Manchmal frage ich mich, ob als einziger und wichtigster Gradmesser für landwirtschaftlichen Erfolg wirklich die ständige Steigerung von Umsatz und Fläche und Produktivität zählt. Oder erliegen wir oftmals nur einer bequem gewordenen Illusion?
Jahrzehntelang wurde uns das Dogma des „Wachsens oder Weichens“ gepredigt. Uns wurde eingeredet, dass hohe Schulden der Preis für Innovation und modernes Wirtschaften seien. Das Ergebnis sind immer größere Höfe, immer höhere Schuldenberge, Überlastung und eine wachsende Abhängigkeit von globalen Märkten, volatilen Preisen und der Gunst politischer Entscheidungen in Zeiten immer herausfordernder werdender klimatischer Veränderungen. Dieser Wachstumszwang hat viele Betriebe in ein Hamsterrad gedrängt, in dem die bäuerliche Selbstbestimmung dem Diktat der Bilanz weichen musste.
Tief verwurzelte bäuerliche Tugenden klug nutzen
Es ist Zeit, diesen Glaubenssatz radikal zu hinterfragen. Die zukunftsweisende Antwort liegt nicht im Warten auf den nächsten Subventionsbescheid oder die Weisheit externer Berater. Sie liegt in der Rückkehr zur Eigenmacht – gestützt auf die tief verwurzelten bäuerlichen Tugenden. Ich meine keine nostalgische Verklärung von „früher“, sondern einen pragmatischen Bauplan für Resilienz. Fleiß bedeutet nicht blinden Aktionismus, sondern die kluge Entscheidung, was mit der eigenen Ernte geschehen soll, sei es bei der Vermarktung, der Veredelung oder bei betrieblichen Entwicklungen. Bäuerliche Sparsamkeit wird zur strategischen Genügsamkeit, nicht jedem Trend blind hinterherzulaufen. Damit hält man den Betrieb finanziell unabhängiger, aber auch wetterfester gegen willkürliche Marktschwankungen. Und die Weitsicht der Bäuerinnen und Bauern ist die Fähigkeit, über den kurzfristigen Profit hinauszudenken und den Boden und den eigenen Betrieb so zu erhalten, dass auch die nächste Generation gerne Landwirtschaft betreiben will und ihre Ideen leben kann.
Eigenverantwortung statt externe Steuerung
Das Ziel ist nicht Stagnation, sondern qualitatives Wachstum: Wir wollen nicht mehr, sondern anders und besser wirtschaften. Wir entscheiden uns bewusst für Modelle, die Abhängigkeiten von Krediten und unsicheren politischen Entscheidungen minimieren. Diese Wege erfordern Mut, aber werden mit Freiheit belohnt. Wer nicht auf die Politik warten muss, kann schneller und flexibel auf ökologische Notwendigkeiten und veränderte Verbraucherwünsche reagieren. Wer sich nicht mit Schuldenbergen fesselt, kann seine Zeit und sein Kapital in Innovationen stecken, die den Hof stärker und damit auch die Region wertvoller machen – sei es durch Direktvermarktung, Aufbau regionaler Netzwerke oder agrarökologische Verfahren.
Der kritische Punkt ist die Eigenverantwortung. Nur durch sie können wir uns aus der Spirale der externen Steuerung befreien. Die bäuerlichen Tugenden sind die Werkzeuge, um eine Landwirtschaft zu gestalten, die solidarisch, selbstbestimmt und souverän ist.
Die provokante Frage ist damit beantwortet: Erfolg misst sich nicht in Hektar, sondern in nachhaltiger Autonomie und innerer Stärke.
