Schmerzfreie Tötung ist möglich
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland über 53 Mio. Schweine geschlachtet. Auch wenn die Schlachtzahlen leicht rückläufig sind, ist bei dieser Größenordnung leicht vorstellbar und oftmals auch bekannt, dass ein Großteil der Tiere in extrem rationalisierten und technisierten Großschlachthöfen verarbeitet wird. Und schon hier gerät man ins Stocken, weil man Tiere, die ja leben, natürlich nicht verarbeiten kann. Der elementare Schritt zum zu verarbeitenden Fleisch oder Schlachtkörper ist die Tötung. Die soll, das ist unwidersprochen, möglichst schonend erfolgen. Kein Stress, ruhiger Umgang, vollständige Betäubung und dann Tötung durch Blutentzug.
Verstörende Berichte
Immer wieder haben Tierschützer durch ihre investigativen Nachforschungen gezeigt, dass es vor allem während des Abladens und Treibens manchem Schlachthofmitarbeiter an der nötigen, dem Tierwohl genügenden Umgangsform fehlt. Während es hierbei um das Fehlverhalten Einzelner geht, das korrigiert werden kann, haben die meisten Schlachthöfe mit ihrer auf CO2 basierenden Betäubung einen permanenten tierschutzrelevanten Vorgang in ihrem System eingebaut. Zwar erreicht man durch ein Verbringen der Tiere in eine zu über 80 Prozent mit CO2 gesättigte Umgebung gute Betäubungen, die, wenn sie erreicht sind, sowohl den Anforderungen des Tierschutzes als auch der Arbeitssicherheit genügen. In der Zeit bis zur vollständigen CO2-Betäubung allerdings zeigen viele Schweine Stresssymptome in Form von ausgeprägter Atemnot, Flucht- und Abwehrverhalten.
Schon lange bekannt
CO2 kommt in der Atemluft mit gerade einmal 0,04 Prozent gewöhnlich nur in geringer Konzentration vor, während die Hauptbestandteile Stickstoff (78%) und Sauerstoff (21%) sind. Säugetiere besitzen aber für CO2 besondere Rezeptoren. Veränderungen in der Konzentration wirken direkt auf die Atemfrequenz und lösen im Extremfall Atemnot aus. Bei den im Schlachthof angewendeten Gaskonzentrationen von 80 und mehr Prozent kommt es zudem noch zu chemischen Reaktionen an den Schleimhäuten. In Feuchtigkeit gelöst wird aus CO2 Kohlensäure, was zu stechenden, brennenden Schmerzen führt. Auch wenn dieser Vorgang nur wenige Sekunden dauert, ist er doch tierschutzrelevant und als solcher bereits 2004 von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) identifiziert worden. Schon damals lautete ihre Empfehlung, den Einsatz von CO2 bei Mastschweinen schrittweise einzustellen und alternative Verfahren zu entwickeln.
Alternative Methoden
Schon zur Jahrtausendwende gab es erste Versuche mit alternativen Gasgemischen. Anders als die bei Operationen verwendeten Narkosegase dürfen sich die im Lebensmittelbereich verwendeten nicht in den Schlachtkörpern nachweisen lassen. In der Folge sind Versuche vor allem mit Edelgasen sowie mit Stickstoff vorgenommen worden. Die Vorteile wurden schnell deutlich. Da der Schweineorganismus, wie auch der des Menschen, für keines dieser Gase Rezeptoren besitzt, wird die veränderte Gaszusammensetzung nicht wahrgenommen. In einer umfangreiche Studie, die bereits 2012 fertiggestellt wurde, zeigte das Max-Rubner-Institut, wie eine tierschutzgerechte Betäubung erfolgen kann. In ersten Versuchen wurde das Edelgas Argon für die Betäubung verwendet. Wie CO2 ist es schwerer als Luft und könnte von daher in den vorhandenen Betäubungsanlagen verwendet werden. Allerdings führt die Betäubung mit Argon zu punktuellen Einblutungen in das Muskelgewebe und damit zu einer negativen Beeinflussung des Schlachtkörpers. Auch Versuche mit Stickstoff führten zu einem beeinträchtigten Schlachtkörper. Aktuell ist es allein mit dem Ballongas Helium möglich, Schweine ohne Beeinflussung des Schlachtkörpers und ohne dass das Tier selbst davon Kenntnis bekommt, zu betäuben. Allerdings stellen sich beim Einsatz von Helium zwei große Herausforderungen. Zum einen ist das Ballongas leichter als Luft. Um den Vorgang zu automatisieren, müssten die Tiere also statt in eine gasgefüllte Grube hinab- in einen gasgefüllten Turm hinauffahren. Der zweite Punkt betrifft die Verfügbarkeit. Obwohl es neben Wasserstoff das häufigste Element im Universum ist, kommt Helium in der Erdatmosphäre nur in Kleinstmengen vor. Gewonnen wird es vor allem bei der Fragmentierung von Erdgas, in dem der Anteil je nach Herkunft zwischen 0,1 und 16 Prozent beträgt. Die begrenzte Verfügbarkeit macht Helium im Vergleich zu CO2 extrem teuer. Auch ist unklar, inwieweit die Mengen für die gesamte Schlachtbranche überhaupt ausreichen. Die ungeklärten – vor allem ökonomischen – Fragen, führen dazu, dass trotz Kenntnis über das mangelhafte Verfahren keine Anpassung erfolgt. Im Erwägungsgrund Nr. 6 für die VO(EG) 1099 aus 2009 wird von der EU angeführt: „Die Empfehlungen, den Einsatz von Kohlendioxid bei Schweinen (…) schrittweise einzustellen, werden nicht in diese Verordnung eingearbeitet, da die Folgenabschätzung ergeben hat, dass solch eine Empfehlung derzeit in der EU aus wirtschaftlicher Sicht nicht tragbar ist.“
Ein erster Schritt
Die Dokumentation von menschlichem Fehlverhalten im Umgang mit Schweinen, aber vor allem Aufnahmen, die die Angstzustände von Schweinen in der Betäubungsgondel zeigten, katapultierten den Schlachthof in Kulmbach im Sommer dieses Jahres in die Medien. Ein Teil der Aufarbeitung der Vorwürfe ist, so Schlachthofleiter Dirk Grühn, die Betäubung auf Helium umzustellen. Geplant war eine Inbetriebnahme schon für Oktober, diese wird sich aufgrund von Lieferengpässen allerdings bis Anfang kommenden Jahres verzögern, so der Schlachthofleiter. Damit würde in Kulmbach die erste heliumbasierte kommerziell betriebene Betäubungsanlage für Schweine eingesetzt werden. Trotzdem weist Matthias Moje, der am Institut für Sicherheit und Qualität bei Fleisch des Max-Rubner-Instituts in Kulmbach forscht, gegenüber Vetline.de darauf hin, dass für eine Nutzung von Helium in der industriellen Schlachtung noch viel Forschungsbedarf besteht. Und vielleicht, so könnte man aus der Distanz fragen, ist es nicht allein die Art der Betäubung, sondern vielmehr die industrielle Schlachtung als solche, die es zu hinterfragen gilt?