„Mit Wut lässt sich kein politisches Programm gestalten“

Interview: Protestforscher Professor Felix Anderl aus Marburg zu den Bauerndemos

Unabhängige Bauernstimme: Die große Unzufriedenheit der Bauern und Bäuerinnen ist schon lange da. Häufig heißt es jetzt, der letzte Tropfen habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Aber erklärt das die Massivität der Proteste?

Felix Anderl: Wie eine Aktivistin der AbL treffend formuliert hat, ist die große Frage: Was ist in dem Fass, das hier gerade überläuft? Über die letzten Jahrzehnte hat sich eine große Unzufriedenheit bei vielen Bäuerinnen und Bauern angestaut, die einerseits unter dem Preisdruck und andererseits unter bürokratischen Vorschriften leiden. Dazu kommt eine reale Vernachlässigung des ländlichen Raums. Diese Anliegen könnte man politisch angehen. Jedoch hat paradoxerweise auch der Bauernverband lange verhindert, eine ernsthafte Debatte über die notwendige Transformation der Landwirtschaft zu führen, bei der ökologische, aber eben auch ökonomische Fragen der Nachhaltigkeit grundsätzlich hätten betrachtet werden können. Anstatt dessen werden immer nur Löcher durch Subventionen gestopft – und in dieser Situation ist es verständlich, dass landwirtschaftliche Betriebe Angst haben, wenn Subventionen angetastet werden. Grundsätzlich werden bei den Protesten aber Fragen der Anerkennung verhandelt, da viele Bäuerinnen und Bauern offenbar das Gefühl haben, gesellschaftlich nicht genügend Achtung zu erfahren.

Zum einen beklagen Bauern und Bäuerinnen mangelnde Wertschätzung in der Gesellschaft, immer höhere Ansprüche der Verbraucherinnen und Verbraucher. Gleichzeitig erhalten sie für ihre Proteste nach wie vor viel Zuspruch aus der Bevölkerung. Wie passt das zusammen, ist das ein Wahrnehmungsproblem?

Ja, ich glaube, das ist in der Tat ein Wahrnehmungsproblem. Hier werden verschiedene Fragen vermischt und zu einer großen Portion Frust zusammengeschustert. Die gesellschaftliche Anerkennung für die Landwirtschaft ist sehr hoch. Das zeigt sich etwa an der Wahrnehmung der Proteste, die trotz des teilweise aggressiven Auftretens insgesamt sehr positiv ist. Wir sollten zwei Ebenen trennen: Einerseits: Wie werden Bäuerinnen und Bauern in der Gesellschaft gesehen? Da gibt es eine hohe Wertschätzung für die Arbeit in der Landwirtschaft. Zum anderen die Frage: Was wünschen sich die Verbraucherinnen und Verbraucher? Hier gibt es viel Kritik, etwa an umweltschädlichen Spritzmitteln, Tierhaltung und Artenschutz. Aber das ist keine Kritik an den Bäuerinnen und Bauern, sondern an den politischen Entscheidern, die diese Fragen nicht ordentlich regeln.

Und warum werden Treckerblockaden als offenbar weniger bedrohlich oder nervig empfunden als die Klimakleber der letzten Generation?

Auch das hat mit der Wahrnehmung der Rolle der Bauern in Deutschland zu tun. Die Landwirtschaft ist eine tragende Säule unserer Gesellschaft und macht wichtige Arbeit für uns alle. Deshalb wird den Bauern erst einmal zugehört, wenn sie etwas sagen. Das ist ja auch gut und rational. Andererseits spiegelt sich darin auch eine Machtposition der Bauern wider. Nicht nur, dass die Traktoren sehr viel Eindruck machen; die Proteste werden auch vor einer Folie lange eingeübter diskursiver Muster gelesen, die entscheidet, wen man als „seriös“ empfindet und wen als störend. Der politische Diskurs in Deutschland ist tendenziell konservativ, das haben Generationen von Unternehmern und politischen Akteuren so eingerichtet. Deshalb wird beispielsweise eine brennende Feuertonne und Pyrotechnik auf den Bauernprotesten von den Sicherheitsbehörden offenbar nicht als Gefahr eingeschätzt, während die gleiche Handlung von einer linken Demo zu sofortigen Platzverweisen oder Verhaftungen führen würde. Die Klimademos wurden von Konservativen erfolgreich als „Gefahr“ gerahmt und das ist bei den Bäuerinnen und Bauern aufgrund ihres politischen Standings nicht geschehen.

