Nicht der große Wurf

Vier Jahre schon beschäftigt sich Erwin Oberndörfer mit dem Neubau eines Sauenstalls. Der Schweinehalter und Ackerbauer aus dem baden-württembergischen Gemmhagen bei Schrozberg macht den Betrieb gemeinsam mit seinem Sohn und Familie, aber wie genau es weiter gehen soll, lässt sich kaum festlegen. Das liegt an der Abhängigkeit von behördlichen Genehmigungen, aber auch daran, dass es an verlässlichen Rahmenbedingungen mangelt. Gesetzlich hat es lange gedauert, bis die Nutztierhaltungsverordnung beschlossen wurde, und gekommen ist sie auch nur deshalb, weil das gerichtliche Urteil zum Kastenstand in der Sauenhaltung Anpassungen erforderte. Das eine ist die gesetzliche Grundlage, das andere sind die gesellschaftlichen Anforderungen, die immer wieder von der Politik angekündigten und dann doch nicht umgesetzten Schritte im Hinblick auf einen Umbau der Tierhaltung. „Wir haben in der Planung zwischendrin immer wieder alles umgeworfen“, sagt Oberndörfer. An der Bauhülle könne man zwar im Genehmigungsprozess nichts mehr verändern, aber innen drin sind beispielsweise die Abferkelbuchten von den ursprünglichen 6,5 auf 7,4 Quadratmeter gewachsen. Die geplanten Baukosten für die 700 Sauenplätze, sind auch durch die allgemeinen Teuerungen von ursprünglich 4,4 Mio. Euro auf 7,5 Mio. angestiegen. Freie Abferkelung, langschwänzige Ferkel, das gehe alles, sagt Oberndörfer, es müsse irgendwie aber auch bezahlt werden. Die Oberndörfer mästen ihre Ferkel selber. „Das geschlossene System zahlt sich aus.“ Aber gerade bei den doppelten Futterkosten halte den Betrieb vor allem die Erzeugung eigenen Futters über Wasser. Viele reine Sauenhalter stiegen jetzt aus, erzählt Oberndörfer, verkauften lieber ihr Getreide teurer, als sich von den Mästern anhören zu müssen, dass die ihre Ställe erstmal bis zum Herbst leer ließen. Die Mastschweine der Oberndörfers gehen zu Edeka. Die schreiben für einen Tierwohlaufschlag Beschäftigungsmaterial vor. Erst war eine Heuraufe Pflicht, nun nach neueren Erkenntnissen in der Verhaltensforschung stattdessen ein Hanfseil. „Wir haben jetzt die Seile angebracht, die Raufen lassen wir trotzdem drin, die mögen sie“, sagt er lakonisch. „Was sollen wir machen?“

Wenig übrig

Die Situation gerade vieler nur auf Sauenhaltung spezialisierter Betriebe ist dramatisch. Die Preise sind schon lange nicht mehr kostendeckend, sie stehen am Ende der Kette aus weitergereichten Kosten. Und oft genug kaufen Mäster auch im noch billigeren Ausland. Langfristig wird zum Problem werden, dass Handelsketten auf deutschen Herkünften bestehen wollen, diese aber gar nicht mehr in ausreichender Zahl hier geboren und aufgezogen werden. Die gerichtlich erzwungene veränderte Gesetzeslage macht zudem teure Umbauten nötig, ohne zu garantieren, dass man danach längerfristig zukunftsfähig aufgestellt ist. In kaum einem landwirtschaftlichen Bereich wurde von den Betrieben in den vergangenen Jahrzehnten so viel baulich angepasst.

Der Umbau der Tierhaltung, wie ihn das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung unter der Leitung des ehemaligen Landwirtschaftsministers Jochen Borchert geplant hatte, hätte Leitplanken, Zeithorizonte und substanzielle Verbesserungen beim Tierwohl festgelegt und überprüfbar gemacht und vor allem auch ein Finanzierungskonzept für den Umbau, aber auch für den laufenden Betrieb arbeitsintensiverer, artgerechterer Haltungsformen parat gehabt. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat davon nur noch ein Rumpfkonzept in Form einer Haltungskennzeichnung als seinen Plan vorgestellt. Zwar ist die leidige Eierkennzeichnung vom Tisch, gibt es eine Einstiegsstufe, damit die Initiative Tierwohl nicht per Federstrich Geschichte wird, das ist aber auch schon fast alles. Die Bioverbände dürfen sich über eine eigene Labelstufe freuen, stoßen damit aber auch innerhalb der Borchert-Kommission auf Kritik, weil Bio nicht per se mehr Tierwohl bedeutet und konventionelle Programme mit höchstem Tierwohl-Standard abwertet.

Mehr Geld

Begonnen werden soll mit der Kennzeichnung – die im Prinzip nicht anders ist als die durch den Handel eingeführte – beim Frischfleisch von Schweinen. Allerdings soll es zunächst nur um die „produktive“ Haltung gehen, also nur um Mastschweine. Wieder bleibt für die Sauenhalter weder Planungssicherheit noch Geld übrig. Mal davon absehen, dass auch aus Sicht der Verbraucher damit fast das halbe Schweineleben eines Schnitzels aus der Nummer raus ist. Und eine Finanzierung und die vertragliche Absicherung von Betrieben, die Schritte in Richtung mehr Tierwohl gehen wollen, sind bislang auch eher kaum in Sicht. Eine Milliarde gab es vom Finanzminister. Die FDP, die eine staatliche Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung nie wollte und will, lässt damit nur einen Anfang möglich werden. Auch auf die Gefahr hin zu kalauern: Es ist, als würde die Bundeswehr Geld für Panzer kriegen, aber nicht für Munition. Für einen grundlegenden Umbau reicht das nicht.

18.07.2022
Von: cs