Landgrabbing: Ärztekasse veräußert Beteiligung an hochproblematischem Fonds

Die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe (ÄVWL) hat sich nach zehn Jahren aus hochproblematischen Landkäufen in Brasilien zurückgezogen. Dies hat die ÄVWL gegenüber FIAN bestätigt. Über einen globalen Landfonds und eine verschachtelte Firmenstruktur hatte sich die Ärztekasse an Landgrabbing im Nordosten Brasiliens beteiligt. Als Rechtfertigung des 100 Millionen US Dollar-Investments hob die Ärztekasse paradoxerweise die „Sicherung der Welternährung" hervor.

In Brasilien hatte der von der ÄVWL mitfinanzierte Fonds bis 2016 rund 135.000 Hektar Land aufgekauft – insbesondere für riesige Sojamonokulturen. Dies geschah vor allem in der Region Matopiba, die wegen krimineller Landgeschäfte und enormer Entwaldungsraten berüchtigt ist. „Mit ihren Millionen hat die Ärztekasse die Jagd nach Land verantwortungslos angeheizt. Uns sind im Laufe der Jahre vielfältige Stimmen von pensionierten Ärztinnen und Ärzten bekannt, die diese Anlagepolitik ihrer Pensionen klar verurteilen", so FIAN-Referent Roman Herre.

FIAN hatte das aufsichtspflichtige NRW-Finanzministerium mehrfach aufgefordert, angesichts krimineller Machenschaften sowie systematischer Menschenrechtsverletzen im Kontext des Landgrabbings einzuschreiten. FIAN und andere Organisationen hatten mehrere Berichte zur Situation vor Ort publiziert. Das Ministerium blieb jedoch inaktiv und weigerte sich sogar, eine Delegation aus Brasilien mit einem Sprecher betroffener Gemeinden zu empfangen. Auch angesichts der Debatten um nachhaltige Finanzen und das Lieferkettengesetz ist dies ein Armutszeugnis einer öffentlichen Behörde.

Seit über zehn Jahren waren der ÄVWL die Probleme vor Ort bekannt. „Dass die Ärztekasse nun still und leise diese Investition abgestoßen hat, sehen wir auch als Erfolg unserer Arbeit und der unserer Mitglieder, die immer wieder die Verantwortlichen in Politik und Ärzteschaft auf diese Investition hingewiesen haben", bewertet Herre die jüngste Entwicklung. „Leider hat die Ärzteversorgung sich nicht dazu geäußert, ob sie Versuche unternimmt, die betroffenen Gemeinden in Brasilien nach dem Ausstieg in irgendeiner Form zu unterstützen."

Zum Hintergrund teilt FIAN mit:
TIAA (ehemals TIAA-CREF) ist eines der größten Versorgungswerke weltweit und verwaltet die Renten von Lehr und Professor*innen sowie von Arbeiter*innen in der Unterhaltungsbranche in den USA. 2012 legte es unter dem Namen TIAA-CREF Global Agriculture LLC (TCGA) einen zwei Milliarden US-Dollar schweren Fonds zum Kauf von Farmland weltweit auf. Neben der ÄVWL haben weitere Versorgungswerke weltweit Gelder in den Fonds angelegt. 2015 folgte ein zweiter, drei Milliarden US-Dollar schwerer Farmland-Fonds (TCGA II). Heute werden beide Fonds von der TIAA-Tochter nuveen verwaltet.
• Die ÄVWL ist ein berufsständisches Versorgungswerk, welches für die Alterssicherung von mehr als 50.000 Ärzt*innen und ihrer Familienangehörigen zuständig ist. Es verwaltet ein Vermögen von über zehn Milliarden Euro und hat sich 2012 mit etwa 80 Millionen Euro (100 Millionen USD) an dem Fonds TCGA beteiligt.
• Die Region Matopiba im Osten Brasiliens beherbergt mit dem Cerrado eine große artenreiche Savannenregion und das zweitgrößte Ökosystem Brasiliens nach dem Amazonas. Das Savannengebiet verfügt über ein großes und für Brasilien wichtiges Grundwasserreservoir. Die in dem Gebiet lebende Bevölkerung, unter ihnen mehr als 80 indigene Gruppierungen, betreibt vor allem Viehzucht und Landwirtschaft. Durch die rasante Expansion von Rinderfarmen und industrieller Monokulturen, besonders für Gen-Soja, ist ein großer Teil des Ökosystems bedroht oder bereits zerstört.
Land als Spekulationsobjekt: Pensionskassen weltweit legen mittlerweile über 56,5 Billionen US-Dollar (also 56.500 Milliarden) an, um Rendite für ihre Pensionäre zu erwirtschaften. Auf der Suche nach Diversifizierung ihrer Portfolios und attraktiven, risikoarmen Anlagemöglichkeiten kaufen sie sie seit gut 10 Jahren verstärkt Agrarland. Diese Jagd nach Land wird auch als „Landgrabbing" bezeichnet.

Eine FIAN-Studie zum Fall findet sich hier.