Reaktionen auf EU-Agrarvision: Vom Setzen richtiger und wichtiger Prioritäten bis zu fatalem Kurswechsel

Die in der vergangenen Woche von der EU-Kommission verkündete „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“ hat ein lebhaftes und sehr unterschiedliches Echo ausgelöst. Von richtigen und wichtigen Ansatzpunkten ist bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) die Rede, wichtige Impulse nennt es Bioland. Sich ändernde politische Grundprinzipien in der EU-Agrarpolitik sieht der Bauernverband in der Vision und wertet diese positiv, während der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling in der Vision einen „besorgniserregenden Paradigmenwechsel“ ausmacht. Und für den NABU ist alles eine Frage des Geldes.

Aus Sicht der AbL enthält die Vision richtige und wichtige Ansatzpunkte, um die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) endlich gerechter und ökologischer zu machen. „Die Vision gibt einer gerechten Vergabe der Agrargelder sowie einer Verbesserung der Stellung von Bäuerinnen und Bauern am Markt eine hohe Bedeutung und setzt damit richtige und wichtige Prioritäten“, erklärt Ottmar Ilchmann, agrarpolitischer Sprecher der AbL. Gleiches gelte für die Stärkung der Jugend und den Fokus darauf, dass die Fördergelder der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik zukünftig an konkrete Gemeinwohlleistungen gebunden werden müssen, wie es auch die Zukunftskommission Landwirtschaft in Deutschland und der Strategische Dialog auf EU-Ebene empfiehlt. „Gleichzeitig steht die Ausrichtung der Agrarpolitik auf eine globale Wettbewerbsfähigkeit, die in der Vision immer wieder deutlich betont wird, klar im Widerspruch zu den genannten sozialen und ökologischen Zielen. Die Europäische Kommission, Kommissar Hansen und alle weiteren europäischen Institutionen werden sich letztlich daran messen lassen müssen, ob Dinge wie eine schrittweise Ausweitung des Budgets für die Öko-Regelungen, eine degressive Gestaltung aller Agrarprämien oder eine generelle Vertragspflicht in der Gemeinsamen Marktordung endlich europaweit verbindlich umgesetzt werden oder nicht“, so Ilchmann, für den der Ernährungsteil in der Vision viel zu kurz kommt. „Ernährung und Landwirtschaft müssen sehr viel stärker zusammengedacht und zusammen reguliert werden als bisher. Um viele und vielfältige Höfe zu erhalten, wie es die Gesellschaft wünscht und braucht, ist auch der Erhalt von vielen kleinen handwerklichen Bäckereien und Metzgereien notwendig. Eine intakte regionale Ernährungsinfrastruktur ist systemrelevant für krisenfeste Ernährungssysteme.“

Bioland: Ökolandbau als Schlüssel für den Generationenwechsel 

“Die von Landwirtschaftskommissar Christophe Hansen vorgestellte agrarpolitische Vision für 2040 enthält wichtige Impulse. Insbesondere die Betonung des Generationswechsels und die Förderung einer widerstandsfähigen, wettbewerbsfähigen Landwirtschaft sind zentrale Punkte, die dringend angegangen werden müssen“, erklärt Bioland-Präsident Jan Plagge. Positiv sei auch der erkennbare Wille, die Agrarförderung zu vereinfachen und diejenigen Betriebe zu adressieren, die eine finanzielle Grundstützung am dringendsten benötigen, mit besonderem Augenmerk auf benachteiligte Gebiete, Junglandwirte und Neueinsteiger.

„Dass Hansen weiter an Direktzahlungen festhält, birgt allerdings die Gefahr, dass alte Fehlanreize bestehen bleiben. Im Strategischen Dialog haben wir klar dafür plädiert, von den pauschalen Flächenzahlungen abzusehen. Zudem reicht es nicht aus, Bio oder Agrarökologie als „attraktive Option“ für junge Landwirte zu erwähnen. Was es braucht, sind zum einen konkrete Maßnahmen – und zum anderen eine langfristige Finanzierung über den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR). Erste Eckpunkte des MFR deuten allerdings darauf hin, dass andere Sektoren höhergestuft werden, sodass Hansens zentrale Arbeitsschwerpunkte nochmals einer starken Priorisierung unterliegen dürften. Denn weder für die GAP noch für die Ländliche Entwicklung werden von der Kommission bislang Budgets genannt. Ohne eine ausreichende finanzielle Ausstattung kann die dringend notwendige Transformation der Landwirtschaft nicht gelingen“, so Plagge.

