Die Zukunft der Landwirtschaft in der Mitte der Gesellschaft
Der Wir-haben-es-satt-Protest vor Ort war diesmal coronabedingt nicht ganz so groß. 30 Trecker vorzugsweise aus dem Berliner Umland, zwei Handvoll reale und 10.000 virtuelle Demonstranten – Menschen, die ihren Fußabdruck verbunden mit ihren agrarpolitischen Forderungen vor's Kanzleramt geschickt hatten. Pünktlich zum WHES-Protest am 16. Januar veröffentlichte die Jugendorganisation des BUND – die BUNDjugend – eine Vision der Jugend für ein Landwirtschafts- und Ernährungssystem der Zukunft. Mitgetragen wird die Erklärung von elf weiteren Jugendorganisationen, von der jungen AbL über das Junge Bioland und das Bündnis Junge Landwirtschaft bis zu Nabu- und Tierschutzbundjugend. Gezeichnet wird ein positives Bild von Bauern und Bäuerinnen, die „ihr Einkommen aus fairen Erzeugerpreisen erwirtschaften, sodass gesellschaftliche Teilhabe, Altersvorsorge und die Einstellung von Arbeitskräften im Falle eines Ausfalls möglich sind. Die Gesellschaft schätzt den Berufsstand für ihre Lebensmittelerzeugung und den positiven Beitrag zu Umwelt- und Naturschutz.“ Kraft geht aus von einem Zukunftsbild einer Landwirtschaft, die „global gerecht und souverän gestaltet ist“, „in weitestgehend geschlossenen Stoffkreisläufen wirtschaftet“ und „ihre übergesetzlichen Leistungen in Umwelt-, Natur- und Klimaschutz honoriert“ – ausschließlich mit öffentlichen Mitteln. In zwölf Punkten greift das Papier die großen Themen der derzeitigen Debatten auf und skizziert gesamtgesellschaftliche Lösungsansätze. Es könnte eine Blaupause für die Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft sein. Dort wie auch in den wissenschaftlichen Beiräten des Bundeslandwirtschaftsministeriums gilt die Knüpfung der Fördermillionen der EU an Leistungen, die dem Gemeinwohl, dem Schutz des Klimas, der Natur und Umwelt und der Tiere dienen, längst als zentrales Element, um die Interessen der Bauern und Bäuerinnen, den Wunsch nach Anerkennung und existenzsichernden Einkommen mit den Anforderungen der Gesellschaft an Biodiversität, Tier- und Klimaschutz zu verbinden. Lediglich ein paar beharrende Kräfte beim Bauernverband und im Bundeslandwirtschaftsministerium, dazu gehört auch immer noch die Ministerin, müssen sich noch ein Herz fassen. Wie schwer das Julia Klöckner fällt, wird deutlich, wenn sie sich derzeit öffentlich äußert. Ob vor protestierenden Bauern und Bäuerinnen oder Journalisten, sie weist ihre Verantwortung zu handeln von sich.
Lösungswege aufzeigen
Die AbL-Bundesvorsitzende Elisabeth Fresen sagt dazu in einer Pressemitteilung: „Ich erwarte von einer Bundesministerin, Lösungswege aus der Krise aufzuzeigen und anzupacken, statt sich über die vorgetragenen Sorgen der Bäuerinnen und Bauern hinwegzusetzen und sich aus der politischen Mitverantwortung zu stehlen.“ GAP-Zahlungen an Gemeinwohlleistungen zu binden, die Empfehlungen der Borchert-Kommission umzusetzen, Marktkriseninstrumente einzuführen und Sofortmaßnahmen mit Handel und Verarbeitern für höhere Preise zu vereinbaren, müssten, so die AbL, die konkreten Betätigungsfelder der Ministerin sein. „Frust, Verzweiflung und Wut der Bäuerinnen und Bauern sind eine gefährliche politische Gemengelage. Dass die Ministerin die stattfindenden Proteste abprallen lässt und die Verantwortung von sich weist, ist unverantwortlich“, so Fresen. Leider machen Klöckner auch die jüngsten Proteste vor ihrem Ministerium das Wegducken leichter, weil die Bauern und Bäuerinnen sich und ihre berechtigten Anliegen durch das Verwenden des Symbols der Landvolkbewegung selbst diskreditieren. Zwar distanzieren sich die Anmelder der Demonstrationen in von ihnen veröffentlichten Verhaltensregeln deutlich von Rechtsextremismus, sie müssen aber, um ernst genommen zu werden, anerkennen, dass Pflug und Schwert eben nicht nur, wie oft beschwichtigend angeführt wird, lediglich Symbol einer sich gegen Bürokratenwillkür, Marktmacht und Existenzbedrohung wehrenden Bauernbewegung aus den 1920er Jahren sind. Im Namen des Landvolks wurden Gewalttaten verübt und völkisch-nationalistische Reden gehalten, nicht wenige aus der Bewegung wendeten sich schließlich der NSDAP zu. Die berechtigte Kritik an einer Agrarpolitik auf Kosten vieler Höfe ging dabei irgendwann unter. Schon deshalb taugt die Symbolik nicht, aus Respekt vor den Millionen Opfern des Nationalsozialismus verbietet sie sich.