Antibiotika: Klöckner sieht Branche bei Reserveantibiotika in der Pflicht

Die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner sieht anlässlich der Vorstellung des Berichts zur Evaluierung des Antibiotikaminimierungskonzeptes im Bundeskabinett die Branche zur Verbesserung der Situation in der Pflicht, andernfalls werde sie gesetzgeberisch tätig. Den sofortigen Ausstieg aus dem Einsatz von Reserveantibiotika und einen Systemwandel in der Tierhaltung fordert die Agrarexpertin von Germanwatch, Reinhild Benning. Antibiotikaresistenzen in der Human- und Veterinärmedizin stellen für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ein schwerwiegendes, weltweites Problem dar. Um der Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen im Bereich der Tierhaltung entgegen zu wirken, wurde in Deutschland im Jahr 2014 mit der 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes ein nationales Antibiotikaminimierungskonzept für Masttiere eingeführt. Mit der 16. AMG-Novelle wurde dieses Konzept nun vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft evaluiert. Als zentrale Ergebnisse nennt das BMEL:
- Die Gesamtverbrauchsmenge an Antibiotika bei allen sechs Nutzungsarten sank im untersuchten Zeitraum von 298 Tonnen auf 204 Tonnen, sie reduzierte sich damit um 31,6 Prozent.
- Die stärkste Reduktion wurde bei Schweinen erreicht: Mastferkel minus 46 Prozent (von 87,5 Tonnen auf 47,2 Tonnen); Mastschweine minus 43 Prozent (von 115 Tonnen auf 65,2 Tonnen).
- Mastputen minus 4 Prozent (von 38,1 Tonnen auf 36,7 Tonnen); Masthühner minus 1 Prozent (von 29,7 t auf 29,5 t); Mastkälber minus 4 Prozent (von 26 Tonnen auf 25 Tonnen).
- Bei Mastrindern betrug die errechnete Reduktion minus 76 Prozent. Die absolut eingesetzten Mengen waren mit 1,7 Tonnen am Anfang und 0,4 Tonnen am Ende des Beobachtungszeitraums insgesamt sehr gering.
- Reserveantibiotika wurden bei Schweinen und Rindern in geringem Umfang eingesetzt (jeweils weniger als 10 Prozent der jeweiligen Verbrauchsmenge). Bei Masthühnern und Mastputen mit einem Anteil von rund 40 Prozent der jeweiligen Verbrauchsmenge. Hierzu Bundesministerin Julia Klöckner: "Zu viel Antibiotika haben in Ställen und vor allem in Tieren nichts zu suchen! Mein Ministerium arbeitet intensiv an der Reduzierung. Durch unsere Evaluierung haben wir nun erstmals behördliche Zahlen zur Höhe der Anwendung von Antibiotika in der Tiermast bei bestimmten Tierarten, nämlich Schweinen, Rindern, Hühnern und Puten. Die wichtigste Erkenntnis: Die Resistenzlage insgesamt hat sich verbessert, der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast wurde insgesamt um knapp ein Drittel reduziert. Vor allem die erheblichen Reduktionen bei Mastschweinen und Mastferkeln zeigen: Unser innovatives System zur Antibiotikaminimierung funktioniert." Deutlich geringer, so geht es laut BMEL aus dem Bericht hervor, sind die Verbrauchsmengen von Antibiotika bei Masthühnern und Mastputen zurückgegangen. Auch der Umfang des Einsatzes so genannter Reserveantibiotika, also Antibiotika, die in erster Linie der Behandlung bestimmter Infektionskrankheiten beim Menschen dienen, ist für das BMEL zu hoch bei diesen Nutzungsarten. Sie beträgt fast 40 Prozent des Gesamtverbrauchs. Julia Klöckner dazu: "Der hohe Anteil an Reserveantibiotika ist nicht akzeptabel. Denn die hochwirksamen Reserveantibiotika sollen nur im Notfall und nur nach sorgfältiger Abwägung eingesetzt werden, damit sich keine Resistenzen durch den regelmäßigen Gebrauch ausbilden. Die Branche steht hier in der Pflicht, zu handeln. Das werden wir überprüfen. Wir erwarten auch von der Branche selbst konkrete Vorschläge und Aktivitäten, um für eine dauerhafte Verbesserung der Situation in ihren Betrieben zu sorgen. Andernfalls werden wir gesetzgeberisch tätig werden." Die Ministerin kündigte in diesem Zusammenhang an, Vertreter der Branche zeitnah zu einem Gespräch in ihr Ministerium einzuladen. Reinhild Benning, Agrarexpertin von Germanwatch, erklärt angesichts der Vorlage des Evaluierungsberichts: „Je mehr auf industrielle Massentierhaltung gesetzt wird, desto unwahrscheinlicher ist die weitere Reduktion von Antibiotika in der Tierhaltung und desto höher auch die Resistenzraten in der Lebensmittelkette. Hähnchen- und Putenfleisch stammt in Deutschland zu über 90 Prozent aus industrieller Massentierhaltung, in der bis zu 23 Hühnchen pro Quadratmeter gehalten und haufenweise krank werden. Sie bekommen entsprechend viel Antibiotika - rund 40 Prozent davon sind Reserveantibiotika. Dies sind Medikamente, die für den Menschen besonders wichtig sind, da sie vor allem dann eingesetzt werden, wenn andere Antibiotika bereits nicht mehr wirken. Wir fordern ein sofortiges Verbot der Reserveantibiotika in Tierfabriken und eine Verbesserung der Haltungsvorschriften im Stall, damit Tiere nicht mehr systembedingt krank werden. Antibiotika in der Tiermedizin müssen zudem mit staatlich festgelegten Preisen so teuer werden, dass sich Tierschutz im Stall finanziell mehr lohnt als der serienmäßige Einsatz von Antibiotika zur Billigfleischerzeugung.“ Der Bericht wurde vom BMEL in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erstellt. Schwerpunkt des Berichts ist die Auswertung von rd. 2,27 Millionen Datensätzen der Länder, die diese im Zeitraum vom zweiten Halbjahr 2014 bis zum zweiten Halbjahr 2017 im Rahmen des Vollzugs der 16. AMG-Novelle erhoben haben, und die Bewertung dieser Ergebnisse.