Besonders wichtig findet es der Bland-Präsident, „dass die Vision anerkennt: Ohne gesunde Böden gibt es keine stabile Lebensmittelproduktion. Der Ökolandbau hat längst bewiesen, dass er die Bodenfruchtbarkeit erhält und fördert. Auch die geplante Wasserresilienzstrategie ist ein entscheidender Schritt, um unser Trinkwasser besser zu schützen. Der Ökolandbau kann hier mit seinen nachweislichen Vorteilen zur Reduktion von Wasserverschmutzung und zur Verbesserung der Wasserspeicherfähigkeit der Böden einen wertvollen Beitrag leisten.“

Es ist für Plagge auch richtig und wichtig, dass Hansen die Stärkung der Landwirte in der Wertschöpfungskette zur Priorität macht. Doch das gelinge nicht, indem man sie in neue Abhängigkeiten drängt oder falsche Hoffnungen auf Wundermittel der neuen Gentechnik schürt.

„Insgesamt ist die Vision ein Schritt in die richtige Richtung. Der bevorstehende Reformprozess bietet die Gelegenheit, die notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen – aber nur, wenn die EU den Mut hat, die Transformation ihrer Agrarpolitik konsequent anzugehen. Hierbei setze ich große Hoffnung in die Fortsetzung des Strategischen Dialogs, im Rahmen des European Board of Food and Agriculture”, erklärt Plagge.

Häusling: Fataler Kurswechsel in der EU-Agrar- und Ernährungspolitik

Die von Agrarkommissar Hansen vorgestellte „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“ offenbart für den grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling einen besorgniserregenden Paradigmenwechsel: Die Farm-to-Fork-Strategie - und damit der von vielen Wissenschaftlern seit langem geforderte erste Politikentwurf für die gesamte Ernährungswertschöpfungskette - werde faktisch beerdigt. Der Green Deal als Basisvision für Nachhaltigkeit finde keine Erwähnung. Statt nachhaltigem Umgang mit Ressourcen stünden Ertragsmaximierung und globale Wettbewerbsfähigkeit im Fokus – entgegen allen Empfehlungen seitens wissenschaftlicher und Institutioneller Beratungsgremien der EU.

Häusling kommentiert: „Visionär ist am heute vorgestellten Zukunftsprogramm von Agrarkommissar Hansen nur wenig. Es ist ein Rückfall in den Glauben, Wirtschafts- und Wettbewerbsförderung seien die Lösung unserer Probleme und man müsse auf die Umwelt, in der wir leben, keine Rücksicht nehmen. In ihrer eigenen Kommunikation „Drivers of food security“ von 2023 schrieb die Kommission noch, dass zu den drängendsten Problemen der europäischen Landwirtschaft der Klimawandel und das großflächige Artensterben gehören. Im Gegensatz dazu sind in dieser sogenannten „Vision“ Umwelt- und Ressourcenschutz nur Randnotizen. Der Text liest sich so, als gäbe es die Herausforderungen Klimawandel und Artensterben gar nicht. Das wird der aktuellen Situation nicht gerecht und ist rückwärtsgewandt. Nicht einmal die im Konsens erarbeiteten Ergebnisse des Strategischen Dialogs für Landwirtschaft finden ausreichend Beachtung. “

In einer Kurzanalyse schreibt Häusling

Wenig Ambition bei Umwelt- und Klimaschutz

Die geplanten Maßnahmen zur Reduktion von Pestiziden bleiben vage, ein konkretes Reduktionsziel fehlt. Tierschutzstandards werden zwar in Aussicht gestellt, jedoch ohne klare Maßnahmen zur Durchsetzung. Auch im Bereich Bodenschutz wird statt ambitionierter Schritte lediglich auf Beratung gesetzt. Der Klimawandel wird in der Strategie kaum thematisiert – fatalerweise einzig in Verbindung mit der vermeintlichen Notwendigkeit neuer Gentechnikverfahren (NGTs). Auch dass die Wasserqualität verbessert werden soll, bleibt ohne Verbindlichkeit bloße Rhetorik.

