Auf unseren Äckern werden oft mehrere Pestizide gleichzeitig oder nacheinander verwendet. Wie die einzelnen Mittel zusammenwirken, wird vorher in der Zulassung nicht überprüft. Dort werden Mittel nur einzeln bewertet. Die Folge: Unerwünschte Kombinationswirkungen von Pestiziden auf die Umwelt bleiben oft unentdeckt. Laut einer neuen
Studie für das Umweltbundesamt (UBA) muss sich das rasch ändern. Die in der Studie ermittelten Risiken zeigen nach Ansicht des UBA auch, dass der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel in der konventionellen Landwirtschaft insgesamt sinken muss. Die „Farm-to-fork-Strategie“ der Europäischen Kommission mit dem Ziel, den Einsatz von Pestiziden und deren Umweltrisiken bis 2030 in der europäischen Landwirtschaft um 50 Prozent zu reduzieren, sollte deshalb ambitioniert umgesetzt werden.
Im europäischem Pflanzenschutzrecht ist festgelegt, dass Pflanzenschutzmittel (PSM) „keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt“ haben dürfen (Verordnung EG 1107/2009). Daher werden laut UBA in einem aufwändigen Zulassungsverfahren die Risiken der Ausbringungen von PSM für die Umwelt geprüft. In der Realität zeige sich allerdings, dass die Anwendung von PSM maßgeblich zum Schwund an Tier- und Pflanzenarten in der Agrarlandschaft beiträgt. Mit ursächlich dafür sind laut UBA „blinde Flecken“ im Zulassungsverfahren, also Faktoren, die bisher nicht erfasst werden.
Eine dieser Lücken ist die gängige landwirtschaftliche Praxis, in der Anbausaison einer Kultur oft mehrere PSM gleichzeitig (als sogenannte Tankmischungen) und auch mehrmals nacheinander zu verwenden (Spritzfolge). Da in der Zulassung laut UBA normalerweise nur Einzelprodukte (und nur sehr selten auch beantragte Tankmischungen) bewertet werden, kann das Gesamtrisiko durch typische Anwendungen zurzeit nicht erfasst werden.
Deutlich erhöhte Risiken durch Spritzfolgen und TankmischungenIm Rahmen der Studie wurden fast 900 Datensätze aus landwirtschaftlichen Betrieben zur Anwendung von PSM in 12 verschiedenen Hauptkulturen ausgewertet. Ein Ergebnis: Sowohl die eingesetzten PSM-Klassen (Insektizide, Fungizide oder Herbizide), als auch die Anzahl der Behandlungen unterscheiden sich zwischen den Kulturen stark. Mit durchschnittlich 20 Pflanzenschutzbehandlungen pro Saison werden Äpfel am intensivsten behandelt. Tankmischungen sind dabei die Regel. Sie machten durchschnittlich 63 Prozent aller Behandlungen in den untersuchten Kulturen aus.
Aus den zur Verfügung stehenden Anwendungsdaten wurden laut UBA für eine genauere Analyse je zwei repräsentative Spritzfolgen aus dem Rapsanbau und aus dem Apfelanbau ausgewählt. Hierfür wurde jeweils das Gesamtrisiko für die Umwelt ermittelt, indem die Risiken der einzelnen eingesetzten PSM summiert wurden. Das Gesamtrisiko der PSM-Anwendungen ist in einer Saison im Durchschnitt doppelt bis maximal fünfmal höher als die Wirkstoffanwendung mit dem höchsten Einzelrisiko der Spritzfolge.
Ergänzend wurde in der Studie ein Vorhersagemodell (MITAS) entwickelt, welches bei der Prognose des Gesamtrisikos den Abbau der PSM-Wirkstoffe zwischen den Behandlungen berücksichtigen kann. Am Beispiel der Auswirkungen von PSM-Anwendungen auf Regenwurmpopulationen wurde mit dem Modell das Gesamtrisiko einer Spritzfolge im Apfelanbau über den Zeitraum eines Jahres ermittelt. Die Ergebnisse der Anwendung dieses Modells sagen Schäden an Regenwurmpopulationen voraus, die sogar bis zum darauffolgenden Jahr bestehen bleiben. Es deutet sich laut UBA daher an, dass sich Tier- und Pflanzenpopulationen in der Zeit, in der keine PSM gespritzt werden, nicht erholen können und folglich die Populationen über längere Zeit immer stärker geschädigt werden.
Risiko bereits im Zulassungsverfahren prüfenDiese erste umfassendere Betrachtung von Spritzfolgen und Tankmischungen zeigt, dass das Risiko typischer Anwendungsmuster deutlich höher ist, als in der Zulassungsprüfung für die einzelnen PSM vorhergesagt wird.
Um das Risiko zu mindern, ist nach Ansicht des UBA wichtig, die risikoverstärkende Wirkung von Tankmischungen und Spritzfolgen bereits in der Risikoanalyse im Zuge der Zulassungsprüfung zu beschreiben. Denn erst dann werde es möglich, die erkannten Risiken zu managen. Die EU-Bewertungsleitlinien müssten dazu überarbeitet werden. Sinnvoll sei dabei, vereinfachende Szenarien für die gemeinsame Verwendung von PSM in den verschiedenen Kulturen zu entwickeln, denn die Zahl möglicher Kombinationen von Mitteln in der landwirtschaftlichen Praxis ist sehr groß.
Was die Landwirtinnen und Landwirte für die Risikominderung tun können, kann laut UBA direkt bei der PSM-Zulassung durch Anwendungsbestimmungen festgelegt werden. Sinnvoll sei zudem eine bessere und intensivere Beratung schon bei der Auswahl der Pflanzenschutzmittel. Sinnvoll sei auch, durch ökologische Maßnahmen in der Agrarlandschaft die Widerstandsfähigkeit der Tier- und Pflanzenpopulationen gegen unerwünschte Pestizidauswirkungen zu stärken – so etwas war als „Refugialflächenansatz“ im Aktionsprogramm Insektenschutz von der Bundesregierung vorgesehen, wurde aber bislang nicht umgesetzt.
Um die Risiken von Tankmischungen und Spritzfolgen überhaupt bewerten zu können, benötigen die zuständigen Behörden nach Ansicht des UBA Zugang zu PSM-Anwendungsdaten. Die regulatorischen Voraussetzungen dafür müssten durch die zuständigen Ministerien in Deutschland erst geschaffen werden.