Mal die wahren Preise angenommen

Wer mit Landwirtschaft zu tun hat, wird sehr schnell mit der Frage nach dem Zustandekommen der Erzeugerpreise konfrontiert. Bilden diese die Kosten des Betriebes ab? Ist eine faire Entlohnung gegeben? Vom Vorgehen her sind derartige Berechnungen vergleichsweise einfach, da alle Daten, wie Maschinen- und Personalkosten, Betriebsmitteleinsatz und Zeitaufwand, auf einem Betrieb vorliegen. Deutlich schwieriger wird es, wenn Parameter mit aufgenommen werden sollen, die in bisherigen Preiskalkulationen keine Beachtung fanden. Umweltkosten erfassen In der Wissenschaft wird allerdings schon seit einigen Jahren daran gearbeitet, die landwirtschaftlichen Umweltauswirkungen monetär zu erfassen. Diese für Deutschland zu erfassen, damit beschäftigt sich seit einigen Jahren ein Team von Wissenschaftlern der Universität Augsburg unter der Leitung von Dr. Tobias Gaugler. Hinter dem Ansatz, die sich bisher nicht im Produktpreis widerspiegelnden Kosten sichtbar zu machen, steht für die Wissenschaftler auch der Anspruch, den Verbraucher durch Aufklärung in eine bessere Entscheidungslage zu versetzen: „Aktuelle Forschungsergebnisse von Poor und Nemecek (2018) bestätigen, dass der Konsum von Lebensmitteln den bedeutendsten Einflussfaktor für die Reduzierung der individuellen beeinflussbaren Umweltbelastung darstellt.“ Das Vorgehen Im Fokus der Betrachtungen stehen der Output an Treibhausgasen und Stickstoff sowie der Energiebedarf, der während der Produktion „vom Ursprung bis zum Scheunentor“ („Cradle to farm gate“) eines Lebensmittels entsteht. Genutzt wurden hierfür alle schon in dem Stoffstromanalysenmodell GEMIS (Globales Emissionsmodell für integrierte Systeme) vorhandenen Daten. Betrachtet wurden dabei Gemüse, Obst, Getreide, Hackfrüchte, Hülsenfrüchte und Ölsaaten auf pflanzlicher Seite und Geflügel, Wiederkäuer, Schwein, Eier und Milch auf Seiten der tierischen Produkte. In einem weiteren Schritt wurden diese in vier Produktkategorien zusammengefasst: konventionell-tierisch, konventionell-pflanzlich, biologisch-tierisch und biologisch-pflanzlich. Die tierischen Futtermittel wurden hierbei, „fachlich sinnvoll“, der tierischen Seite zugeordnet. Die Daten zu den erzeugten Mengen „basieren auf Daten des Statistischen Bundesamts und der Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft, bezogen auf das Jahr 2016“. Aus Menge werden Euro Neben der Berechnung und Erfassung des Outputs an Treibhausgasen und Stickstoff sowie des Energiebedarfs ist ein weiterer großer Schritt, diese bezüglich ihrer Umweltwirkung zu monetarisieren. Hierfür wurden für Treibhausgase und Energieerzeugung die Schadkostensätze des Umweltbundesamtes und für reaktive Stickstoffverbindungen die des European Nitrogen Assessments zugrunde gelegt. In einem letzten Schritt wurden die sich so ergebenden erzeugerpreisbezogenen Preisaufschläge in absolute, externe Kosten pro kg Produktgewicht übertragen: plus 3,49 Euro/kg für konventionell-tierische Produkte, plus 0,25 Euro/kg für konventionelle Milch(produkte), plus 0,04 Euro/kg für konventionell-pflanzliche, plus 2,78 Euro/kg für biologisch-tierische, plus 0,16 Euro/kg für biologische Milch- und plus 0,03 Euro/kg für biologisch-pflanzliche Produkte. Diese Preisaufschläge beziehen sich auf die Erzeugerpreise. An der Ladentheke, so die Autoren, wären diese geringer, da „der Preis eines Lebensmittels von der Erzeuger- zur Verbraucherebene – aufgrund der dazwischen liegenden Glieder/ Prozessschritte der Food chain – ansteigt, die externen Kosten des Lebensmittels [...] sich jedoch nicht verändern“. Allerdings funktioniert die Handelskette nicht anhand absoluter, sondern anhand prozentualer Preisaufschläge. Um die von den Wissenschaftlern getroffene Annahme in der Realität abzubilden, dürfte man die Preisaufschläge der Erzeugerpreise erst am Endprodukt im Laden einrechnen. Preiswahrheit Auffällig ist, dass, wenn man diesem Rechenmodell folgt, die Ladenpreise ökologischer Produkte zwar auch steigen, dies aber im Vergleich zu den konventionellen deutlich weniger tun. „Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die aktuelle Bepreisung biologischer Lebensmittel deren tatsächlichen Preis treffender wiedergibt. Demgegenüber erscheinen konventionelle Produkte tierischen Ursprungs deswegen als relativ billig, da die mit ihnen verbundenen, höheren Folgekosten aktuell nicht Eingang in die Preissetzung finden“, so die Wissenschaftler. Und das, obwohl, vor allem aufgrund nicht vorliegender Daten, weitere wichtige Treiber wie Pestizid- und Antibiotikaanwendung oder Landnutzungsänderungen durch Urwaldrodung für Sojaanbau nicht berücksichtigt wurden. Aktualisierung Ganz aktuell hat der Lebensmitteldiscounter Penny/REWE eine Aktion, in der er die wahren Kosten einzelner Produkte zusätzlich zum Verkaufspreis auszeichnet. Auch diese Berechnungen kommen von der Universität Augsburg in Kooperation mit KollegInnen der Universität Greifswald. Während Gaugler in seinen Berechnungen 2018 noch auf grobe Kategorien zurückgriff, sollten diese jetzt für eine Auswahl an Produkten erfolgen. Gleichzeitig haben die Wissenschaftler ihre Berechnungen nicht am Hoftor enden lassen, sondern den gesamten Weg bis zur Ladentheke mit aktualisierten Kosten berechnet und zusätzlich die durch Landnutzungsänderungen entstehenden miterfasst. Marktwirtschaftslehre Immer wieder werden Landwirte mit dem Argument der freien Märkte konfrontiert. „Diese können aber nur entstehen“, so Gaugler, „wenn sich die bei der Produktion entstehenden Kosten auch tatsächlich im Preis widerspiegeln.“ Dies gilt auch für die Sozial- und Umweltkosten. „Aktuell haben wir daher ein Marktversagen“, so der Wirtschaftswissenschaftler. Doch wie kommt man von hier zu einem nachhaltigen Ernährungssystem, das anders als jetzt auch die sozialen und die Umweltkosten mitberücksichtigt? „Mit Hilfe des Ordnungsrechts könnte die Politik Rahmenbedingungen schaffen, die den Betroffenen beim Umbau der Handelsstrukturen Planungssicherheit geben“, so Gaugler. In dem komplexen Marktgefüge müssten den Landwirten Wege eröffnet werden, damit sie sich in Richtung einer nachhaltigeren Produktion entwickeln könnten. Wie groß diese Aufgabe der Schaffung verlässlicher Rahmenbedingungen ist, wird deutlich, wenn man sich klar macht, dass neben den Sozial- und Umweltkosten auch die Agrarsubventionen Teil des aktuellen „Marktversagens“ sind.