Freiwilligkeit statt Verbindlichkeit: Nachhaltigkeit bleibt auf der Strecke

Ein lediglich freiwilliges Benchmark-System soll Umweltstandards für das betriebliche Management ersetzen, damit schlägt man 3 GAP-Generationen Ökologisierung in den Wind.

Fokus auf Exporte statt Stärkung regionaler Ernährungssicherheit

Statt regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken, setzt die Strategie weiterhin auf den globalen Handel von Agrarprodukten. Auch wenn Importstandards angeglichen werden sollen, fehlt ein klares Bekenntnis zur Förderung einer nachhaltigen und regionalen Landwirtschaft.

Techno-Fixes als Scheinlösung

Anstatt eine agrarökologische Wende und den Ökolandbau zu fördern, setzt die Strategie auf Techno-Fixes wie Precision Farming, innovative Pestizide, Gentechnik und Risikoversicherungen. Bisher existieren kaum wissenschaftliche Belege dafür, dass diese Technologien eine Trendwende in Sachen landwirtschaftlicher Nachhaltigkeit befördern können – im Gegensatz zu agrarökologischen Systemen.

Bürokratieabbau als Vorwand für Deregulierung

Die angekündigte weitreichende Vereinfachung des Rechtsrahmens wäre zu begrüßen, wenn es wirklich im Verwaltungsvereinfachung ginge. Doch sieht man auf den ersten Blick, dass, wie schon in den letzten Monaten geschehen, weiter Umweltstandards und ökologische Errungenschaften der letzten 20 Jahre aufgeweicht werden. Bürokratieabbau ist dringend notwendig, aber weniger Auflagen dürfen nicht auf Kosten der Natur gehen – sie ist die Grundlage der Landwirtschaft!

Agrarpolitik als nationales „Wünsch Dir was“

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) soll weiter flexibilisiert und nationalisiert werden. Das stellt den gemeinsamen Binnenmarkt in Frage und setzt Betriebe unter unfairen Wettbewerbsdruck, je nachdem, in welchem Land sie wirtschaften.

Viele leere Versprechungen für den ländlichen Raum

Zwar wird viel von der Förderung ländlicher Räume gesprochen, doch das erschöpft sich in Digitalisierungsförderung. Konkrete Maßnahmen zur Stärkung kleiner und mittlerer Betriebe oder der handwerklichen Lebensmittelverarbeitung fehlen weitgehend.

Positive Aspekte

Die Stärkung der Landwirte in der Lebensmittelkette und der Kampf gegen unfaire Handelspraktiken sind wichtige Punkte in Hansens Programm. Auch die Angleichung der Produktstandards für importierte Waren, insbesondere bei Pestiziden und Tierschutz, ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Fairness im globalen Handel. Das Verbot, in der EU untersagte Pestizide erneut in Verkehr zu bringen, ist eine Maßnahme, die unsere Unterstützung findet. Ebenso begrüßen wir die verschärften Einfuhrkontrollen sowie die wenigen, aber dennoch positiven Ansätze im Bereich Tierschutz. Diese müssen jedoch konkretisiert und mit echten Maßnahmen zur Reduzierung der Tierzahlen bei gleichzeitig verbesserten Haltungsbedingungen verknüpft werden. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass diese positiven Ansätze nicht verwässert, sondern ambitioniert umgesetzt werden.

„Wir fordern eine klare Kurskorrektur: Der gesamtpolitische Ansatz einer kongruenten Ernährungspolitik, wie in der Farm-to-Fork Strategie, muss erhalten bleiben. Nachhaltigkeit und Klimaschutz dürfen nicht dem kurzfristigen wirtschaftlichen Gewinn geopfert werden. Die EU muss an ihrer Verantwortung festhalten und ihre Agrar- und Ernährungspolitik auf eine sozial- und umweltverträgliche sowie gesunde Zukunft ausrichten“, so Häusling abschließend.

