. Mittelfristig brauche es jedoch ein Regelungssystem, „das mit den wissenschaftlichen Entwicklungen auf der einen Seite und den Normen für Innovation, Wettbewerb und Sicherheit auf der anderen Seite Schritt halten kann“. Dazu wolle sie eine offene Debatte mit allen Beteiligten führen.
„Wir brauchen keine Debatten um ein neues Gentechnikrecht, sondern Behörden auf Bundes- und Europaebene, die alles unternehmen, um das bestehende Recht und das Urteil des Europäischen Gerichtshof zur neuen Gentechnik zu vollziehen“, mahnt VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting. „Leider vermitteln sowohl die Bundeslandwirtschaftsministerin als auch die EU-Kommission den Eindruck, dass sie damit keine Eile haben.“ Die Leidtragenden dieses stattlichen Nichthandelns seien Landwirte, Verarbeiter und Händler, die auf gentechnikfreie Lebensmittel setzen – und die große Mehrheit der Verbraucher, die solche Lebensmittel wolle.
Eine Mitteilung von VLOG (Verband Lebensmittel ohne Gentechnik e.V.)