Lösungen statt Spiel auf Zeit

Es ist etwas gewaltig faul in der „Wertschöpfungskette“ der Lebensmittelerzeugung in Deutschland. Während gerade in der Pandemie der Lebensmitteleinzelhandel ein großes Umsatzplus verzeichnet und Milliardengewinne einfährt, während die Verarbeiter im Bereich Milch und Schweinefleisch gute Geschäfte machen, stehen die eigentlichen Erzeuger der Lebensmittel, die Bäuerinnen und Bauern, seit Jahren mit dem Rücken an der Wand. Obwohl die Milchpreise gerade etwas angezogen haben, beträgt die Kostenunterdeckung zurzeit immer noch ca. 25 Prozent, bei den Schweinemästern herrscht die nackte Not und bei vielen Sauenhaltern gehen gerade für immer die Lichter aus. Zu stark ist das Machtgefälle zwischen den Stufen Erzeuger, Verarbeiter und Einzelhandel, zu monopolartig sind die Strukturen der abnehmenden Hand, sodass die Landwirte aus der Rolle als Restgeldempfänger einfach nicht herauskommen. Von einer „Partnerschaft in der Wertschöpfungskette“, wie sie Bauern- und Raiffeisenverband immer beschworen haben, kann keine Rede sein, obwohl doch auch viele genossenschaftliche Unternehmen maßgeblich an dieser Kette beteiligt sind. Nur durch den massiven Druck der Straße, die Proteste und Blockaden von Bäuerinnen und Bauern bei Verarbeitern und LEH-Lagern, kam Anfang des Jahres der Agrardialog als Gesprächsplattform zwischen Landwirtschaftsverbänden, Verarbeitern und LEH zustande. Unsere Forderung, der seitens der Verhandlungspartner nie widersprochen wurde, war glasklar: Die Erzeugungskosten der Landwirte müssen sich im Einkaufspreis der Handels wiederfinden, wir Landwirte müssen unsere gerade in letzter Zeit ständig steigenden Kosten an die Geschäftspartner weitergeben können. Dafür haben die AGs des Agrardialogs gangbare Konzepte entwickelt. Kluge Kolleginnen und Kollegen haben viel Zeit, Energie und Kreativität investiert. Bis vors Bundeskartellamt hat zum Beispiel der Weg der Milch-AG geführt, um unseren Entwurf vorzustellen. Ein wichtiges Argument dort: Gesellschaftliche Anforderungen, die immer mehr zum Kostentreiber werden, können die Bauern nicht alleine schultern, sie müssen von der Gesellschaft mit bezahlt werden und zwar auch über die Lebensmittelpreise. Dass der LEH jetzt, gefühlt kurz vor greif- und umsetzbaren Ergebnissen, den Agrardialog für beendet erklärt und uns auffordert, in der ZKHL, dem Gegenkonstrukt von Bauern- und Raiffeisenverband und LEH weiterzuarbeiten, ist bitter. Vielleicht wurde es zu konkret, war die Gefahr zu real, jetzt das prall gefüllte Portemonnaie öffnen und etwas von den Pandemiegewinnen abgeben zu müssen. Der Weg des Handels zurück zu den altbewährten Partnern und Bauernberuhigern DBV und DRV lag da wohl nahe. Trotzdem bleibt der Handel aufgefordert, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und die Konzepte jetzt zügig abzuschließen und umzusetzen, wenn er es denn ernst meint mit den Bekenntnissen zur Landwirtschaft. Auch der Bauernverband könnte sich jetzt als tatsächliche Interessenvertretung der Bäuerinnen und Bauern erweisen und gemeinsam Lösungen im bereits vorhandenen Format Agrardialog erarbeiten, statt auf Formalitäten zu bestehen. Für die Tierhaltung in bäuerlichen Strukturen in Deutschland, die doch jeder so gerne erhalten möchte, könnte sich sonst ein Zeitfenster schließen. Die Zeit für (Macht-)Spielchen ist vorbei! Die Verbände des Agrardialogs stehen jedenfalls für konstruktive Lösungen bereit und haben sich über die Gespräche mit dem LEH hinaus bereits als neue Interessenvertretung gegenüber Gesellschaft und Politik aufgestellt. Gerne würden wir gemeinsam mit der Branche, mit Handel und Verarbeitern zu Ergebnissen kommen, aber nicht von ungefähr heißt es im gemeinsamen Forderungskatalog an die Verhandler der Ampelkoalition: „Strukturen in Verarbeitung und Handel, die dem fairen Wettbewerb im Wege stehen, sollen entflochten werden.“
14.12.2021
Von: Ottmar Ilchmann, AbL-Landesvorsitzender Niedersachsen und Mitglied im Agrardialo

Ottmar Ilchmann,