Rukwied: Neue politische Grundprinzipien stimmen zuversichtlich

Nach der heutigen Vorstellung der europäischen „Vision für die Landwirtschaft“ bewertet der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, die sich ändernden politischen Grundprinzipien in der EU-Agrarpolitik grundsätzlich positiv: „Im Mittelpunkt der Vision stehen klar anreizbasierte, freiwillige Leistungen. Das macht Mut und stimmt zuversichtlich, dass die neue EU-Kommission auf eine Politik im Sinne der Bauernfamilien setzt.“

Inhaltlich seien insbesondere die Berücksichtigung des Generationswechsels, die Anerkennung der Rolle der Tierhaltung sowie die Anwendung europäischer Standards auf importierte Produkte positiv zu bewerten, so der Bauernverbandspräsident. Bei den Themen Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau, welche als politische Prioritäten genannt wurden, brauche es jedoch noch konkrete Vorschläge für dringend notwendige Vereinfachungen, um die Betriebe zu entlasten. Zudem müssen die Kommissionsvorschläge aus der letzten Mandatsperiode wie das Bodenüberwachungsgesetz oder die Entwaldungsverordnung gestrichen werden. Darüber hinaus lassen die neuen Vorschläge zur Änderung der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) viele Fragen offen, insbesondere mit Blick auf den Mehrwert für Landwirte.

Vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen für den Sektor kritisiert Rukwied die bekannt gewordenen Pläne der Kommission, den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) massiv umzustrukturieren: „Diese Pläne passen nicht mit der „Vision“ zur Weiterentwicklung unseres Sektors zusammen. Einzelpläne der Mitgliedstaaten würden agrarpolitische Willkür und eine Abkehr von der Gemeinsamen Agrarpolitik – dem Herzstück der europäischen Politik – bedeuten. Stattdessen brauchen wir jetzt ein klares Bekenntnis zu einem starken, erhöhten und zweckgebundenen Agrarbudget sowie zum Fortbestand der bewährten Fonds der Gemeinsamen Agrar-, Struktur- und Regionalpolitik. Hier setzen wir auch auf das Engagement von Kommissar Hansen.“

NABU: Knappere EU-Agrargelder gezielt für natur- und klimafreundliche Landwirtschaft einsetzen 

Der NABU sieht mit Blick auf die Vision die Agrarförderung angesichts vieler weiterer Finanzbedarfe im EU-Haushalt unter Druck. “Die Frage, wie die europäische Landwirtschaft bis 2040 zukunftsfähiger werden kann, ist auch eine Frage des Geldes“, erklärt NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Inmitten globaler Krisen brauchen wir eine starke und widerstandfähige Landwirtschaft, die Europa mit gesunden Lebensmitteln versorgen kann und ihre natürlichen Ressourcen schützt, um unsere Interessen und Unabhängigkeit zu wahren. Weniger Mittel im EU-Agrarhaushalt stellen die Landwirtschaft künftig vor große Herausforderungen, bergen aber auch die Chance für einen echten Kurswechsel“, so Krüger. Entscheidend werde es sein, die knapperen Mittel gezielt für eine natur- und klimafreundliche Landwirtschaft einzusetzen. „Landwirt*innen brauchen hier Planungssicherheit und faire Anreize für den Schutz von Böden, Wasser und Artenvielfalt. Wer hingegen weiterhin auf Kosten von Natur und Klima wirtschaftet, darf dafür nicht auch noch öffentliche Gelder erhalten. Dies würde sonst auch den Landwirtschaftsstandort Europa insgesamt gefährden. Die EU muss jetzt konsequent und auf Wirksamkeit ausgerichtet in eine nachhaltige Landwirtschaft investieren, von der Landwirtschaft, Natur, Klima und kommende Generationen gleichermaßen profitieren.“

Neben der Honorierung von Landwirt*innen für öffentliche Leistungen spricht sich der NABU dafür aus, dass die knapperen Agrargelder gezielt für fruchtbare Böden, stabile Ökosysteme, Artenvielfalt und Resilienz gegenüber Extremwetterereignissen einzusetzen. Mindeststandards für Natur und Klima müssen hier klare Leitplanken bilden. Auch private Gelder in Form sogenannter “Nature Credits” können nach Ansicht des NABU zur Lösung beitragen. Gleichzeit müsse garantiert sein, dass bestehendes Umweltrecht konsequent umgesetzt wird – etwa die Nitratrichtlinie, die Wasserrahmenrichtlinie oder die Fauna-Flora-Habitat-Richtline. Auch das Nature Restoration Law biete die einmalige Chance, Agrarökosysteme aufzuwerten und damit die landwirtschaftliche Produktion zu stärken.

Bildquelle: EU Agriculture auf X/EU-Kommission