Der Schutz des Klimas müsste ja auch Bauern und Bäuerinnen noch viel stärker ein Anliegen sein. Warum erreicht der Klimawandel noch erst so wenige?

Das beschäftigt mich auch sehr. Eigentlich müssten Klimaschutzbewegung und Bauernbewegung zusammen mobilisieren. In anderen Ländern geschieht das auch. Doch in Deutschland scheint eine gewisse Lagerbildung das zu verhindern: Man wähnt den jeweils anderen eher als Gegner, statt Allianzen zu suchen. Die große Ausnahme ist hier das „Wir haben es satt“-Bündnis, aber auch das ist lebensweltlich weit weg von vielen Landwirtinnen und Landwirten, gerade jenen mit den großen Höfen. Schade. Aber vielleicht müssen sich hier Klimaschützer auch noch stärker anstrengen, um die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

Die Politik warnt vor Unterwanderung von rechts, Verbandsspitzen distanzieren sich von Hass und Hetze, vereinzelt tauchen dennoch Galgen oder AfD-Politiker bei den Protesten auf. Wie ist Ihre Einschätzung?

Es ist gut, dass der Bauernverband sich von vornherein von rechtsextremen Kräften distanziert hat. Ich denke, die Proteste eignen sich dennoch sehr gut für Rechte, um ihre Propaganda zu platzieren. Das liegt vor allem an zwei Gründen: Erstens erzählen Akteure wie die AfD eine fiktive Geschichte von einem besseren Deutschland, in dem alles noch einfacher, weißer und „normaler“ war. Der Bauer funktioniert für diese Story als Projektionsfläche eines vermeintlich normalen Deutschen, obwohl die rechten Akteure oft gar keine Ahnung und auch kein Interesse an Landwirtschaft haben. Zweitens haben die Organisatoren durch ihre aggressive und dennoch vage Sprache den Raum für solche Anschlüsse von rechts offengelassen. Weil sie klarmachen, dass es hier es um viel mehr als um Subventionskürzungen geht – ohne aber zu sagen, um was eigentlich –, können andere politische Gruppen ihre Unzufriedenheiten auf die Proteste projizieren. In puncto Mobilisierung ist das schlau: So machen Leute mit, die bei genauem Hinsehen unterschiedlichste Probleme haben. Aber langfristig kann das zerstörerisch sein, weil das einzige, was die Leute verbindet, ihre Wut ist. So lässt sich kein politisches Programm gestalten.

Wie kommen da jetzt alle wieder raus? Es gab nach den Bauernprotesten 2019 die Zukunftskommission, ein branchenübergreifendes Gremium, von der Bundesregierung eingerichtet, welches ein Konzept für die Zukunft der Landwirtschaft erarbeitet hat, was in der Ministerschublade verstaubt.

Das ist ein wichtiger Punkt, denn hier hatten sich die Vertreterinnen und Vertreter der Bauern wirklich auf einen Denkprozess eingelassen. Die Ergebnisse dieser Kommission sind aus meiner Sicht immer noch relevant und sollten Grundlage der weiteren Verhandlungen sein. Das würde auch populistischen Unterwanderungen den Boden entziehen. Was beispielsweise Finanzminister Lindner bei seinem Demoauftritt gesagt hat, hatte mit dieser anspruchsvollen Diskussion nichts zu tun. Es war auch eine Projektion seiner libertären Wünsche auf die Landwirtschaft, gepaart mit einem Nach-unten-Treten. Wichtig erscheint mir die Frage: Wie wird die Arbeit in der Landwirtschaft entlohnt? Viele kleinere Höfe, Mitarbeiterinnen im Garten- und Gemüsebau verdienen teilweise gerade so über Mindestlohn – von Erntehelfern und der fleischverarbeitenden Industrie ganz zu schweigen. Aber es gibt auch gut bezuschusste und lukrative Höfe. Oft hängt das an der Frage des Landbesitzes. Für diese verschiedenen Positionen in der Landwirtschaft bräuchte es unterschiedliche Maßnahmen. Es wäre wichtig, dass die Organisatoren der Proteste und Minister Özdemir die Debatte auf solche Fragen lenken.

Vielen Dank für das Gespräch!

01.02.2024
Von: cs

Felix Anderl, Professor für Konfliktforschung an der Universität Marburg