Agrarpopulismus - im Windschatten des Krieges die Uhren zurückdrehen

Der Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Niedersachsen/Bremen (AbL) kann über die rasche und unreflektierte Reaktion landwirtschaftlicher Verbände und der vor- und nachgelagerten Agrarindustrie auf den Krieg nur staunen. Das teilt die AbL Niedersachsen mit und bezieht sich dabei unter anderem auf Äußerungen des Landvolk Niedersachsen/Landesbauernverband. Das hatte angesichts der russischen Aggression und des Klimawandels ein Umsteuern in der Agrarpolitik und eine neue Sichtweise auf das Thema Versorgungssicherheit für nötig befunden. „Mittelfristig müssten aber vor allem die bis 2030 vorgesehenen weiteren Maßnahmen, die insbesondere von der EU im Paket des ‚Green Deal‘ vorgeschlagen worden sind oder bereits bei der Agrarförderung ab 2023 beschlossen wären, unverzüglich auf den Prüfstand“, so das Landvolk.

Für Ottmar Ilchmann, Milchbauer und AbL-Vorsitzender in Niedersachsen ist diese Position Agrarpopulismus und stellt den Versuch dar, im Windschatten des Krieges die Uhren zurückdrehen. “Von Deutschland aus die Welt ernähren, davon träumen gerne die Exporteure. Die bäuerlichen Betriebe, das wissen wir vom Schweine- und Milchmarkt, leiden darunter, dass sie eben nicht zu ‚Weltmarktpreisen‘ produzieren können", so Ilchmann. Trotz längst erreichter Einigungen über die Zukunft des Agrarsektors in der Zukunftskommission Landwirtschaft oder auch im Niedersächsischen Weg wolle man „alles auf den Prüfstand“ stellen, als ob es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse geben würde, die Forderungen der Verbraucher ignoriert werden könnten und der Klimawandel bereit sei, solange vor der Tür zu warten. So wäre die aktuelle Verschiebung entsprechender Verordnungen der EU-Kommission (Pestizidreduktion, farm to fork-Strategie, Extensivierung und Förderung der Biodiversität) kein Erfolg sondern ein Pyrrhus-Sieg. „Auch die aufgeregten Diskussionen im niedersächsischen Landtag in Richtung einer ‚Produktionsschlacht‘ führen in die Sackgasse. Die Gefahr, dass sich Bauernvertretungen wieder einmal ins gesellschaftliche und wissenschaftsbasierte Abseits schießen, ist aus unserer Sicht daher naheliegend“, erklärt der AbL-Vorsitzende und verdeutlicht das an drei beispielhaften Aspekten:
Ökologische Vorrangflächen sind durch die Flächenanträge und die langfristige Festlegung gebunden. In fast allen Fällen benutzen die Betriebe die unproduktivsten Felder für die ÖVF. Darauf Höchsterträge zu erwarten, falls diese Äcker überhaupt weizenfähig sind, ist schlechterdings unseriös. Etliche Betriebe bauen auf diesen Flächen Körnerleguminosen (Erbse/Bohne) an und erzeugen so ihr eigenes Eiweißfutter, ersetzen Soja aus Südamerika, eine sehr sinnvolle Strategie.

Aussetzen der 4 % Stilllegungsverpflichtung: Diese Forderung geht ins Leere, da sie für 2022 noch nicht gilt. Zudem kann der Landwirt mit Anbau von Zwischenfrüchten oder Körnerleguminosen (s. o.) den Satz auf 3 % reduzieren. Wenn dann noch berücksichtigt wird, dass eine Fruchtfolge einzuhalten ist, bleiben höchstens 1 % für Weizen übrig. Die Hochrechnungen über angebliche Steigerung der Erzeugung entbehren daher jeder Grundlage.

Intensivierung der Beregnung: Wer dies fordert, scheint keine Kenntnis vom Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung zu haben. Dort und im langjährigen Monitoring der „Grace”-Satelliten wird klar beschrieben, dass wir einen hohen Grundwasserverlust haben und das sich dieser Trend leider in Zukunft verstärken könnte – anders interpretiert: „Wir leben noch mal schnell auf Kosten der nächsten Generation, die dann Probleme mit dem Trinkwasser hat“.

Ottmar Ilchmann: “Wer wirklich mehr Lebensmittel für die menschliche Ernährung anbauen will, der muss die Probleme angehen, die ohnehin auf der Agenda stehen – z. B. Anpassung der Tierzahlen an die auf dem Binnenmarkt verfügbaren Futtermengen! Oder beenden wir doch erst einmal die Beimischung zum sogenannten Biosprit. Und - auf wenigen Prozent der Biogasflächen installierte Photovoltaik erreicht den gleichen Stromertrag! Wir bevorzugen zudem die Agri-PV als Kombination aus Stromerzeugung und landwirtschaftlicher Bewirtschaftung. Es gäbe so viel Sinnvolles für eine auskömmliche bäuerliche und naturverträgliche Landwirtschaft zu tun. Und nicht zuletzt können wir uns eine Lebensmittelverschwendung nicht mehr leisten, der fast ein Drittel der produzieren Menge zum Opfer fällt.”

In Summe sei nur festzustellen, dass eine an ihr Ende gekommene über Jahrzehnte geübte Praxis der Intensivierung um jeden Preis plötzlich fröhliche Wiedergeburt feiern will. Den Bauern war und sei mit diesem Geschacher kaum gedient. Also Höfesterben weiter voran? Freuen dürfen sich nach Ansicht von Ilchmann andere altbekannte Marktteilnehmer im vor- und nachgelagerten Bereich, die an der Landwirtschaft mehr verdienen als es in der Landwirtschaft möglich ist.

Eberhard Prunzel-Ulrich vom AbL-Landesvorstand ergänzt: “Wir brauchen Mut und Phantasie, die etablierten Produktionssysteme zu hinterfragen. Die AbL wünscht sich eine ökologische Intensivierung. Dafür brauchen wir mehr direkten Nahrungsmittelanbau, z.B. von Gemüse und Obst, Weidemilch und eine vielfältige Fruchtfolge mit hofnahen Wirtschaftskreisläufen. Damit sich diese Art der Erzeugung zukünftig mehr lohnt, muss sie über bessere Erzeugerpreise und eine zielgerichtete Verteilung der GAP-Fördermittel in Wert gesetzt werden.”